Saporischschja „in Reichweite“ für Putin – Sorge vor russischer Offensive wächst
Russland gelangen zuletzt einige Vorstöße in der Ukraine. Aktuell wächst die Angst vor einer neuen russischen Offensive im Sommer. Wie wahrscheinlich aber ist eine solche?
Kiew/Moskau – Zuletzt fielen mehr und mehr Ortschaften in der Ukraine in die Hände russischer Truppen. Sowohl in der Region Sumy im Nordosten als auch in der südlichen Region Donezk erzielte Russland Erfolge im Ukraine-Krieg. Vor allem der Verlust der strategisch bedeutenden Ortschaft Uroschajne, die von den Ukrainern vor rund einem Jahr zurückerobert worden war, wiegt schwer. Während Wladimir Putin seinen Angriffskrieg auf die Ukraine aufrechterhält, gerät die Ukraine in diesen Tagen unter Druck.
Militärexperte Gressel: Angriffe in Sumy könnten Putin als „Ablenkungsmanöver“ dienen
So ist dieser Tage auch die Angst vor einer neuen russischen Offensive wieder größer geworden. Sichtbar wird das in Uroschajne. Ein ukrainischer Militärsprecher erklärte gegenüber dem Fernsehsender Suspilne, russische Soldaten hätten in dem Ort „fast alles zerstört“. Dadurch hätten „sich die Verteidigungskräfte auf andere Stellungen zurückgezogen“.
Wie wahrscheinlich aber ist es, dass Putin noch in diesem Sommer zu einer neuen Offensive auf die Ukraine ausholen wird? Hierzu, wie auch zur aktuellen Lage an den verschiedenen Frontlinien in der Ukraine, äußerte sich nun Gustav Gressel, Militärexperte beim European Council of Foreign Relations, im Gespräch mit dem ZDF. Ein vergleichsweise kleinerer russischer Angriff auf Sumy im Nordosten der Ukraine könne Russland ihm zufolge als „Ablenkungsmanöver“ dienen, um ukrainische Streitkräfte dort zu binden.

Dann nämlich bliebe Russland im Süden der Ukraine genügend Spielraum, weitere verstärkte Angriffe im Sinne einer neuen Offensive an der Saporischschja-Front durchzuführen. „Es gibt Truppenverlegungen“, erklärt Gressel im ZDF. Mehreren Frontberichten zufolge ziehe Russland Truppen aus dem Nord- und Zentralsektor in der Ukraine ab und verlegt sie in den Süden. Schaut man sich Truppenberichte an, könne man „von zwei Divisionen ausgehen“, die hier verlegt werden, betont der Militärexperte weiter. Das sei „schon einiges an Kräften“, zumal die Ukraine nicht alle Truppenbewegungen im Detail mitbekommen und melden könne. Insofern zeigten sie nicht das ganze Bild russischer Truppenbewegungen.
Sommer in der Ukraine bietet optimale Bedingungen für Russlands Streitkräfte
Was aber könnte das konkrete strategische Ziel einer neuen russischen Offensive im Süden der Ukraine sein und wie realistisch wäre ein Erfolg Putins dabei? „Die Saporischschja-Offensive wurde schon im Frühjahr diskutiert als mögliche zweite Stufe der Donbas-Offensive“, erklärt Gressel. Saporischschja liege im Gegensatz zum Oblast Cherson, das durch seine Trennung durch den Fluss Dnipro nicht leicht in Gänze erobert werden könne, „durchaus in Reichweite“ für Putin.
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Eigentliches Ziel der immer noch laufenden Offensive Putins im Donbas sei gewesen, die Region Donezk vollständig zu erobern. Von ukrainischer Seite sei aber auch diskutiert worden, dass Russland nach Erreichen seiner operativen Ziele in Donezk von dort aus weiter nach Süden ins Oblast Saporischschja hinein vorstoßen könnte. „Jetzt ist es trocken, jetzt ist Sommer, jetzt ist es heiß. Jetzt sind alle Wege, die im Süden viel dünner gestreut sind als im Osten, fest“, fügt Gressel hinzu.
Logistisch sei Russland damit zu dieser Jahreszeit in der Südukraine in der optimalen Situation. Gressel betont weiter: „Es kann daher gut sein, dass die Russen das Fenster des Sommers nutzen wollen, um im Süden der Ukraine noch einmal verstärkt vorzurücken.“ Dabei dürften sie auch darauf hoffen, dass die Ukraine Truppenverbände aus dem Süden herauslöst und in den Osten verlegt, damit sich Lücken in den dortigen ukrainischen Verteidigungslinien ergeben.
US-Militärexperte Watling: Russland zielt darauf ab, die Front zu verbreitern
Außerdem werde sich der Ukraine Militärexperte Gressel zufolge zeitnah nicht die Gelegenheit bieten, „eine Gegenoffensive auch wirklich zu starten“. Dazu fehle es den ukrainischen Streitkräften an Munition und an Reserven – schon für kleinere Gegenangriffe. Russland dagegen habe trotz aller materiellen Einschränkungen noch materielle Reserven, den Krieg fortzusetzen. Etwa bis 2026, 2027, schätzt Gressel.
Jack Watling vom Royal United Services Institute erklärte schon Ende Juni gegenüber dem US-Politikmagazin Politico, dass Russland durch die Ausdehnung der ukrainischen Streitkräfte auf einer breiten Frontlinie die Grenzen seiner personellen materiellen Engpässe überwindet.
Die Breite der Angriffe habe die Ukraine gezwungen, ihre Artillerie zu verteilen und Munition zu verbrauchen, um aufeinander folgende russische Angriffe zu unterbrechen. „Russlands Ziel ist es nicht, einen großen Durchbruch zu erzielen, sondern die Ukraine davon zu überzeugen, dass es einen unaufhaltsamen Vormarsch Kilometer für Kilometer entlang der Front aufrechterhalten kann“, erklärte Watling in einer Analyse. (fh)