Storytelling-Profi Veit Etzold - Wir brauchen jetzt mehr Bismarck als Baerbock, Pragmatismus statt Pippi Langstrumpf

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FOCUS online Trump triumphiert erneut: Die Gründe für seinen klaren Wahlsieg

Lange ruhte sich Deutschland darauf aus, andere Länder zu belehren, die Wirtschaft durch China-Exporte am laufen zu halten, billiges Öl und Gas aus Russland zu bekommen und von Amerika beschützt zu werden. Durch Trumps Sieg bleiben nur noch die Moralpredigten übrig. Das muss sich endlich ändern.

Trump: Der Tritt in den Hintern, den Deutschland (offenbar) braucht

Deutschland, einst das Land der Ingenieure und Vordenker, weiß genau, was zu tun ist, kommt aber trotzdem nicht vom Fleck. Während die internationale Konkurrenz an Dynamik gewinnt und einzelne US Konzerne mehr wert sind als der ganze DAX-Index zusammen, tritt Deutschland in vielen Bereichen zunehmend auf der Stelle und verfolgt Nebenkriegsschauplätze, die außer den Deutschen oder deren Politikern niemanden auf der Welt interessieren.

Beispiele gefällig? Der Atomausstieg, der für kein Land ein Vorbild ist. Noch eins? Das vor kurzem von den Grünen geforderte Verbot des rückwärts Einparkens in Kiel.

„Wenn auf die Schulter tippen nicht reicht, muss man einen Vorschlaghammer nehmen“, sagt John Doe, der Killer in dem Psychothriller „Sieben“. Der Schlag oder der Tritt ist, ähnlich wie vor 8 Jahren, soeben erfolgt. Der Sieg von Donald Trump in den USA, der in Deutschland (mal wieder) viele überrascht hat, verdeutlicht ein wachsendes Wahrnehmungsdefizit.

Während Deutschland keine richtige eigene Story hat, erzählt es sich gleichzeitig ständig eine Story, wie die Welt sein sollte – unabhängig davon, ob die Welt wirklich so ist. 

Vor allem bei der Selbstwahrnehmung und Darstellung gegenüber den internationalen Partnern fehlt Deutschland eine klare Linie. Von einem klaren nationalen Interesse wie in den USA fehlt jede Spur – und das, obwohl Deutschland ebenso wie Amerika ein entscheidender Akteur in seiner Region ist. Als größte Volkswirtschaft der Eurozone ist es sogar das Gegenstück zu Amerika in Europa

Über Veit Etzold

Über Veit Etzold
Veit Etzold

Prof. Dr. Veit Etzold ist Vortragsredner, CEO-Coach und Berater für Strategie und Storytelling. Mit 20 Jahren Erfahrung in Banking, Versicherung, Strategieberatung und Executive Education sowie als 12-facher Spiegel-Bestsellerautor verbindet er Business- und Bestseller-Kompetenz. Als Professor für Marketing/Vertrieb und Direktor des Competence Centers für Neuromarketing an der Hochschule Aalen ist er außerdem Keynote Speaker zum Thema Storytelling.

 

Pippi Langstrumpf statt Pragmatismus – ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt

Ähnlich wie vor acht Jahren ist niemand in Berlin auf einen Trump Sieg vorbereitet. Weder in der Politik, noch in der Bevölkerung. Viele Deutsche beziehen ihre Informationen lediglich aus einem begrenzten Spektrum wie ARD und ZDF, wodurch das, was der deutsche Michel zu hören bekommt, eher ein "Wünsch dir was" als eine faktenbasierte Berichterstattung ist.

Michael Kappeler/dpa Baerbock und Habeck: viel Moral, wenig Ergebnisse

Problem dabei ist nur: Was Deutschland über die US-Politik denkt, interessiert Amerikaner nicht. Wenn allerdings im ZDF-Morgenmagazin Moderatoren über die „dummen“ Amerikaner und den unwählbaren Trump herziehen, wird das sehr wohl in der Pressemappe des Weißen Hauses ankommen. Und Trump ist jemand, der sich so etwas merkt. 

„Wer Armut bestellt, der bekommt sie auch“

„Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch“, sagte Kanzler Olaf Scholz. Bisher haben die Deutschen keine Führung, sondern Armut und Insolvenzen bekommen. 

Eine Vision, wie Deutschland sein sollte, gibt es schon gar nicht. Die deutsche Politiklandschaft hat es verpasst, eine konsistente Story und Vision für die eigene Zukunft zu entwickeln. Obwohl Deutschland die stärkste Wirtschaftsmacht der EU ist, mangelt es an einem klaren Plan, wie das Land seine Führungsrolle nachhaltig gestalten will.

Dieses passive Nichts-Tun und Nicht-Kommunizieren wird von deutscher Seite immer als notwendig dargestellt, um ja nicht den Eindruck eines dominanten Deutschlands zu gewinnen, das gleich wieder gegen Europa in den Krieg zieht. Abgesehen davon, dass man dafür eine funktionierende Armee bräuchte, wünschen sich Deutschlands Bündnispartner und Co-Europäer nichts mehr als ein Deutschland, das sagt, was es denkt und tut, was es sagt.  

Die aktuelle Regierung, die sogenannte Ampel-Koalition, tut das Gegenteil und ist weit davon entfernt, klare Antworten auf die wirtschaftlichen Herausforderungen zu geben. Masseninsolvenzen und ein zunehmender Vertrauensverlust in die Politik sind die Folgen. Auch hier könnte eine gute Story einiges bewirken. Und wenn es nur eine zweite „Blut, Schweiß und Tränen“ Rede à la Churchill wäre, die die Deutschen auf härtere Zeiten einschwört.

Die Menschen können mit schlechten Nachrichten umgehen, auch wenn die SPD das nicht wahrhaben will. Sie müssen diese schlechten Nachrichten nur vernünftig erklärt bekommen. Die gegenwärtige Politik hält die Deutschen, genau so wie das der Merkel-Mehltau 16 Jahre getan hat, nach wie vor im Wohlfühl-Lummerland gefangen. Und die Deutschen danken es der Politik, indem sie die Parteien, die den Karren an die Wand gefahren haben, immer wieder wählen. 

Das ganze ist umso tragischer, weil Deutschland nach wie vor als Hochburg des Ingenieurwesens und technischer Innovationen gilt und auch bei Patenten und Erfindungen nach wie vor ganz vorne mitmischt. Doch der bürokratische Überhang und die zunehmende Skepsis gegenüber der Marktwirtschaft ersticken diesen Geist.

Wenn Deutschland überhaupt eine Story erzählt, dann ist es die zwischen bösen Unternehmern und guten Politikern, die die guten Arbeitnehmer vor den bösen Ausbeutern schützen. Früher war es die soziale Marktwirtschaft, die Deutschland nach dem Krieg aufbaute und weltweit bekannt machte. Heute werden Kapitalisten mit Verfassungsfeinden gleichgesetzt. 

Mehr vom EXPERTS Circle

In Deutschland schwindet der Einfluss postmaterieller Narrative spürbar. Sozialforscher Andreas Herteux zeigt am Beispiel der Debatte um Udo Lindenbergs 'Sonderzug nach Pankow', warum die Gesellschaft sich nicht länger bevormunden lässt.

Ein möglicher Wahlsieg Donald Trumps löst bei vielen Besorgnis aus, doch Politik-Experte Joachim Krause sieht darin auch Chancen für Deutschland. In drei entscheidenden Bereichen könnte ein „Trump-Schock“ unser Land wachrütteln und dringend notwendige Veränderungen anstoßen.

„Die sind böse, die sind gut“ – die Anti-Story der deutschen Politik

Donald Trump wird in Deutschland gern vorgeworfen, er würde die USA „spalten“. Dabei spalten tatsächlich moralisierende Schuldzuweisungen Deutschland viel mehr. Die deutsche Politik neigt dazu, moralische Urteile über verschiedene gesellschaftliche Gruppen zu fällen.

Die Kategorien „gut“ und „böse“ sind fest in den öffentlichen Diskurs eingebettet. 

  • Unternehmen sind böse, Arbeitnehmer sind gut. 
  • Produzenten sind böse, Verbraucher sind gut. 
  • Gutverdiener sind böse, Geringverdiener sind gut. 

Dass dieser moralische Dualismus jede Entwicklung einer einheitlichen nationalen Identität behindert, dürfte klar sein. Dass diese Spaltung besonders von den Parteien betrieben wird, die sonst immer vom „wir“ reden, ist umso befremdlicher. Die SPD hat im Europawahlkampf sehr gut gezeigt, wie man damit baden gehen kann.

Ähnlich wie Kamala Harris, die nur vor Trump „warnte“, ohne zu zeigen, was sie besser macht, warnte die SPD immer nur vor „rechts“, ohne irgendeine wünschenswerte Zukunft zu zeigen. 

„Make Germany great again“

Gerade wenn die Zeiten unsicherer werden, wollen die Menschen einen klaren Kompass. Deutschland muss daher eine nationale Vision entwickeln, die das Land im globalen Kontext positioniert. Das macht jedes Unternehmen. Eine solche Vision ist mir bisher nicht bekannt und es wird höchste Zeit, diese Vision zu entwickelt. 

Als nächstes kommt die Strategie. Genau so wie ich es oft mit Unternehmen in Strategieworkshops mache: Wie kommen wir an Ziel? In Deutschland ist leider der Prozess immer viel wichtiger als das Ziel. Egal, ob wir alle Corona-Kranken erfassen, Hauptsache, wir nutzen das Faxgerät. Egal, ob massenhaft Unternehmen Pleite gehen, Hauptsache, wir erlassen noch eine neue Verordnung.

Die Strategie ist wichtig, um ein Ziel zu erreichen, aber die Strategie muss sich dem Ziel unterordnen. In Deutschland ist es genau umgekehrt. 

„Staaten haben keine Freunde, nur Interessen“, sagte Otto von Bismarck. Um Interessen glaubhaft vertreten zu können, braucht es eine Strategie und dazu eine Story. Derzeit sagt Deutschland überhaupt nicht, was es eigentlich will, sondern schreibt anderen vor, was sie nicht tun dürfen. Der Schlüssel für eine kurze und knappe Positionierung dazu liegt in einem ausgewogenen und gesunden nationalen Selbstbewusstsein.

Ein klarer, positiv formulierter „Elevator-Pitch“, also ein Wertversprechen für Deutschland, ein Leitbild, das Werte und Stärken vereint und im internationalen Umfeld ein modernes, progressives Deutschland repräsentiert, könnte dabei helfen. Die Struktur eines solchen Wertversprechens ist denkbar einfach: Wer sind wir? Was tun wir? Und wie machen wir das?

Zuletzt braucht Deutschland einen Kanzler – falls nicht Sahra Wagenknecht oder Alice Weidel gewählt werden, wird es wohl ein Kanzler sein – der eine glaubwürdige „Absenderstory“ erzählt, warum er der Richtige ist, um Deutschland nach vorne zu bringen. Altkanzler Gerhard Schröder konnte das. Sein Werdegang ist die Geschichte eines Mannes, der aus einfachen Verhältnissen stammte und sich Schritt für Schritt nach oben arbeitete.

Diese „self-made“-Erzählung verlieh ihm als Politiker eine besondere Glaubwürdigkeit. Sein Image als „Kanzler der Arbeiter“ und gleichzeitig „Genosse der Bosse“ klappte ohne große Reibungsverluste.

Wo ist der Schurke, den jede Story braucht?

Zuletzt braucht jede große Story, das sage ich meinen Mandanten immer wieder, auch einen Schurken. Die „Schurken“ sind aber nicht die „Anderen“, die Bürgergeldempfänger, die Flüchtlinge, die Migranten, die anderen Parteien oder die bösen Unternehmer: Der „Schurke“, gegen den es anzutreten gilt, ist nicht eine einzelne Person oder eine Gruppe – es ist die kollektive Selbstgenügsamkeit und Bräsigkeit, die fehlende Bereitschaft, innovativ und nach vorne gerichtet zu denken.

Dieser Schurke muss derart unattraktiv gemacht werden, dass das gesamte Volk ihn überwinden will. Auch wenn es viel Arbeit macht.

Dann schließlich kommt das Happy End: Die Erfüllung der Vision. Und die Story, was das für jeden einzelnen Stakeholder bedeutet: Den Landbewohner im Osten, den Unternehmer in München, den Facharbeiter bei Volkswagen oder den Professor in Berlin. Eine gute Strategiestory holt jeden ab und schließt keinen aus. Ist das harte Arbeit? Ja, ist es. Aber nichts zu tun und Deutschlands Niedergang einfach hinzunehmen wird garantiert noch unangenehmer.

Deutschland steht am Scheideweg: entweder weiter in der Unentschlossenheit und dem moralischen Relativismus verharren oder eine klare Richtung einschlagen. Ein erneuertes „Made in Germany“ und eine konsequente Strategie und Story können Deutschland in eine Zukunft führen, in der es als verlässlicher Partner auftritt, der seine eigenen Interessen vertritt und zugleich zur Stabilität und zum Wohlstand Europas beiträgt. Dafür lohnen sich eine gute Strategie, eine tolle Story und natürlich eine erfolgreiche Umsetzung!

PS: Für die Leser, denen dieses Ende zu schwülstig ist und für die Zyniker, die auch auf ihre Kosten kommen wollen, zitiere ich ganz zum Schluss den großen französischen Denker La Rochefoucauld: „Der Eigennutz kennt keine Grenzen. Nicht einmal den Gemeinnutz.“

Wie unsere Experts die Wahl Trumps bewerten

Content stammt von einem Experten des FOCUS online EXPERTS Circles. Unsere Experts verfügen über hohes Fachwissen in ihrem Bereich. Sie sind nicht Teil der Redaktion. Mehr erfahren.