Millionenstadt in Putins Visier: Spekulationen über gewaltigen Russland-Angriffsplan nehmen zu
Anfang des Jahres nehmen die russischen Angriffe auf die Region Charkiw deutlich zu. US-Militäranalysten schließen eine Großoffensive auf die zweitgrößte ukrainische Stadt nicht aus.
Charkiw - Es wäre das nächste Horrorszenario im Ukraine-Krieg, vielleicht nochmal eine Steigerung an Brutalität: Straßenkämpfe in einer Großstadt, in der viele Zivilisten leben. Das Kreml-Regime könnte derzeit eine Großoffensive auf die nach Einwohnern zweitgrößte Stadt der Ukraine nach Kiew planen.
Ukraine-Krieg: Plant Wladimir Putin eine russische Offensive auf Charkiw?
Die Rede ist von Charkiw im äußersten Nordosten des geschundenen Landes. Die Stadt beheimatet nicht nur rund 1,4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohner, sie ist mit mehreren Universitäten und Hochschulen auch ein bedeutendes Wissenschafts- und Bildungszentrum. Was Charkiw für den heimtückischen Moskau-Autokraten Wladimir Putin zu einem umso interessanteren Ziel macht?
„Russische Kräfte könnten in den kommenden Wochen ihre Anstrengungen verstärken, Kupjansk im Gebiet Charkiw zu erobern“, schreiben die Analysten des US-Think-Tanks Institute for the Study of War (ISW). Auch eine Offensive auf Charkiw selbst sei nicht auszuschließen, ordnet die amerikanische Denkfabrik verstärkte Angriffe Russlands mit Raketen und Artillerie auf die Millionenstadt sowie deren Umgebung Anfang Januar ein.

Mehr noch: Dass die Attacken erstmals seit Frühjahr 2022 wieder deutlich zunehmen, wecke Spekulationen, dass Putin vor der (undemokratischen) Präsidentenwahl in Russland (15. bis 17. März) eine Eroberung Charkiws befehlen könnte, schreibt Spiegel Online. Schließlich liege die Stadt nur 40 Kilometer von der russischen Grenze in der Region Belgorod entfernt.
Russische Oblast Belgorod: Ukrainische Armee stellt keine größere Truppenkonzentration fest
Die ukrainische Armee hat eigenen Angaben zufolge zwar keine größeren Truppenkonzentrationen festgestellt. Doch jüngste Berichte aus der Oblast Belgorod machen aufmerksam. Die Ukrainer hatten die gleichnamige Stadt Belgorod am 4. Januar vehement aus der Luft angegriffen, weswegen es laut russischen Berichten teilweise zu Evakuierungen kam. In mehreren umliegenden Gemeinden wurden demnach die Weihnachtsferien bis zum 19. Januar verlängert. Weil sich militärisch was zusammenbraut? Spekulation.
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Das ISW verzeichnete zuletzt zumindest „erhebliche Kämpfe“ rund um Kupjansk (früher 30.000 Einwohner), das etwa 80 Kilometer südöstlich der Stadtgrenzen von Charkiw liegt. Laut der US-Analysten sind die dort stationierten russischen Truppen weniger abgenutzt als andernorts. Kupjansk ist nicht nur ein strategisch wichtiger Eisenbahnknoten, von hier aus verläuft auch die Nationalstraße P07 bis kurz vor die Tore Charkiws.
Ukrainische Oblast Charkiw: Ukrainer halten nur begrenzten Landstreifen am Fluss Oskil
Laut ntv.de halten die Ukrainer hier nur noch einen begrenzten Landstreifen östlich des Flusses Oskil. Die Frage ist, wie stark zeitgleich das Hinterland bis zur Millionenstadt durch ukrainische Truppen gesichert ist. Offenbar werden indes die wenigen verbliebenen einsatzfähigen Leopard-2-Panzer zwischen den umkämpften Frontlinien bei Kupjansk und bei Kreminna, 90 Kilometer südöstlich gelegen, hin- und hergeschoben.
Nur ein Indiz unter mehreren, dass es jeweils besonders brennt. Wie Fotos von einem jüngsten Truppenbesuch des Präsidenten Wolodymyr Selenskyj dokumentieren, verfügen die ukrainischen Einheiten bei Kupjansk ferner über moderne Schützenpanzer CV 90 aus Schweden. Weil es dort bald Schlagkraft braucht? Charkiw könnte für Putin derweil aus verschiedenen Gründen militärisch erstrebenswert sein.
Schlacht um Charkiw: Russische Armee musste bei Ukraine-Großstadt Niederlage hinnehmen
Zum Beispiel fügten die ukrainischen Verteidiger den Invasionstruppen Moskaus hier bei der sogenannten „Schlacht um Charkiw“ zwischen Februar und April 2022 eine empfindliche Niederlage zu. Wie The Washington Post und Forbes später berichteten, soll es der 20. russischen Gardearmee nicht gelungen sein, die Stadt einzunehmen, obwohl sie angeblich mit 560 Schützenpanzern BMP-1 und rund 300 T-72-Kampfpanzern angriff.
Charkiw | |
Titel: | „Heldenstadt der Ukraine“ |
Region/Lage: | Oblast Charkiw / im Nordosten der Ukraine |
Einwohner: | 1,42 Millionen (vor Kriegsbeginn) |
bekannt durch: | wissenschaftliches und kulturelles Zentrum im Osten des Landes |
militärisch bedeutend, weil: | Industriezentrum (Elektro-, Nahrungsmittel- und Chemieindustrie; Maschinen- und Schienenfahrzeugbau), Verkehrsknotenpunkt (Flughafen, Eisenbahn) |
Am 27. Februar wurden russische Soldaten stattdessen nach heftigen Straßenkämpfen von Territorialverteidigungskräften aus den Vororten vertrieben und ab Mai war Charkiw schließlich einer der Ausgangspunkte für die erfolgreiche ukrainische Gegenoffensive im Sommer 2022, bei welcher die 20. Gardearmee bis hinter die Grenze zurückgedrängt wurde. Wegen der Widerstandsfähigkeit zeichnete Selenskyj Charkiw später als „Heldenstadt der Ukraine“ aus. Eine vermeintliche Schmach, die Putin ausmerzen will?
Russische Offensive gegen Charkiw? Ukrainischen Verteidigern geht die Munition aus
Es ist nicht der einzige geschichtliche Bezug, Putin denkt bekanntlich in historischen Dimensionen: Im August 1943 hatte die Rote Armee der Sowjetunion die deutsche Wehrmacht in der Belgorod-Charkower Operation vernichtend geschlagen. Heute könnte den Russen bei Charkiw der akute ukrainische Munitionsmangel wegen stockender Lieferungen aus dem Westen in die Karten spielen.
Wie das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit Verweis auf US-General a.D. Ben Hodges berichtet, müssen die Ukrainer Artilleriegeschosse längst rationieren. Entsprechend schwierig sei es, Verteidigungsstellungen zu halten. Nach Angaben des ukrainischen Militärs musste an mehreren Orten die Feuerrate im Vergleich zum Sommer 2023 um 90 Prozent heruntergefahren werden. Weswegen es bald wieder um Charkiw gehen könnte? (pm)