Arbeiten Deutsche zu wenig? Es gibt viele Ideen, dabei ist die Lösung so simpel

1343 Arbeitsstunden leistete der durchschnittliche Deutsche im Jahr 2023. Das waren rund 600 Stunden weniger als noch 55 Jahre zuvor und ist die niedrigste Zahl für alle 34 OECD-Länder. Was positiv ausgedrückt ein Zeichen von Wohlstand ist, ist vielen Politikern und Ökonomen in diesen Tagen ein Dorn im Auge. Sie argumentieren, dass wir jetzt wieder anpacken müssten, um die aktuelle Wirtschaftsflaute zu bekämpfen. 

Angesichts der Tatsache, dass durch demografischen Wandel und Fachkräftemangel die Zahl der Erwerbsfähigen jedes Jahr sinkt, müssten die Verbliebenen eben mehr arbeiten. An knackigen Formulierungen dafür mangelt es nicht: „Über mehr Freizeit kann man nur bei steigendem Wohlstand reden“, sagt etwa Ifo-Chef Clemens Fuest. „Mit Work-Life-Balance können wir unseren Wohlstand nicht erhalten“, sagte vergangene Woche Merz.

Von markigen Sprüchen wird aber niemand länger im Büro bleiben oder seinen Teilzeit- gegen einen Vollzeitjob eintauschen. Wie wollen diejenigen, die glauben, wir müssten mehr arbeiten, Menschen in Deutschland genau dazu motivieren? Wir haben die Ideen angeschaut, die in den vergangenen Monaten vorgebracht wurden und analysieren, wie sie helfen – oder nicht.

Einen Feiertag streichen

Wer hat es vorgeschlagen? Die Idee, einen Feiertag zu streichen, um die Wirtschaftsleistung zu erhöhen, ist nicht neu. 1995 wurde der Buß- und Bettag für die Einführung der Pflegeversicherung abgeschafft, wenige Jahre später schlug der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder vor, den Tag der Deutschen Einheit auf einen Sonntag zu schieben. Zuletzt waren es der Verband der bayrischen Wirtschaft und der Chef des Instituts der Deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, die diesen Vorschlag vorbrachten. 

Was ist die Idee? Der Grundgedanke ist simpel: Fällt ein Feiertag weg, arbeiten alle Deutschen an diesem Tag ganz normal. Die jährliche Arbeitszeit steigt also an, das Bruttoinlandsprodukt auch – die Löhne aber nicht. Der Vorteil: Unternehmen bekommen für das gleiche Geld mehr Arbeitsleistung.

Was bringt es wirklich? Nach Berechnungen des IW würde ein zusätzlicher Arbeitstag das Bruttoinlandsprodukt um 8,6 Milliarden Euro pro Jahr erhöhen. Das klingt viel, wären aber genau 0,2 Prozent. Die jährliche Arbeitszeit würde dadurch auch ansteigen. Von 1343 Arbeitsstunden pro Jahr ginge es auf etwa 1350 nach oben. Damit wären wir in der OECD-Statistik immer noch auf dem letzten Platz. Dass die Zahl der Feiertage weder mit der Arbeitsleistung noch mit der Wirtschaftskraft korreliert, zeigen Zahlen aus anderen Ländern. Malaysia etwa hat mit 18 Feiertagen doppelt so viele wie in Deutschland (die zudem in die Woche verlegt werden, wenn sie auf einen Samstag oder Sonntag fallen) und leistet trotzdem 2238 Arbeitsstunden pro Erwerbstätigen.

Steuerfreie Überstunden

Wer hat es vorgeschlagen? Steuerfreie Überstunden sind ein Wahlkampfthema der CDU/CSU gewesen, das es auch in den Koalitionsvertrag geschafft hat. Generalsekretär Carsten Linnemann (CDU) hatte die Idee erstmals 2023 vorgetragen, auch die FDP hatte sich dem angeschlossen.

Was ist die Idee? Bisher müssen bezahlte Überstunden genauso entlohnt und versteuert werden wie normale Arbeitszeit. Ausgenommen davon sind bisher nur die Zuschläge für Nacht-, Sonntags- und Feiertagsarbeit. Selbst dann ist die Steuerbefreiung aber auf 50 Euro pro Stunde begrenzt. Die Idee ist nun, alle Überstunden steuerfrei zu stellen. Das soll in der Theorie Arbeitnehmer dazu motivieren, mehr als die im Arbeitsvertrag festgelegten Stunden zu arbeiten, weil sie auf den zusätzlichen Lohn dann keine Steuern mehr bezahlen.

Was bringt es wirklich? Die Chefin des Deutschen Gewerkschaftsbundes, Yasmin Fahimi, nennt es eine „verrückte Idee“. Sie weist daraufhin, dass 2023 bereits 1,3 Milliarden Überstunden in Deutschland geleistet wurden, von denen die Hälfte unbezahlt war. „Überstunden sollen die Ausnahme sein, weil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer ein Recht auf Gesundheit und auf Freizeit haben“, sagte auch die SPD-Politikerin Katharina Barley.

Die Statistik würde diese Änderung wohl ebenfalls kaum verbessern. Selbst, wenn jeder Vollzeitangestellte eine Stunde mehr pro Woche arbeitet, würden wir weiterhin auf dem letzten Platz der OECD-Statistik stehen.

Das Recht auf Teilzeit abschaffen

Wer hat es vorgeschlagen? Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer, bezeichnet es im Interview mit dem Handelsblatt vor einem Jahr als einen „Fehler“, dass das Recht auf Teilzeit gesetzlich verankert worden sei. Aus der Wirtschaftskrise kämen wir nur mit einer 40-Stunden-Woche.

Was ist die Idee? Das Recht auf Teilzeit gibt es in Deutschland seit 2001. Es besagt, dass Unternehmen ihren Mitarbeitern eine Reduktion von Voll- auf Teilzeit gestatten müssen. Dafür gibt es diverse Voraussetzungen, aber grundsätzlich ist es jedem Arbeitnehmer möglich. 2019 wurde mit der Brückenteilzeit zudem ein Recht auf temporäre Teilzeit geschaffen. Würden diese Rechte wieder abgeschafft, würden mehr Menschen in Vollzeitjobs zurückkehren und damit die geleisteten Arbeitsstunden deutlich ansteigen – so die Logik Kretschmers.

Was bringt es wirklich? Tatsächlich hat Deutschland eine der höchsten Teilzeitquoten der Welt. 20,8 Prozent aller Erwerbstätigen betraf es 2023. Aber: Der Großteil davon sind Frauen, insbesondere Mütter mit kleinen Kindern. Für diese gibt es nicht die Möglichkeit, Vollzeit zu arbeiten, weil es an Kinderbetreuungsplätzen fehlt. Würde ihr Recht auf Teilzeit abgeschafft, würden also viele wahrscheinlich gar nicht mehr arbeiten, anstatt in Vollzeitjobs zurückzukehren. Ironischerweise würde sich dadurch die OECD-Statistik verbessern, da diese den Durchschnitt pro Arbeitnehmer abbildet – wer nicht mehr arbeitet, fällt da also heraus. Für das Bruttoinlandsprodukt wäre das aber nicht hilfreich.

Die Frauenerwerbstätigkeit erhöhen

Wer hat es vorgeschlagen? Die eigentlich simpelste Lösung geht in der öffentlichen Diskussion unter, dabei wird sie von breiten Experten getragen. Sowohl der Chef des Deutschen Institutes für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, als auch die Bertelsmann-Stiftung, die dazu Studien durchgeführt hat, die ehemalige Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) und sogar die FDP im Bundestagswahlkampf waren dafür, die Erwerbstätigkeit von Frauen zu verbessern. Auch die neue Ministerin Karin Prien (CDU) hat sich dafür ausgesprochen, ebenso Sozialverbände.

Was ist die Idee? 76,8 Prozent der Frauen zwischen 20 und 64 Jahren hatten 2023 einen Job in Deutschland. Das ist im internationalen Vergleich ein sehr guter Wert, wenngleich weiterhin niedriger als bei Männern. Aber: 35 Prozent der Frauen arbeiten nur in Teilzeit, unter Müttern mit einem Kind von maximal 12 Jahren sind es sogar fast 70 Prozent. Nach einer Umfrage des Bundesfamilienministeriums würde rund die Hälfte der nur in Teilzeit beschäftigten Frauen gerne Vollzeit arbeiten. Wäre das möglich, würden die geleisteten Arbeitsstunden in Deutschland nach oben schnellen – ohne Zwang, nur dadurch, dass Menschen so viel arbeiten können wie sie wollen.

Was bringt es wirklich? Hier liegt tatsächlich der größte Hebel für die deutsche Wirtschaft. Das Bundesfamilienministerium schätzt, dass uns derzeit die Arbeitszeit von 840.000 Vollzeitstellen verloren geht, weil Frauen in Teilzeit arbeiten. Das würde ausreichen, um den derzeitigen Fachkräftemangel abzudecken. Auf die Zukunft hochgerechnet, würde es zumindest einen hohen Anteil abfedern. Auch für die durchschnittlichen Jahresarbeitsstunden wäre es vorteilhaft. Gehen wir davon aus, dass von den 840.000 Vollzeitstellen ein Viertel komplett neu entsteht und drei Viertel ehemalige Teilzeitarbeiterinnen sind, würden wir uns in der OECD-Statistik auf 1362 Stunden pro Jahr und Erwerbstätigem verbessern.

Um dies zu ermöglichen, müssten Frauen, besonders Mütter, die Chance dazu haben, Vollzeit zu arbeiten. Dazu wiederum sind aber Reformen an ganz anderer Stelle notwendig – statt steuerfreier Überstunden braucht es dazu kostenfreie und flächendeckend verfügbare Kita- und Ganztagsschulenplätze und flexible Arbeitszeitmodelle, die es ermöglichen, auch den Kindern gerecht zu werden.