„Kamelle!“: Das sind meist billige Bonbons, die Karnevalisten vom Wagen werfen, das Meiste landet direkt im Müll. Die Karnevalsgesellschaft Grüne Rheinfunken aus Köln will es anders machen. Die grünen Funken verteilen Fairtrade-Schokolade, plastikfreies Kaugummi und Obst und Gemüse aus der Region.
Während des letzten Kölner Karnevals hat der Verein beim Umzug durch das Stadtviertel Sülz am Karnevalssonntag unter anderem 250 Tüten Popcorn, 500 Packungen Reiswaffeln und 5.000 Packungen plastikfreies Kaugummi geworfen: alles Spenden. Ehrenamtliche Lebensmittelretter steuerten geretteten Brokkoli und Co bei. Alles nach dem Motto: Schenken statt Werfen.
„Was, wenn mich meine Kinder eines Tages fragen?“
Olivér Szabó (47) aus Köln ist der Kopf der Karnevalsgesellschaft. Nach dem Studium arbeitete er zunächst im Sportmarketing. Über die Jahre nahm er die Folgen des Klimawandels immer bewusster wahr: heißere Sommer und häufigere Unwetter. Dann stellte sich der Familienvater die entscheidende Frage: „Was, wenn meine Kinder mich eines Tages fragen: ‚Warum hast du nichts getan?‘“ Er wollte Teil der Lösung sein.
2019 machte er sich deshalb mit einer nachhaltigen Event- und Projektagentur selbstständig. Die Idee, Ökologie und Karneval zu verknüpfen, kam Szabó während einer Radtour durch Köln. Auf einer Informationstafel las er, dass Kölner Karnevalisten allein beim Rosenmontagsumzug 300 Tonnen Süßigkeiten werfen – die meisten letztlich: weg. Aus dem Geistesblitz wurde ein Funke, und so heißen mehrere Kölner Karnevalsgesellschaften: die roten, blauen und die rosa Funken.
Bäume auf der Narrenkappe
„Hätte mir jemand gesagt, dass ich mal einen Karnevalsverein gründe, hätte ich gesagt, du spinnst“, sagt Szabó. Noch immer bezeichnet er sich nicht als Karnevalisten. Doch offizielles Gründungsdatum der Grünen Rheinfunken ist der 11.11.2019 – der Tag, wenn um 11:11 Uhr die Karneval-„Session“ beginnt.
Mit sieben Freunden hielt er damals die Idee in einer Kneipe auf einem Bierdeckel fest. Sechs Jahre später sind die Rheinfunken ein eingetragener Verein mit 25 ehrenamtlichen Mitgliedern zwischen 20 und 50 Jahren. Das Aufnahmeprozedere bei den Rheinfunken ist dann aber doch wie bei vielen anderen Karnevalsgesellschaften: Neulinge brauchen einen Bürgen und sie werden erstmal ein Jahr lang Mitglied auf Probe.
Die „Veedelszüge“, wie der Zug durch Sülz, an dem die Grünen Funken teilnehmen, sind kleiner als der fernsehbekannte Rosenmontagsumzug. Im Lastenrad rollt der Nachschub, wenn ihnen die Süßigkeiten ausgehen, die Grünen Rheinfunken tragen das Wurfmaterial in den Taschen und auf dem Kopf sitzt die Narrenkappe mit eigenem Logo: ein umgestaltetes Kölner Stadtwappen mit Bäumen und Wassertropfen statt Kronen und Tränen.
„Jeder hat seine eigene Kappe mit Tier- oder Pflanzenmuster“, sagt Szabó. Genäht werden die Kappen in der Sozialwerkstatt der Justizvollzugsanstalt Köln. In diesem Jahr kamen zu den Kappen auch upgecycelte Kostüme aus Fahnen hinzu, die ihnen das Kölner Stadtmuseum gespendet hat. Perspektivisch wollen sich die Grünen Funken auch eine Uniform als gemeinsames Kostüm zulegen, damit sich nicht jeder von ihnen Jahr für Jahr ein neues besorgen muss – das finden sie nicht nachhaltig.
Süßigkeiten im Kreislauf
Eine andere Idee von Szabó und seinen Mitstreitern ist der „Kamelle-Kreisel“. Wer bei den Schul- und Veedelszügen oder auf dem Rosenmontagszug mehr Süßigkeiten gesammelt hat als er essen kann, gibt sie bis zum Rosenmontag bei einer Lebensmittelausgabestelle für sozial benachteiligte Menschen ab. Wer umgekehrt Wurfmaterial braucht, kann die Süßigkeiten gegen Spende für die Dienstagsumzüge erwerben. So entsteht ein Kreislauf mit dem Wurfmaterial.
Insgesamt wurden in diesem Jahr 100 Kilogramm Süßigkeiten gekreiselt. Mehr als 400 Euro Spenden wurden bei der Aktion gesammelt. Das Konzept war so erfolgreich, dass die Stadt Köln Szabó mit der Ausarbeitung eines Konzepts für die ganze Stadt beauftragte. Das nächste Ziel ist es nun, alle Lebensmittelausgaben der Stadt einzubinden und mindestens 14 Tonnen Süßigkeiten zu erkreiseln. Eine ähnliche Idee ist der „Kostüm- und Schminktausch“, den die Grünen Funken in diesem Jahr auch zum ersten Mal angeboten haben.
Weniger Müll, weniger Kosten
Mit den Kamelle vom Kölner Rosenmontagszug lassen sich knapp 28 Müllautos füllen. Olivér Szabó findet das absurd: „Früher hat man vielleicht einen Beutel gesammelt – meine Kinder kommen heute mit vier Beuteln nach Hause.“ Das liegt auch daran, dass die Vereine glauben, bis zum Ende des bis zu 6,5 Kilometer langen Zugwegs Süßigkeiten werfen zu müssen, sagt Szabó. Er findet das Quatsch: „Es ist das Natürlichste der Welt, dass Dinge leer werden."
Der Projektmanager für Nachhaltigkeit will zum Umdenken anregen, möchte vermitteln, dass man Karneval auch ohne Überfluss feiern kann. Im Festkomitee des Kölner Karnevals sieht Szabó Nachholbedarf, denn bislang gibt es keinen Nachhaltigkeitsbeauftragten im Dachverband der Kölner Traditionsvereine. Und eine bewusstere Feierkultur würde auch die Stadt entlasten: Weniger Müll bedeutet weniger Straßenreinigungskosten. Geld, dass man sinnvoller einsetzen könnte, sagt Szabó.
Mit den Grünen Rheinfunken möchte Szabó am liebsten auch Beratungen für Schulen und Vereine zum Thema Nachhaltigkeit anbieten, eine Kölner Schule will er demnächst beraten. Er glaubt: Traditionelle Karnevalsvereine haben bisher wenig Interesse an nachhaltigen Veränderungen: „Die meisten arbeiten ehrenamtlich und haben keine Kapazitäten, sich mit solchen Themen auseinanderzusetzen.“
Szabó hofft, dass sich seine Ideen verbreiten, wenn die Rheinfunken erst bekannter werden, am besten auch über Köln hinaus: mit unabhängigen Ortsgruppen in anderen Städten entlang des Rheins, von Düsseldorf bis Mainz. „Wir brauchen nicht riesig zu werden“, erklärt Szabó. „Wir wollen viele kleine Impulse setzen.“