Der Aufruf sorgte weltweit für Aufsehen: Schon 2050 könnte die globale Erwärmung drei Grad Celsius erreichen, Deutschland müsse über den Rückzug von Nord- und Ostseeküste nachdenken, hieß es in einem Papier der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft (DMG) und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) von Ende September.
Wenige Wochen später steht jetzt die Weltklimakonferenz (COP 30) im brasilianischen Belém vor der Tür. Stehen die Forscher noch zu ihrer dramatischen Prognose? Und welche Hoffnungen verbinden sie mit der COP? Ein Gespräch mit Gunther Seckmeyer und Frank Kaspar, den Hauptautoren des Berichts.
FOCUS online Earth: Herr Professor Seckmeyer, Herr Doktor Kaspar, Ihr Klimaaufruf an alle politischen Akteurinnen und Akteure liest sich dramatisch. Ist bei der Kommunikation die Angst oder der Optimismus der richtige Weg?
Frank Kaspar: Es ist natürlich nicht unser Ziel, Angst zu verbreiten. Als Wissenschaftler sind wir ja zunächst mal in der Rolle, Fakten auf den Tisch zu legen. Die Fakten sind nicht erfreulich, das ist ganz klar. Wir wissen aber gleichzeitig, dass Lösungen existieren und Handlungen möglich sind. Diese Handlungen müssen stärker ausfallen, darauf hinzuweisen ist das Ziel unseres Aufrufs.
Gunther Seckmeyer: Wir haben den Eindruck, dass viele Informationen über den Klimawandel und über Entwicklungen in der Politik nicht so präsent sind, wie wir das uns wünschen. Da sind beängstigende Entwicklungen dabei, aber auch solche, die Hoffnung machen.
Wo sehen Sie beängstigenden Entwicklungen?
Kaspar: Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre nimmt weiterhin zu. Die Zunahme war mit 3,5 ppm (parts per Million) so hoch wie noch nie seit Beginn der Aufzeichnungen. Wir liegen deutlich oberhalb der Konzentration der vergangenen eine Million Jahre. In 2023/2024 erreichten die Temperaturen im globalen Jahresmittel erstmals den Wert von rund 1,5 Grad gegenüber dem vorindustriellen Niveau.
Wirksamer Klimaschutz müsste bedeuten, dass wir keine weitere Zunahme des CO2 in der Atmosphäre mehr sehen, sondern eine Stabilisierung und im Idealfall einen Rückgang der Konzentration. Das ist in den Daten alles überhaupt nicht erkennbar. Im Gegenteil: Seit dem ersten Bericht des Weltklimarates der Vereinten Nationen (IPCC) im Jahr 1990 sind die jährlichen Emissionen um 60 Prozent gestiegen.
Warum nehmen die CO2-Konzentrationen zu?
Kaspar: Ganz einfach. Wir verbrennen jedes Jahr mehr fossile Brennstoffe anstatt weniger, wie das immer wieder auf den Weltklimakonferenzen gefordert wird. Dadurch wird immer mehr CO2 in die Atmosphäre eingetragen. Wir eilen von Rekordwert zu Rekordwert und müssen uns auf immer neue Extremwerte einstellen. Deswegen nimmt bei uns in der Forschung die Sorge zu, dass das Problem nicht angemessen behandelt wird
Seckmeyer: Die Konzentrationen nehmen zu, weil wir Rekordemissionen haben, noch nie wurde so viel CO2 pro Jahr emittiert wie 2024, davor war das Rekordjahr 2023. Wir sind keineswegs auf einem Pfad, der zu einer Reduktion führt. Es gibt Studien, die befürchten lassen, dass die Aufnahmekapazität der Erde, im Ozean wie an Land, zunehmend erschöpft ist. Seit 1970 beschleunigt sich der Anstieg der Temperaturen, das ist beunruhigend.
In diesem Jahr kommen die Staaten bei der UN-Klimakonferenz in Belém zusammen, um über den weltweiten Kampf gegen die Klimakrise zu diskutieren.
FOCUS online Earth berichtet für Sie über die COP30: Alle wichtigen Entwicklungen, Hintergründe und aktuellen Updates können Sie hier im Ticker nachverfolgen.
Was läuft denn in der internationalen Klimapolitik falsch? Die Daten sind ja bekannt.
Seckmeyer: Die Maßnahmen reichen nicht aus, wir erkennen keine Reduktion. Es wurden noch nie so viele Treibhausgase in der Atmosphäre gebracht wie derzeit. Der Optimismus, dass wir auf dem richtigen Paris-Pfad sind, hat sich als unbegründet herausgestellt. Und wenn die Menschheit so weitermacht, dann werden die Ziele des Pariser Abkommens krachend verfehlt. Das ist in der internationalen Politik noch nicht richtig angekommen. Dazu haben sich viele politische Rahmenbedingungen verschlechtert, man muss nur in die USA zu schauen. Klar ist: Die Versprechungen der UN-Staaten reichen hinten und vorne nicht aus.
Gibt es auch Lichtblicke?
Seckmeyer: Die gibt es. Ein Hauptlichtblick ist China. 2025 sind dort die Emissionen offensichtlich zurückgegangen, obwohl das gar nicht geplant war. Die Chinesen bauen in einem atemberaubenden Tempo regenerative Energien und die Speicher aus, insbesondere für Solarenergie, weil die sehr billig geworden ist.
So dekarbonisieren sie gleichzeitig ihre Wirtschaft. Das machen die Chinesen vor allem aus wirtschaftlichen Gründen. Auch in Deutschland gibt es Hoffnungszeichen. Wir haben inzwischen mehr als 60 Prozent regenerative Stromerzeugung. Aber die Stromerzeugung ist eben nur für einen Bruchteil der Gesamtemissionen verantwortlich; in anderen Sektoren wie Heizung, Mobilität und Verkehr geht es eben nicht ausreichend voran.
Sie sagen in Ihrem Klimaaufruf, dass sich die Erde bereits 2032 um mehr als zwei Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit erwärmen und bis 2050 gar die Drei-Grad-Marke reißen kann. Worauf stützen Sie Ihre Annahmen?
Seckmeyer: Da muss ich sie korrigieren, das haben wir so nicht gesagt. Was wir gesagt haben, ist, dass ein Risiko für eine Überschreitung der 3-Gradmarke in 2050 besteht und vieles darauf hindeutet, dass dieses Risiko gestiegen ist. Das Problem ist: Wir haben eine Ambitionslücke, die bis zum Jahr 2100 mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Erwärmung von 2 bis zu 5 Grad gegenüber den vorindustriellen Temperaturen führt.
Schon die Ziele der Staaten sind viel zu gering bemessen, aber selbst die setzen wir nicht ausreichend um, was man als die zusätzliche Umsetzungslücke bezeichnet. Auf dieses Risikos hat auch schon der letzte Weltklimabericht hingewiesen. Ein Vergleich: Wenn Sie in ein Flugzeug steigen, und man sagt ihnen mit einer Wahrscheinlichkeit von fünf bis zehn Prozent, dass das Flugzeug abstürzt, würden Sie sich dann in dieses Flugzeug setzen?
In Ihrem Aufruf fordern Sie unter anderem, „den Rückzug aus tieferliegenden Küstenregionen an Nord- und Ostsee zu diskutieren“. Kann Deutschland das Leben der Menschen, die dort leben, bald nicht mehr schützen? Wie realistisch ist dieses Horrorszenario?
Seckmeyer: Tatsache ist: Der Meeresspiegel steigt inzwischen doppelt so schnell an wie noch vor 20 Jahren, und er ist in 2024 so groß gewesen wie noch nie. Es waren 5 bis 6 Millimeter allein im letzten Jahr, und es steigt immer schneller an. Das ist eingepreist, ein weiterer Meeresspiegelanstieg lässt sich nicht mehr verhindern. Was wir aber noch in der Hand haben, ist einen noch schnelleren Anstieg abzumildern und ihn nicht so stark werden zu lassen, dass man nicht mehr die Chance hat, sich mit Deichbau zu schützen.
Kaspar: Es ist ein Prozess, der sich sehr langfristig fortsetzt und der sich bei einer weiteren Erwärmung natürlich eventuell noch beschleunigt. Wir reden hier über etwas, was noch Auswirkungen nach mehreren Jahrhunderten haben wird. Deshalb fordern wir in unserem Aufruf, dass diskutiert wird, wie wir langfristig damit umgehen.
Aber was bedeutet das konkret? Werden die Menschen zwischen Emden und Usedom zu Klimaflüchtlingen? Was muss passieren, damit die Nord- und Ostsee bewohnbar bleiben?
Seckmeyer: Potentiell ist wohl die wirtschaftliche Existenz von Millionen von Menschen durch einen zu starken Anstieg des Meeresspiegels bedroht. Um das Risiko langfristig zu begrenzen, gibt es zum vollständigen Ausstieg der Nutzung fossiler Energien absehbar keine Alternative.
Kann das Ruder in der Klimapolitik überhaupt noch herumgerissen werden?
Seckmeyer: Ja, das ist immer noch möglich. Wir weisen auch darauf hin, wie es geht. Nicht im Detail, das kann nicht Aufgabe des Aufrufs sein. Der wichtigste Punkt ist, und der steht in unserem 10-Punkte-Plan auch an Nummer 1: Das Bewusstsein muss sich ändern. Alle müssen sich der Gefahr durch die fortschreitende menschengemachte globale Erwärmung und der Dringlichkeit des Handelns bewusst werden. Da sind alle Bereiche gefragt: Physik, Meteorologie, alle Naturwissenschaften, Ingenieurswesen, Medizin, Politik, aber auch Gesellschaftswissenschaften.
Was war die Initialzündung für Ihren Aufruf? Wann hat es Ihnen gereicht?
Kaspar: Es gab schon vor sehr langer Zeit vergleichbare Aufrufe der beiden Gesellschaften, das letzte Mal 1987, da die drohenden Klimaänderungen schon damals absehbar waren. Obwohl also alles seit langem bekannt ist, sind die Maßnahmen unzureichend, und alle Beteiligten hatten den Eindruck, dass die Relevanz weiterhin noch nicht angemessen verstanden ist. Wir waren der Meinung, dass man jetzt noch mal alles klar auf den Punkt bringen und darauf hinweisen muss, dass wir uns keine weiteren Verzögerungen leisten können.
Seckmeyer: In den vergangenen zwei Jahren ist Dramatisches mit den Temperaturen an Land und im Meer passiert. Keiner hatte damit gerechnet, dass plötzlich so ein großer Sprung in den Temperaturen geschieht. Das hat die ganze Lage halt noch mal verschärft und uns weiter motiviert, am Aufruf intensiv weiterzuarbeiten.
Kaspar: Auch in Deutschland haben wir mit deutlichem Sprung eine neue Rekordtemperatur in 2024 gesehen, wo der Jahresmittelwert bei 10,9 Grad lag, das waren 0,3 Grad mehr als der vorhergehende Rekordwert. Gleichzeitig sehen wir ein abnehmendes gesellschaftliches Interesse an der Thematik, das ist besonders dramatisch.
Professor Dr. Gunther Seckmeyer vom Institut für Meteorologie und Klimatologie an der Leibniz Universität Hannover erforscht unter anderem die Folgen der Erderwärmung sowie den Einsatz regenerativer Energien.
Dr. Frank Kaspar ist Leiter der Abteilung Hydrometeorologie beim Deutschen Wetterdienst (DWD). Er ist Experte für Starkregen- und Klimarisiken und engagiert sich in der Klimakommunikation.
Professor Gunther Seckmeyer und Dr. Frank Kaspar waren beide als Autoren an der Verfassung des gemeinsamen Klimaaufrufs der Deutschen Meteorologischen Gesellschaft (DMG) und der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) zur Dringlichkeit des Klimaschutzes beteiligt. Beide sind Mitglied beider Fachgesellschaften.
Sind die Klimakonferenzen wie jetzt die COP in Belém mit Vertretern aus 197 Nationen also sinnlos?
Seckmeyer: Wir betrachten sie nicht als sinnlos, nur eben als nicht genügend erfolgreich, aber sinnlos sind sie deswegen noch nicht. Klimaschutz funktioniert nur international. Dazu gibt es gar keine Alternative. Man hat sich ja in Paris darauf geeinigt, dass die einzelnen Staaten jeweils ihre eigenen Ziele formulieren und danach handeln. Diese Ziele reichen in der Summe hinten und vorne nicht. Wenn die Einzelstaaten das nicht ambitionierter angehen, dann kann man auch von diesem internationalen Format nicht erwarten, dass plötzlich das große Wunder passiert.
Was muss jetzt bei der Weltklimakonferenz in Belém passieren? Welchen Einfluss hat die Bundesregierung?
Seckmeyer: Deutschland hat Gewicht in der Welt. Wenn Deutschland und die EU mit einer Stimme sprechen, schauen andere Nationen darauf, die Chinesen, die Inder, und auch in den USA schaut man drauf, vielleicht nicht die jetzige Trump-Regierung, aber auf der bundesstaatlichen Ebene schon.
Tatsächlich? Die USA hört darauf, was Deutschland in der Klimapolitik sagt?
Seckmeyer: Man muss unterscheiden, Amerika ist ja nicht gleich Amerika. Neben der Bundesebene gibt es da noch die einzelnen Bundesstaaten. Es ist von Bedeutung, wie sich Deutschland verhält, viel mehr, als es unserem eigenen Anteil an den Emissionen entspricht, wobei auch der nicht zu unterschätzen ist vor allem nicht der historische Anteil. Denn in der Historie liegen wir auf Platz 4 der Nationen, die das meiste CO2 emittiert haben, und das, obwohl wir gar kein so großes Land sind.
Welche Chance hat denn die internationale Gemeinschaft überhaupt? Die USA schicken nicht einmal hochrangige Vertreter zur COP 30, geschweige denn, dass US-Präsident Donald Trump persönlich kommt.
Kaspar: Wir haben ja gar keine andere Chance als drauf zu hoffen, dass es immer Akteure gibt, die den Klimaschutz voranbringen. Dann sind vielleicht manche Länder mal schneller, andere phasenweise hinten dran. Viele waren überrascht von der Entwicklung in China, das jetzt umfangreich Technologie für den Weltmarkt der Erneuerbaren Energien liefert. Es ist natürlich frustrierend, wenn wir regelmäßig Rückschläge sehen, aber trotzdem: Wir müssen die Hoffnung behalten.
Was steht auf Ihrem Wunschzettel für die COP 30?
Kaspar: Wir wünschen uns ein entschlosseneres Handeln. Wir haben viele Technologien, die Teil des Lösungsweges sind: vor allem inzwischen auch in den kritischen Bereichen Wärme und Mobilität. Die Beteiligten müssen überzeugendere Wege finden, dass diese Technik im internationalen Umfeld attraktiv ist. Teil des Appells ist auch, dass sich die
politischen Verantwortungsträger darum bemühen, Lösungen im internationalen Kontext zu finden.
Seckmeyer: Ich wünsche mir eine Zusammenarbeit wie damals nach der Entdeckung des Ozonlochs. 1987 gab es eine große Einigkeit in der internationalen Gemeinschaft. Es gab damals eine Enquete-Kommission des Deutschen Bundestags, die sich des Themas angenommen hat. Die war paritätisch besetzt von Wissenschaftlern und von Politikern, und die haben sich gegenseitig zugehört. Die Politikerinnen und Politiker waren sich schnell über alle Parteigrenzen hinweg einig, was zu tun ist. Mit dieser Einigkeit hat man Einigkeit in der EU hergestellt und dann weltweit. Ohne das entschlossene Handeln von damals hätten wir heute sehr viel größere Probleme mit der Ozonschicht und der UV-Strahlung. Das würde ich mir für heute beim Klimaschutz auch wünschen.
Fehlt es also heute an Einigkeit, Zuhören und auch an Durchsetzungskraft?
Seckmeyer: Na ja, im Moment erleben wir ja eher Verdrängung und Scheinlösungen, obwohl ich bei unserem Vortrag über den Klimaaufruf vor dem Parlamentarischen Rat für Nachhaltigkeit in Berlin schon das Gefühl hatte, dass die Parlamentarier beeindruckt waren. Die Frage bleibt natürlich, wie das in die Parteien reingetragen wird.
Gibt es Reaktionen auf Ihren Aufruf?
Kaspar: Es gab sehr vereinzelte Rückmeldungen aus der Politik. Die, die sich bei uns zurückgemeldet haben, haben sich positiv geäußert, aber das sind natürlich nur einzelne Vertreter gewesen. Es gab ein kurzzeitiges Medieninteresse, aber natürlich ist in den Medien schnell auch wieder ein anderes Thema auf der Tagesordnung. Im Sinne eines entschlossenen Handelns hätten wir natürlich auf noch umfangreichere Reaktionen und klarere Bekenntnisse gehofft.
Seckmeyer: Das Medienecho war durchaus beachtlich, es haben sehr viele große Magazine über den Klimaaufruf berichtet, auch viele Zeitungen, das ZDF, die ARD. Aus der Politik haben wir zunächst kaum Reaktionen erhalten, aber dann eben doch diese Einladung zu diesem Beirat. Welche Durchschlagskraft der Beirat hat, das können wir letztlich nicht sagen. Wir hoffen, dass die Erkenntnisse langfristig einsickern.
Was entgegen Sie denn Politikerinnen und Politikern, die sagen, man kann eh nichts machen?
Seckmeyer: Die Diskussion hatten wir tatsächlich in Berlin. Ich kann nur zitieren, was ich von vielen Kollegen im Ausland gehört habe, die mir überall auf der Welt, so etwa in Australien, Neuseeland, Südamerika oder Thailand gesagt haben: Euch Deutschen haben wir zu verdanken, dass die regenerativen Energien jetzt so preiswert sind, Eurer Ingenieurskunst und Eurem Erneuerbare Energien-Gesetz. Darauf können wir als Deutsche auch stolz sein. Leider ist es so, dass wir viele dieser Technologien selbst nicht ausreichend genutzt und Entwicklungen teilweise auch abgegeben haben, so dass China jetzt in vielen Bereichen führend ist.
Dennoch ein Mutmacher?
Kaspar: Genau, man könnte es ja auch als weitere wirtschaftliche Chance sehen, dass man eben die Herausforderung annimmt, in die wir jetzt kommen. Wenn man sich jetzt einem Energiesystem nähert, was eben zu 100 Prozent erneuerbar sein soll, dann werden nochmal zusätzliche Herausforderungen an diese Ingenieurskunst und an die Entwicklungsaufgaben gestellt, die dahinterstecken. Deutschland kann da für die relevanten Techniken wieder in die Vorreiterrolle kommen.
Macht Ihnen noch etwas Mut im Hinblick auf die aktuelle Weltklimakonferenz?
Kaspar: Es gibt weltweit Entwicklungen, die in die richtige Richtung deuten. Die Technologien, die im Klimawandel gebraucht werden, funktionieren und werden in vielen Regionen zunehmend eingesetzt. Sie werden immer wirtschaftlicher, das kann auch ein US-Präsident Trump nicht ignorieren. Was mir auch Hoffnung gemacht hat, ist das Engagement der Jugendlichen und Schüler für das Klima, etwa bei Fridays für Future. Ich denke, dass diese gesellschaftliche Grundstimmung nicht grundsätzlich verschwunden ist. Ich bin daher nicht völlig hoffnungslos.
Seckmeyer: Ich möchte noch einen kleinen Schritt weitergehen. Was wir derzeit weltweit erleben, ist eine Energierevolution. Die Preise für Solarmodule sind in den vergangenen zehn Jahren um den Faktor 10 gefallen, die Preise für Batteriespeicher fallen noch schneller. Es ist unglaublich, wie schnell das geht, und das gibt schon Anlass zur Hoffnung.
Dennoch importieren wir noch fossile Energie aus dem Ausland.
Seckmeyer: Ja, das stimmt. Wir kaufen jedes Jahr in Deutschland für etwa 80 Milliarden Euro fossile Energien aus dem Ausland ein. Wenn wir diese 80 Milliarden nicht mehr für fossile, sondern für regenative Energien ausgeben, dann bleibt der Großteil davon im eigenen Land. Das wäre ein Konjunkturprogramm ohnegleichen. Darüber wird aus meiner Sicht zu wenig gesprochen, aber damit verlasse ich jetzt etwas den Rahmen der Expertise der beiden Fachgesellschaften, weil es ein wirtschaftspolitisches Argument ist, aber das wäre meine Hoffnung.
Kaspar: Was mir noch wichtig ist: Wir haben für alle relevanten Bereiche überzeugende technische Lösungen. Wir müssen sie nur umsetzen.
Die Klimakonferenz tagt erstmals im Regenwald, der auf vielfältige Weise bedroht ist. Der brasilianische Präsident Lula da Silva hat zu seiner Rettung den Fonds TFFF (Tropical Forest Forever Facility) aufgelegt. Wie schätzen Sie diese Initiative für einen Regenwaldfonds ein?“
Kaspar: Grundsätzlich sind der Schutz von Wäldern und auch Wiederaufforstungsmaßnahmen ein wichtiger Baustein im Klimaschutz, aber es muss klar gesagt werden, dass dieser Baustein alleine die Problematik nicht lösen kann. An der erforderlichen Reduktion der Nutzung fossiler Brennstoffe kommen wir damit nicht vorbei.
Die TFFF-Initiative kann ein hilfreiches Instrument sein, um Anreize für den Schutz der Tropenwälder zu schaffen und dabei auch die globale Verantwortung sichtbar zu machen. Der tatsächliche Erfolg wird aber von vielen Details der Umsetzung abhängen, beispielsweise der Regelungen zur fairen Verteilung der Mittel, der Marktentwicklung und der Einbeziehung insbesondere indigener Bevölkerung vor Ort. Keinesfalls sollte die Diskussion aber dazu führen, dass andere wichtige Maßnahmen bei dem Verhandlungen in Brasilien in den Hintergrund treten.
Klimaschutz ist international. In den USA wird die Wissenschaft jedoch systematisch eingeschränkt. Wie stehen Sie dazu?
Seckmeyer: Das sehen wir mit großer Beunruhigung. Deswegen haben wir das auch in Punkt 10 des Aufrufs aufgenommen: Wir fordern, dass die wissenschaftsbasierte Information garantiert wird. Die wissensbasierte Meinungsäußerung und die Wissenschaftskultur müssen erhalten bleiben, in Deutschland ist das sogar ein Gebot des Grundgesetzes. Somit wäre es eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber weil die Wissenschaft weltweit bedroht ist - es ist wirklich schrecklich, was mir die Kollegen aus den USA erzählen -, ist es umso wichtiger, hier die Fahne hochzuhalten und noch geschieht das in Deutschland. Dafür bin ich dankbar.