„Im Umgang mit China ist Olaf Scholz in den Neunzigern hängengeblieben“
Vor einem Jahr hat sich die Bundesregierung einen Wegweiser zum Umgang mit Peking gegeben. Hält sie sich an ihre eigene China-Strategie? Eine Expertin hat Zweifel.
Es war eine schwere Geburt: Nach langen internen Streitigkeiten veröffentlichte die Bundesregierung am 13. Juli 2023 die erste deutsche China-Strategie. Auf mehr als 60 Seiten zeigt das Dokument auf, wie Deutschland mit seinem wichtigsten Handelspartner umgehen soll. Ein Jahr später stellt sich die Frage: Hält sich die Bundesregierung an ihre eigenen Vorgaben? Jein, sagt die Sinologin Mareike Ohlberg. Das Problem, so die China-Expertin von der Denkfabrik German Marshall Fund, sitze im Kanzleramt.
Frau Ohlberg, in der vor einem Jahr veröffentlichten China-Strategie heißt es: „China hat sich verändert – dies und die politischen Entscheidungen Chinas machen eine Veränderung unseres Umgangs mit China erforderlich.“ Hält sich die Bundesregierung an ihre eigene Vorgabe?
Zunächst ist es gut, dass es diese Strategie überhaupt gibt. Das Positive an der China-Strategie ist ja, dass bestimmte Veränderungen in China klar benannt werden und Deutschland sich vorgenommen hat, auf diese Veränderungen zu reagieren.
Aber?
Das Problem war von Anfang an die Umsetzung. Innerhalb der Ampel-Koalition stehen die verschiedenen Seiten ganz unterschiedlich hinter der China-Strategie. Das ist sozusagen ihr Geburtsfehler. Man konnte das gut bei der Cosco-Entscheidung beobachten.
Der chinesische Staatskonzern Cosco durfte sich nach langen Debatten im Juni 2023 an einem Terminal im Hamburger Hafen beteiligen, obwohl das Terminal als kritische Infrastruktur gilt.
Mehrere Ministerien waren gegen die chinesische Beteiligung. Und dann kommt der Bundeskanzler und sagt: „Ich weiß es besser, und wir machen es so, wie ich das möchte.“ Die Ministerien sind begrenzt auf ihren Kompetenzbereich, und am Ende entscheidet der Kanzler. Und solange der Kanzler so denkt und entscheidet, wie er das bisher getan hat, haben wir ein ziemlich großes Problem. Das war unter Angela Merkel schon so, und unter Olaf Scholz ist es noch schlimmer geworden. Olaf Scholz ist, was den Umgang mit China angeht, in Teilen leider in den Neunzigern hängengeblieben.
Zur Person
Die Sinologin Mareike Ohlberg leitet das Indopazifik-Programm bei der Denkfabrik German Marshall Fund. Zuvor war sie unter anderem Analystin beim China-Thinktank Merics. Ohlberg ist Koautorin des Bestsellers „Die lautlose Eroberung: Wie China westliche Demokratien unterwandert und die Welt neu ordnet“.

Meine news
„Scholz verkauft die Zukunft der europäischen Industrie“
Woran machen Sie das noch fest?
Schauen Sie sich die Debatte um die EU-Zölle auf chinesische E-Autos an.
Diese Zusatzzölle gelten vorläufig seit Anfang Juli, die EU wirft China vor, mit massiv subventionierten E-Autos die europäischen Märkte zu fluten. Olaf Scholz hatte sich gegen die Zölle ausgesprochen, weil diese auch deutsche Autobauer in China treffen.
Kanzler Scholz stellt da aus meiner Sicht jedoch die Partikularinteressen einiger weniger deutscher Unternehmen, die Angst vor chinesischen Gegenmaßnahmen haben, über die europäischen und eigentlich auch die gesamtdeutschen Interessen. Es wäre in unserem Interesse, die europäische Industrie in bestimmten zukunftsrelevanten Zweigen zu schützen. Stattdessen will Scholz die Zukunft der europäischen Industrie für die kurzfristigen Interessen einer Handvoll deutscher Unternehmen verkaufen. So etwas können wir uns einfach nicht mehr leisten.
Scholz’ Sorgen sind nicht ganz unberechtigt. China hat bereits erste Gegenmaßnahmen angekündigt.
Chinas Kalkül ist es, seine Überkapazitäten zu exportieren, um damit die eigene, an anderen Stellen schwächelnde Wirtschaft aufzufangen. Auf Kosten der Europäer und anderer Länder. Und bislang hat Peking kalkuliert, dass Europa das einfach so schluckt. Im Umgang mit China wird das aber nie belohnt. Sobald man dort Schwäche wittert, nutzt man das voll aus. Wir als Europäer sollten sagen: Wir lassen nicht zu, dass unsere Industrien durch Wettbewerbsverzerrung komplett zerstört werden und China dann am Ende eine noch ausgeprägtere Monopolstellung hat.
Ein großer Teil der China-Strategie zielt darauf ab, kritische Abhängigkeiten von China zu reduzieren – Stichwort „De-risking”. Gleichzeitig sind die deutschen Direktinvestitionen in China 2023 auf ein Rekordniveau gestiegen.
Viele deutsche Unternehmen sind dabei, sich breiter aufzustellen. Sie sind vor allem in China vertreten, um wettbewerbsfähig zu bleiben und mitzukriegen, was dort überhaupt passiert. De-Risking heißt ja nicht, dass man komplett aus China weggeht. Es gibt aber eine kleine Anzahl an großen Unternehmen, die haben ihren Erfolg von China abhängig gemacht. Unter anderem die Autobauer.
„Die chinesische Unterstützung für Russland stellt eine Sicherheitsgefährdung für Europa dar“
Also haben diese Unternehmen nichts gelernt?
Da sind schon früh einige Fehlentscheidungen gefallen, die jetzt die Möglichkeiten für die Branche einschränken. Die Frage ist jedoch: Inwiefern lässt man zu, dass diese wenigen Unternehmen heute die gesamte deutsche China-Politik oder sogar die Linie in Brüssel beeinflussen?
Die China-Strategie kritisiert auch Pekings Nähe zu Russland. Welche Konsequenzen sollten aus dieser Nähe folgen?
Die chinesische Unterstützung für Russland stellt eine Sicherheitsgefährdung für Europa dar. In Teilen der Bundesregierung ist das auch angekommen. Aber im Kanzleramt offenbar noch nicht.
In Scholz’ SPD und in anderen Parteien glauben viele noch immer, China könnte dazu bewegt werden, Druck auf Russland ausüben, damit Wladimir Putin seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine einstellt.
Dieses Narrativ gibt es seit Beginn des Krieges, und es ist aus unerfindlichen Gründen noch immer nicht ausgestorben. Dabei ist es totaler Unsinn. Für China ist nicht Russland der Hauptfeind, sondern der Westen. Gemeinsam mit Russland bildet China deshalb eine Einheitsfront gegen die USA, gegen die NATO und damit auch gegen Europa. Deswegen wird China Russland nicht fallen lassen oder irgendetwas tun, das Russland gegenüber dem Westen schwächen könnte. Nur durch Chinas Unterstützung war und ist Russland überhaupt erst in der Lage, seinen Angriffskrieg in der Ukraine so zu führen, wie es das tut.
Ein weiterer Krisenherd ist Taiwan. China droht, sich den Inselstaat notfalls mit Gewalt einzuverleiben. Hilft da ein härteres Auftreten?
Vor allem hilft ein entschlossenes, konsequentes Auftreten. Wenn Deutschland glaubhaft kommunizieren würde, dass eine Invasion Taiwans ernsthafte Konsequenzen für die Beziehungen zwischen China und Europa hätte, dann hätte das ein gewisses Gewicht. Ich sage nicht, dass China sein gesamtes Kalkül davon abhängig machen würde. Aber Peking hat durchaus beobachtet, wie vergleichsweise resolut und geschlossen der Westen auf die russische Invasion der Ukraine reagiert hat.
Welche Lehren hat China daraus gezogen?
In China ging man sehr wahrscheinlich davon aus, Russland würde, wie bei der Annexion der Krim, mit einer Rüge und ohne signifikante Konsequenzen davonkommen. Auch, weil Peking sich vielleicht selbst von seinem eigenen Narrativ vom schwachen, handlungsunfähigen Westen überzeugt hat. Dass dann doch vergleichsweise harte Maßnahmen folgten, und zwar nicht nur von den USA, sondern auch von Europa, hat China überrascht. Das Problem ist nur: Wie soll Deutschland glaubhaft gegenüber Peking kommunizieren, dass eine Annexion Taiwans Konsequenzen nach sich ziehen würde, wenn wir eine Regierung haben, die so gespaltene Signale sendet – und deren China-Politik zum Teil von Unternehmen bestimmt wird, die sich von China abhängig gemacht haben?