Profitieren Kriminelle vom Cannabis-Gesetz? „Drogendealer sind Nutznießer“, heißt es aus den Bundesländern. Bestimmte Beweise dürften vor Gericht nicht mehr verwendet werden.
Ein Mann schmuggelt 450 Kilogramm Marihuana im Gesamtwert von 1,9 Millionen Euro nach Deutschland – und wird freigesprochen. So passiert am Landgericht Mannheim. Dabei hatte das Gericht eigentlich Beweise für die schon 2020 begangene Tat – es kann diese nach aktuellem Recht aber nicht mehr verwerten.
Die Behörden waren dem beschuldigten 36-Jährigen über verschlüsselte Chats auf die Schliche gekommen. Auswertung und Überwachung dieser Chats sind aber nur dann rechtlich erlaubt, wenn es um die Aufklärung besonders schwerer Straftaten geht. Weil Cannabis durch das neue Gesetz nicht mehr zu den Betäubungsmitteln zählt, ändern sich auch die Befugnisse der Behörden.
Cannabis-Delikte: „Nach dem neuen Gesetz sind gewisse Bewisse nicht mehr verwertbar“
Chatüberwachung sei nur noch bei „bandenmäßigem oder bewaffnetem Handeltreiben mit Cannabis in nicht geringer Menge“, erlaubt, schreibt das Rechtsmagazin lto unter Verweis auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs. Das Mannheimer Gericht sah das bei dem Mann nicht gegeben. Weil es nur um gewerbsmäßigen Handel mit einer nicht-geringen Menge gehe und weitere Bedingungen wie Bandenkriminalität nicht zuträfen, seien die Beweise mit Verweis auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs nicht mehr haltbar: Freispruch.
Das Urteil aus Mannheim sorgt bei mehreren Landesjustizministerien für Entsetzen. „Es geht um die Verwertbarkeit von gewissen Beweisen im Strafverfahren“, schildert Schleswig-Holsteins Justizministerin Kerstin von der Decken (CDU) im Gespräch mit IPPEN.MEDIA.
„Angenommen, ein Dealer ist angeklagt. Dann muss man beweisen, dass er mit Drogen gehandelt hat oder ähnliches.“ Vor dem Gesetz legal gewonnenen Beweismittel seien nun aber nicht mehr haltbar. „Das hat dazu geführt, dass Gerichte Menschen freigesprochen haben, von denen man weiß, dass sie im großen Umfang mit Cannabis gedealt haben.“ Ähnliche Urteile wie in Mannheim habe es auch in Berlin, Freiburg oder Stuttgart gegeben.
Cannabis-Lücke? „Drogendealer sind Nutznießer dieses Gesetzes“
So wie Schleswig-Holstein positionieren sich auch andere unionsgeführte Justizministerien. Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU) sagte: „Ausgerechnet Drogendealer, die im großen Stil gegen unsere Gesetze verstoßen, sind jetzt Nutznießer des neuen Cannabis-Gesetzes der Ampel-Regierung.“ Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) meinte: „Dadurch wird Deutschland für die organisierte Kriminalität zunehmend attraktiver.“
Meine news
Die unionsgeführten Länder fordern daher eine Änderung des Gesetzes. „Der Bundesjustizminister muss an dieser Stelle nachbessern, weil es hier zu einem völlig unerwünschten Nebenergebnis gekommen ist“, sagt von der Decken. Auch der Deutsche Richterbund fordert entsprechende Anpassungen.
Ob es die geben wird, ist nach Informationen von IPPEN.MEDIA jedoch fraglich. Am Donnerstagabend (6. Juni) standen Änderungen des Cannabis-Gesetzes auf der Tagesordnung des Bundestages. Dabei ging es aber vor allem um einen neuen THC-Grenzwert beim Autofahren und nicht um Anpassungen im Justizressort.
Neue Chancen für Cannabis-Dealer? Buschmann-Ministerium verweist auf „Verhältnismäßigkeit“
Dem von Marco Buschmann (FDP) geleiteten Bundesjustizministerium sind die Fälle bekannt. Es sei „von zentraler Bedeutung, der organisierten Kriminalität in all ihren Erscheinungsformen mit allen Mitteln des Rechtsstaates entschieden entgegenzutreten und sie zu bekämpfen“, heißt es auf Anfrage von einem Ministeriumssprecher. „Die Bekämpfung der Kriminalität muss allerdings mit rechtsstaatlichen Mitteln erfolgen, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung tragen.“
Bei der Telekommunikationsüberwachung etwa handle es sich um „sehr eingriffsintensive Ermittlungsmaßnahmen, die deswegen nur zulässig sind, wenn es sich um schwere beziehungsweise besonders schwere Straftaten handelt.“ Diese Entscheidung sei „Ausdruck des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes“. (as)