Gesundheitsminister-Chefin zu Lauterbachs Krankenhaus-Plan: „Es wird Klagen gegen dieses Gesetz geben“

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Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will die Krankenhäuser reformieren, spricht selbst von einer „Revolution“ – und erntet nach wie vor große Kritik aus den Ländern. © IMAGO/Chris Emil Janssen

Widerstand der Länder gegen die Krankenhausreform: Im Interview erklärt die Chefin der Gesundheitsminister, was sie an den Lauterbach-Plänen stört.

Karl Lauterbachs Krankenhausreform nimmt Konturen an. Der Gesetzesentwurf hat das Ampel-Kabinett passiert, der Bundestag soll ihn nun in Bälde verabschieden. Er soll finanziellen Druck auf die Kliniken mindern und einheitliche Qualitätsregeln verankern. So argumentiert zumindest die Regierung.

Die Länder sind vom aktuellen Entwurf weniger begeistert, wie Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU) im Interview mit IPPEN.MEDIA erklärt. Die Vorsitzende der Gesundheitsministerkonferenz meint: „Wir brauchen die Reform.“ Lauterbachs Vorschlag sei jedoch „realitätsfern“. Für die Ministerin ist daher klar: „Das Gesetz wird irgendwann vor dem Bundesverfassungsgericht landen.“

Frau von der Decken, Sie vertreten federführend die Länder bei bundespolitischen Gesundheitsthemen. Wie muss man sich Verhandlungen mit Karl Lauterbach vorstellen?

Bei den Bund-Länder-Treffen kommen die 16 Länder in einem großen Kreis mit Herrn Lauterbach und mehreren seiner Mitarbeiter sowie Vertretern der Bundestagsfraktionen zusammen. Dann sprechen wir in einem ruhigen, freundlichen Tonfall über unsere doch zum Teil divergierenden Ansichten.

Aktuell streiten die Länder mit dem Gesundheitsminister über die Krankenhausreform. Ihr Kern ist eine Umverteilung der Kompetenzen. Nicht mehr jede Klinik soll alles machen. Gerade bei komplizierten Eingriffen sollen die ran, die es am besten können. Ist das nicht eine gute Nachricht für die Patienten?

Natürlich, das haben wir auch immer gefordert. Wir brauchen eine Reform. Wir stehen vor großen Umbrüchen in unserer Gesellschaft, allein aufgrund des demografischen Wandelns. Selbst wenn wir das gesamte Geld der Welt hätten, haben wir nicht mehr die Menschen, die in der Fläche alles anbieten können. Ziel der Reform ist zum einen, die Grund- und Notfallversorgung in der Fläche sicherzustellen, und zum anderen, spezielle planbare Eingriffe zu bündeln. Das ist auch für die Menschen auf dem Land eine gute Nachricht. Weil sie dann bei komplizierten Eingriffen wirklich bei den Spezialisten behandelt werden.

Womöglich aber weiter dafür fahren müssen? 

Ich glaube, bei planbaren Eingriffen ist jeder bereit, länger zu fahren. Wir wissen, dass es nicht gut ist, wenn eine Klinik zum Beispiel eine komplizierte Knie- oder Hüft-OP nur dreimal im Jahr durchführt. Da ist es besser, man geht in eine Klinik, die das 300 Mal im Jahr macht. Es ist dann absolut zumutbar, wenn man dafür vielleicht eine Stunde Auto fahren muss.

Lauterbachs Krankenhausreform

Die Reform soll die bisherige Vergütung mit Pauschalen für Behandlungsfälle ändern. Künftig sollen Kliniken 60 Prozent der Vergütung schon für das Vorhalten bestimmter Angebote bekommen (Vorhaltepauschale). Grundlage der Finanzierung durch die Krankenkassen sollen „Leistungsgruppen“ sein. Sie sollen bestimmte Klinik-Behandlungen genauer beschreiben und bundesweit einheitliche Qualitätsvorgaben absichern.

Folge dieser Leistungsgruppen ist, dass nicht mehr jede Klinik alle Operationen anbietet. Kleinere Krankenhäuser werden wohl Kompetenzen abgeben, aber für die Grund- und Notfallversorgung zuständig bleiben. Planbare Eingriffe erfolgen dann zum Beispiel in den jeweiligen Fachkliniken.

Kritik an Lauterbachs Krankenhausreform: „Leistungsgruppen realitätsfern“

In einer Stellungnahme der Länder zu der geplanten Reform taucht 42 Mal das Wort „Leistungsgruppen“ auf. Ist das der Hauptfaktor, an dem es scheitert?

Grundsätzlich finden wir Leistungsgruppen gut. Der Bund ist für die laufende Betriebskostenfinanzierung zuständig und wir Länder für die Planung. Wir planen künftig nicht mehr mit Betten oder Abteilungen, sondern mit Leistungsgruppen und umgekehrt finanziert der Bund nur noch das, was innerhalb der Leistungsgruppen erbracht wird. Das ist ein gutes Modell. Wir streiten uns über die Ausgestaltung der Leistungsgruppen.

Sie haben zusammen mit Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen ein Gutachten zur Krankenhausreform erstellen lassen. Darin heißt es, dass der Referentenentwurf „die Planungsbefugnis der Länder übermäßig beschneidet“. Wie meinen Sie das?

Wir Länder planen vereinfacht gesagt zwei Dinge: Erstens, wo welches Krankenhaus steht und zweitens, was welches Krankenhaus anbietet. Das geschieht auf Basis von Daten und Fakten wie dem Alter der Bevölkerung oder der Verkehrsinfrastruktur. So erkennt man, wo wir im Land eine Über- und wo eine Unterversorgung haben und kann entsprechend die Leistungsgruppen zuweisen. Das ist unsere Planungshoheit. Der Gesetzesentwurf ist aber für die Umsetzung unserer Planungshoheit zu starr.

Inwiefern?

Die Ausgestaltung und die teilweise zwingende Koppelung der Leistungsgruppen sind realitätsfern. Bestimmte Leistungsgruppen müssen laut Entwurf immer zusammen angeboten werden. Das benachteiligt und gefährdet Fachkliniken. Darüber hinaus haben wir in allen Bundesländern teilweise hervorragende Kooperationen zwischen kleineren Krankenhäusern. Diese gut laufenden Kooperationen müssen wir aufrechterhalten können. Im Bund wird allerdings versucht, durch ganz strikte Vorgaben, wie auf dem Reißbrett, eine Krankenhausplanung zu machen, die bestehende, gute Strukturen zerschlagen könnte und mit der Realität einfach nicht übereinstimmt.

Kerstin von der Decken
Die Gesundheitsministerin von Schleswig-Holstein ist sich sicher. © IPPEN.MEDIA

Stoppen Gerichte Lauterbachs Krankenhausreform? „Es wird Klagen geben“

Bayern droht daher mit einer Klage. Sie auch?

Wir wollen eine verfassungskonforme und inhaltlich korrekte Krankenhausreform hinkriegen. Das heißt, wir denken im Augenblick noch nicht über eine Klage nach, sondern sind jetzt erstmal im parlamentarischen Verfahren. Wir hoffen, bei den Bundestagsfraktionen Gehör zu finden, und dann kommt der Bundesrat.

Das Gesetz ist nach aktuellem Stand im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig. 

Das halten wir für falsch. Trotzdem müssen wir erst einmal mit dieser Einstufung des Gesetzes das parlamentarische Verfahren weiter durchlaufen. Falls im Bundestag keine wesentlichen Anpassungen am Entwurf erfolgen, bin ich sicher, dass die Länder im Bundesrat mit einer Mehrheit den Vermittlungsausschuss anrufen werden. Dort wird es dann darum gehen, sich auf einen Entwurf zu einigen, mit dem Bund und Länder einverstanden sind. Erst, wenn das nicht klappen sollte, kann man über eine Klage nachdenken. Aber völlig unabhängig davon, ob ein Bundesland klagt: Es wird Klagen gegen dieses Gesetz geben.

Von wem?

Von Krankenhäusern oder Krankenkassen. Aber auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat eine Überprüfung bei der EU angekündigt. Dieses Gesetz wird irgendwann vor dem Bundesverfassungsgericht landen. Daher ist es so wichtig, dass Bundestag und Bundesrat jetzt im parlamentarischen Verfahren nicht nur ein inhaltlich richtiges, sondern auch ein verfassungskonformes Gesetz hinbekommen.

Video: Opposition warnt vor drohendem Krankenhaussterben

Wie viele Kliniken müssen durch die neue Reform schließen?

Das kann ich nicht sagen. Der Bund verspricht uns seit eineinhalb Jahren eine Auswirkungsanalyse, aber wir haben bisher nichts bekommen. Aktuell heißt es, im September wären die Voraussetzungen dafür geschaffen. Aber, ob das so kommt, weiß ich nicht. Wir verlieren dadurch Zeit und beobachten in der Kliniklandschaft damit weiter leider das, was keiner will.

Das heißt?

Aufgrund einer unzureichenden Finanzierung, die in der Zuständigkeit des Bundes liegt, rutschen Kliniken derzeit in die Insolvenz. Das müssen wir stoppen. Bis die Reform ihre Wirkung entfaltet, werden zwei oder drei Jahre vergehen. Bis dahin muss der Bund eine Überbrückungsfinanzierung sicherstellen. Mit der Reform, die dann kommt, müssen wir nicht erreichen, dass wir jede Klinik erhalten. Wir brauchen aber eine neue Klinikstruktur, die Grund- und Notfallversorgung sowie Spezialisierung ermöglicht und die finanziell abgesichert ist. Doch der vorliegende Gesetzentwurf, wird das, was wir alle anstreben, nicht erreichen. (Interview: Andreas Schmid)

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