Russlands Sorge vor dem „aufgewachten Adler“: Der Westen schärft die Krallen
„Anflug von Panik“ im Kreml: In Russland steigt die Sorge vor dem „aufgewachten Adler“
Während der Westen seine militärische Unterstützung für die Ukraine verstärkt, wächst in Russland die Sorge. Die „roten Linien“ Putins verlieren an Bedeutung.
Moskau – Es dauerte nicht lang, bis Wladimir Putin nach dem Ausbruch des Ukraine-Kriegs von „roten Linien“ sprach, gen Westen drohte und so – mit anfänglichem Erfolg – die Unterstützung für die Ukraine untergraben konnte. Doch diese Zeiten sind längst vorbei. Der Westen, allen voran die USA und Deutschland, liefern dem kriegsgebeuteltem Land von Präsident Selenskyj nicht nur Hilfsgüter und Munition, sondern auch Waffen und Panzer. Russlands lang befürchtete Reaktionen blieben bislang vor allem eins: verbal.
Russland sorgt sich wegen aggressivem Westen: „Weckt keine schlafenden Hunde“
Doch während Experten gar einen taktischen Atomschlag nicht ausschließen, spekuliert ein Teil der westlichen Welt schon seit geraumer Zeit, dass Putin weder Verhandlungen noch Besänftigungen versteht, sondern für den 71-Jährigen lediglich das Wort des Stärkeren zählt. Dass der kollektive Westen das inzwischen begriffen hat, nimmt man auch in Russland zur Kenntnis – mit Sorge.
„Während die endlich aufgewachten westlichen ‚Adler‘ ihre Flügel spreizen und ihre Krallen schärfen, verwandeln sich unsere einheimischen ‚Falken‘ schnell in furchtsame Kanarienvögel. Doch ihre Friedensgesänge werden niemanden mehr interessieren. Die Bedingungen für die Beendigung des Krieges werden allein von den Adlern bestimmt. Nicht umsonst heißt es: Weckt keine schlafenden Hunde“, so beschreibt es einer beliebter russischer Militärblogger auf Telegram.
Die Furcht vom „aufgewachten Adler“ kommt zu einer Zeit, in der die USA und ihre Verbündeten der ukrainischen Armee genehmigt, westliche Waffen gegen Ziele in Russland einzusetzen; zu einer Zeit, in der die Ukraine kurz davorsteht, erste F16-Kampfjets zu erhalten.

Kritik an Russlands Kriegsführung – Staatsfernsehen warnt von ukrainischen Angriffen
Die Panik macht sich jedoch nicht nur hinter vorgehaltener Hand, wie etwa in den sozialen Medien, breit, sondern sogar im russischen Staatsfernsehen. So reagierte die Propagandistin Olga Skabejewa in der Russia-1-Sendung „60 Minuten“ auf die Berichte, indem sie eine Karte mit Regionen zeigte, die die Ukraine nun mit westlichen Waffen angreifen könnte. Im Mittelpunkt: US-amerikanischen ATACMS-Raketen, die Putin bereits auf der Krim Kopfschmerzen bereiten, sowie in den USA hergestellte Himars-Artilleriesysteme und die französisch/britischen koproduzierten Raketen „Storm Shadow“ beziehungsweise „Scalp“. Ein Ausschnitt der Sendung kursiert auf X.
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Doch während die russische Propaganda schwört, dass der letztendliche Kriegssieger jetzt „die Einsätze erhöhen“ müsse, hat Washington Kiew bisher nur erlaubt, die Waffen in begrenztem Umfang auf Russlands Gebiet einzusetzen. Dies gelte ausschließlich für Gegenschläge zur Verteidigung der ostukrainischen Großstadt Charkiw, teilte ein US-Regierungsvertreter der Deutschen Presse-Agentur mit. Von dieser Regelung ist Angaben aus Berlin zufolge auch der Einsatz von deutschen Waffen betroffen.
Aufgrund dieser Entwicklung könne sich der Kreml nicht mehr auf den „ängstlichen“ Scholz verlassen, schrieb ein laut Bayerischer Rundfunk (BR) bekannter Kremlgänger auf Telegram. Man beobachte nun sogar einen „Anflug von Panik“ in der Putin-Regierung. Derweil hat Bundeskanzler Olaf Scholz klare Worte in Sachen Aufrüstung gefunden: „Heute sehen wir klarer denn je, wie wichtig eine europäische und deutsche Verteidigungsindustrie ist, die alle wichtigen Waffengattungen und die nötige Munition kontinuierlich produzieren kann“, sagte der SPD-Politiker bei der Eröffnung der Internationalen Luft- und Raumfahrtausstellung (ILA) in Berlin. Die Politik in Deutschland habe um die Branche „in der Vergangenheit einen zu großen Bogen gemacht“. Doch das sei nun vorbei: „Der völkerrechtswidrige Angriff Russlands auf die Ukraine hat ganz Deutschland vor eine neue sicherheitspolitische Realität gestellt.“
Russischer Beamter gibt düstere Ukraine-Prognose ab: Pufferzone-Plan „eine Farce“
Der BR zitiert zudem einen „russischen Kommentatoren“ wie folgt: „Jetzt haben sie Angst. Niemand will mit ihnen reden. Nicht mal über strategische Stabilität, wie es Wladimir Putin kürzlich ausdrückte. Und das trotz aller nuklearen Drohungen, und der einzige Zweck dieser Drohungen besteht darin, einen normalen Dialog mit dem Westen in Gang zu bringen.“ Putin mache sich Illusionen, der neue Westen sei aber „aggressiv und fest entschlossen“.
Auch von offizieller Stelle gab es ungewohnt offene Worte. Der ehemalige Chef der russischen Weltraumbehörde und heutiger Beauftragter für die annektierten Gebiete in der Ukraine, Dmitri Rogosin, kritisierte dem BR nach die „große Mengen veralteter Waffen“, die Russlands Rüstungsindustrie liefere. Jetzt könne selbst der kremlfreundliche Viktor Orbán, seines Zeichens Ministerpräsident von Ungarn, den „Zug mit den Brüsseler Lokführern“ nicht mehr aufhalten.
Deutlich äußerte sich Rogosin auch über die aggressive Charkiw-Offensive der Russen: „Es ist anzumerken, dass unsere Offensive in der Region Charkow bereits ins Stocken geraten ist und die ganze Idee, eine Art Pufferzone zu schaffen, sich in eine Farce verwandelt.“ Vielmehr würden die Ukrainer mit ihren neuen Regeln schon bald damit beginnen, „eine solche Pufferzone“ nach ihren eigenen Maßstäben zu schaffen. (nak)