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Natürlich können Journalisten ihre Energie weiter darauf verwenden, Trump nicht zu mögen. Zumal er dafür reichlich Anlässe bietet.
Hilfreicher aber wäre es, wir würden unsere Energie dafür einsetzen, Trump zu verstehen. Denn die Simplifizierung und Dämonisierung von Trump führt zur Fiktionalisierung des Journalismus. Es gibt Meinungen und es gibt Fakten: Vor dem Urteil hat die Beweisaufnahme zu erfolgen. Der Journalismus ist, wenn er nicht dem Gesinnungsaktivismus verfallen will, der Wahrheitsfindung verpflichtet.
US-Präsidenten: Johnson und Nixon veränderten sich wie Trump jetzt
Und die Wahrheit über Trump ist die, dass es mehr als eine Wahrheit gibt. Dieser Präsident ist eine multiple politische Persönlichkeit, die sich noch dazu in einem rasanten Verwandlungsprozess befindet, dessen Ausgang niemand kennt, nicht mal er selbst. Sein Aggregatzustand ist nicht fest, sondern fluide.
Wir haben ähnliche Verwandlungsprozesse schon bei anderen US-Präsidenten beobachtet: Der Kennedy-Nachfolger Lyndon B. Johnson war innenpolitisch der große Versöhner. Er führte in den USA den Sozialstaat ein, den er „Great Society“ nannte. Er war der Sozialdemokrat unter den Demokraten.
Und dann? Stieg er mit vollem Einsatz in den Vietnamkrieg ein, täuschte – wie in den „Pentagon Papers“ dokumentiert – die Öffentlichkeit und setzte das Entlaubungsgift „Agent Orange“ gegen Zivilisten ein. Was als Zähmung des Kapitalismus begann, endete mit einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das Vietnam-Trauma der amerikanischen Jugend war die toxische Hinterlassenschaft von LBJ.
Anderer Charakter, gleiche Erfahrung: Richard Nixon war der Finsterling unter den Präsidenten, der mit einer Geheimaktion in die Demokratische Wahlkampfzentrale im Watergate-Komplex einbrechen und diese ausspionieren ließ. Das passte zu seinem Image als „Tricky Dicky“.
Derselbe Mann aber organisierte (an der Seite von Henry Kissinger) die Öffnung der USA nach China. Nie zuvor waren sich Kapitalisten und Kommunisten so nahe gekommen wie beim legendären Chinabesuch 1972. Der bis heute gebräuchliche Terminus „Only Nixon could go to China“ reflektiert die Vielseitigkeit des Kalten Kriegers Nixon, der Freund wie Feind durch seine Fähigkeit zur Realpolitik verwirrte.
Möglicher Krieg: So viel will Donald Trump für das US-Militär ausgeben
Auch Trump entzieht sich der Eindimensionalität: Der Mann, der das Eintreten für die „freie Rede“ zu seinem Markenzeichen erhob, betreibt heute die Absetzung seiner Kritiker in den Late Night Shows der USA.
Der Mann, der Putin vor wenigen Wochen noch als seinen Freund bezeichnete, ermächtigt die Ukraine neuerdings, russisches Territorium anzugreifen.
Der Mann, der seinen Wählern außenpolitische Abstinenz und damit eine Fortsetzung der „splendid isolation“ versprach, setzte sich gestern vor der US-Militärführung als Kriegspräsident in Szene. Zuvor hatte er für das kommende Jahr ein Militärbudget von einer Billion Dollar angekündigt und das Verteidigungsministerium in Kriegsministerium umbenannt. Gestern in Quantico, Virginia, sagte er: "Wir werden 2026 eine Billion Dollar für das Militär bereitstellen. Die Armee wird nicht politisch korrekt sein. Ihr Zweck ist nicht Gefühle zu schützen, sondern unsere Republik."
Die Gefahr drohe nicht allein von außen, sondern auch von innen, womit Trump das meinte, was die Administration nach der Ermordung von Charlie Kirk als „left wing terrorism“ beschreibt: "Wir werden von innen angegriffen, es ist wie eine Invasion, nicht zu unterscheiden von einem äußeren Feind."
Pete Hegseth: "Ihr tötet Menschen und zerstört Dinge"
Die Militarisierung der Außenpolitik: Was mit Sanktionspaketen und Zöllen als Teil der ökonomischen Kriegsführung begann, setzt Trump nun fort. Die Armee, der das gestrige Treffen galt, soll wieder die Schule der Nation sein. Sein Verteidigungsminister Pete Hegseth schwor in Virginia gestern die Führung der Streitkräfte auf ein neues Selbstverständnis ein: "Es gibt hier keine überbordenden Regeln für den Einsatz mehr. Ihr tötet Menschen und zerstört Dinge."
Und weiter: "Keine Identitätsmonate mehr, keine Diversity-Equity-Inclusion-Büros, keine Typen in Kleidern. Kein Klimawandel-Kult mehr. Keine Spaltung, keine Ablenkung, keine Gender-Illusionen mehr. Kein Ballast mehr."
Er ging seine obersten Militärs frontal – und das hieß: sehr persönlich – an: "Es ist ermüdend, auf Kampftruppen zu schauen, die fett sind. Ebenso völlig inakzeptabel ist es, in den Fluren des Pentagon fette Generäle und Admirale zu sehen. Das ist schlecht und es entspricht nicht dem, was wir sind."
Fazit: Wir erleben in sehr umfassendem Sinne die Mobilmachung der USA – im Innern wie im Äußeren. Die Entscheidung, ob Trump den Krieg vorbereitet, um den Frieden zu erhalten, oder ob er ihn vorbereitet, um gegen seine Feinde auszurücken, wird später fallen. Der Philosoph Nassim Taleb jedenfalls, Autor des Bestsellers „Der Schwarze Schwan“, hat zu diesem machiavellistischen Denken in Alternativen geraten: "Optionalität ist die einzige Quelle wirklicher Freiheit."