Billiges Russland-Gas als „süßes Gift“ – Verbandschef fordert Reform-Hagel von Merz-Regierung

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Die Merz-Regierung muss „radikal“ reformieren. Soweit die Forderung aus der Chemiebranche. Diese hatte zuletzt eine Erholung erlebt.

Frankfurt am Main – „Wir brauchen radikale Reformen“ – mit deutlichen Worten hatte sich Markus Steilemann, Präsident des Verbands der Chemischen Industrie, an die Merz-Regierung gewandt. Sei es in der Energiepolitik, bei Unternehmenssteuern oder bei der Bürokratie; es besteht massiver Nachholbedarf, um die gegenwärtige wirtschaftliche Flaute auszumerzen. „Ein Tanz auf Eierschalen oder Trippelschritte helfen nicht“, sagte Steilemann im Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

„Reformen, als gäbe es kein Morgen“ – Chemieverband stellt Forderung an Merz-Regierung

Wie es Tradition bei einer neuen Regierung ist, gibt er der Koalition aus Union und SPD 100 Tage Zeit. In diesen aber müsse sie „Reformen raushauen, als gäbe es kein Morgen“. Steilemann, zugleich Chef beim Leverkusener Kunststoffhersteller Covestro, forderte außerdem eine billigere Gestaltung der Energiewende.

Friedrich Merz im Bundestag.
Friedrich Merz im Bundestag (Symbolfoto). Die Merz-Regierung muss „radikal“ reformieren. Soweit die Forderung aus der Chemiebranche. Diese hatte zuletzt eine Erholung erlebt. © IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Hier kritisierte er die Ampel-Koalition. Diese sei noch dem „ideologiegetriebenen“ Ansatz gefolgt, „möglichst schnell möglichst viele Wind- und Solaranlagen zu bauen, selbst wenn die Kosten für das Stromnetz aus dem Ruder laufen“. Der Ausbau müsse vielmehr intelligent geschehen, „also entsprechend dem wirklichen Bedarf und nahe den Industriezentren“. Dort werde der Strom am meisten benötigt.

„Süßes Gift“ aus Russland – Verbandschef warnt vor erneutem Gas-Kauf

Steilemann sprach sich außerdem klar gegen die erneute Nutzung russischen Gases aus. Innerhalb der letzten Wochen drehte sich die öffentliche Debatte dabei vor allem um Nord Stream 2. Es gingen verstärkt Gerüchte um, dass ein amerikanischer Investor die funktionstüchtige Nord-Stream-2-Pipeline kaufen will. Diese könnte dann russisches Gas nach Deutschland oder von Deutschland aus in Richtung Mitteleuropa transportieren. Auch über Land-Pipelines wie die Jamal-Pipeline könnte Gas nach Deutschland gelangen.

Sowohl im jetzigen Kriegszustand der Ukraine als auch nach einem eventuell geschlossenen Frieden glaubt Steilemann nicht, dass dies die richtige Lösung sei. „Preiswertes Gas aus Russland war ein süßes Gift“, sagte er im Interview. „Wir haben ja erlebt, wie die russische Regierung unsere Abhängigkeit gegen uns eingesetzt hat.“ Daraus müsse Deutschland Lehren ziehen. Seit die europäischen Staaten ankündigten, sich von russischem Gas lösen zu wollen, protestierten Kritiker immer wieder gegen diesen Schritt. Für den Kreml-Chef Wladimir Putin ist die Gasversorgung Europas eine politische Waffe.

„Volatile Zollpolitik“ als Hemmfaktor – Merz-Regierung muss entgegenwirken

Am 20. Mai stellte der VCI außerdem die aktuelle Entwicklung der Chemiebranche vor. Dabei sprach er von einer „Belebung“, die „nahezu alle Sparten“ betroffen habe. Stärkere Geschäfte im In- und Ausland hätten für eine Erholung gesorgt. „Angesichts dieser Entwicklungen hat sich die Bewertung der aktuellen Geschäftslage zuletzt verbessert“, schrieb der Verband in einer Meldung dazu.

Allerdings sollen sich die Geschäftserwartungen dennoch eingetrübt haben. Viele Unternehmen fürchten einen Rückschlag im Laufe der Sommermonate. Als Gründe dafür benannte der VCI die „volatile Zollpolitik“ der US-Administration unter Präsident Donald Trump, die die Exportchancen der Chemie und ihrer Kunden schmälere. Außerdem könnten chinesische Waren, die für den US-Export bestimmt waren, verstärkt nach Europa umgeleitet werden und den Markt fluten – das wiederum erhöhe den Importdruck. Vonseiten der Pharma-Unternehmen besteht zudem Sorge, dass Importzölle den wichtigen US-Markt schwächen könnten.

Forderungen an Merz-Regierung – Joker für Wachstum

Steilemann legt daher große Hoffnungen auf den europäischen Binnenmarkt. „Die Chancen sind da. Wir haben jetzt wieder eine stabile Regierung, die alle Trümpfe in der Hand hält“, sagte Steilemann in der Verbandsmeldung. Auch hier verwies er auf die ersten 100 Tage, sprach allerdings von einer „spektakulären Aufholjagd“, die die Merz-Regierung nun starten müsse. Die niedrigeren Energiepreise und den schnellen Bürokratieabbau nannte er „die Joker für Wachstum und Wohlstand“.

Im ersten Quartal 2025 stieg die Produktion in der Chemie im Vergleich zum Vorquartal deutlich: Hier stand ein Plus von 6,7 Prozent auf dem Papier. Damit lag die Produktion um 0,6 Prozent höher als im Vorjahr. Auch die Kapazitätsauslastung kletterte in die Höhe, lag jedoch mit 78,2 Prozent noch unterhalb der Rentabilitätsschwelle.

Zugleich legten die Erzeugerpreise in der Branche leicht zu. Chemische und pharmazeutische Erzeugnisse waren im ersten Quartal des Jahres um 1,1 Prozent teurer als noch ein Jahr zuvor.

Stellenabbau in der Chemiebranche

Die Chemie ist die drittgrößte deutsche Industriebranche hinter dem Auto- und dem Maschinenbau. Sie leidet nach wie vor unter hohen Energiepreisen und der konjunkturellen Flaute. Mehrere große Chemiekonzerne haben im Rahmen dieser Schwächephase bereits Umbauprogramme verkündet, streichen Jobs oder legen gar Anlagen still. Dazu gehören etwa BASF und Evonik.

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