Weltkriegsgedenken ohne Russland? Wagenknecht widerspricht und geht auf Kuschelkurs mit Putin
Der Zwist um die Teilnahme Russlands am Weltkriegsgedenken spitzt sich zu: Wie reagiert die Politik, wenn prorussische Diplomaten trotzdem erscheinen?
Berlin – Am 8. Mai findet das Gedenken an den 80. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkriegs statt. Dabei sorgt vor allem eine Frage für anhaltenden Debatten: dürfen russische Vertreter an den Feierlichkeiten teilnehmen? Im Bundestag scheinen sich die demokratischen Parteien weitgehend einig zu sein. Nur BSW-Spitze Sahra Wagenknecht bewegt sich mit neuen Aussagen weit abgeschlagen von Berlins Russlandkurs.
80 Jahre Weltkriegsende: Wagenknecht warnt vor Schaden für Deutschlands Ansehen
Am Mittwoch forderte Parteichefin Sahra Wagenknecht die Teilnahme von russischen Vertretern bei den Gedenkfeiern. Erst vergangene Woche hatte der Bundestag beschlossen, Repräsentanten von Russland und Belarus von der zentralen Gedenkfeier am 8. Mai auszuschließen. Gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (dpa) erklärte die Politikerin jedoch, es sei „geschichtsvergessen“, diese auszuladen.
Die 55-Jährige betonte, dass die Sowjetarmee die Hauptlast des Krieges gegen Nazi-Deutschland getragen habe. Weiter seien 27 Millionen Menschen aus der damaligen Sowjetunion, mehrheitlich Russen, dem Vernichtungskrieg der deutschen Wehrmacht zum Opfer gefallen. Die vorangegangene Empfehlung des Auswärtigen Amts, Gedenkfeiern ohne russische Vertreter auszurichten, schade dem internationalen Ansehen Deutschlands, so Wagenknecht weiter.
Russischer Botschafter pocht auf Teilnahme am Weltkriegsgedenken
Die BSW-Chefin setzt damit ihren Kuschelkurs zum Regime von Russlands Präsident Wladimir Putin fort. Denn auch der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, bedauerte gegenüber der kremlnahen Zeitung Iswestija den Ausschluss russischer Delegierter von Veranstaltungen zum Weltkriegsgedenken. Er betonte, dass die „Erwägungen der unmittelbaren politischen Konjunktur nicht Vorrang vor den Fragen der historischen Erinnerung und der historischen Versöhnung der Völker unserer Länder haben“ dürften.
Das Auswärtige Amt sprach zuvor eine Empfehlung aus, russische und belarussische Delegierte von den Veranstaltungen auszuschließen. Das Ministerium warnte vor „Desinformation“ und „geschichtsrevisionistischer Verfälschung“, da Russland den Ukraine-Krieg damit begründe, erneut gegen Faschismus zu kämpfen.
Union und Grüne unterstützen den Ausschluss – und bieten Wagenknecht Paroli
Auf Anfrage von FR.de von IPPEN.MEDIA teilte Christiane Schenderlein (CDU) die Einschätzung des Auswärtigen Amtes. Die Erinnerungs- und Gedenkkultur beruhe auf einem antitotalitären Konsens, bekräftigte die CDU-Politikerin. Daher sei es folgerichtig, keine russischen Vertreter einzuladen, insbesondere angesichts des russischen Kriegs und der verübten Kriegsverbrechen in der Ukraine. Es könne kein würdiges Erinnern im Beisein von Sprachrohren des russischen Präsidenten Wladimir Putin geben, denen keine öffentliche Bühne geboten werden dürfe. Stattdessen solle das Gedenken Anlass sein, Demokratie und Freiheit in Russland und Frieden in der Ukraine einzufordern.
Auch Grünen-Politiker Robin Wagener betonte auf Anfrage von FR.de von IPPEN.MEDIA, dass der Kreml das Gedenken an die Befreiung Deutschlands für seine Kriegspropaganda gegen die Ukraine missbrauchen wolle. Es sei richtig, dass Deutschland dieser Inszenierung keine Bühne biete, sondern selbst der russischen und belarussischen Soldaten der Roten Armee würdig gedenke. Putins Propaganda versuche, die Leistungen der sowjetischen Armee allein für Russland zu monopolisieren, obwohl auch ukrainische, polnische und belarussische Soldaten an der Befreiung beteiligt waren.
Gedenkfeier auf Seelower Höhen als Warnsignal: Russischer Botschafter erschien ohne Einladung
Zuletzt entbrannte die Debatte bei einem Gedenken an die Schlacht auf den Seelower Höhen: dabei kam es zu einem Affront, als der russische Botschafter in Deutschland, Sergej Netschajew, an der Veranstaltung teilnahm, obwohl keine Einladung vorlag.
Robin Wagener fand auch für diesen Vorfall klare Worte: „Statt naiv und unbeteiligt einer russischen Propaganda-Show beizuwohnen, hätten die Verantwortlichen der Gedenkveranstaltung auf den Seelower Höhen Geschichte und Gegenwart unmissverständlich einordnen müssen.“
Wagener bekommt für seiner Einordnung auch Zuspruch vom ukrainischen Botschafter in Deutschland, Oleksij Makejew. Dieser bezeichnete es mit Blick auf den Vorfall als ungünstig, wenn der „Vertreter eines Verbrecherregimes“, das die Ukraine täglich angreife, am Gedenken an Kriegsopfer teilnehme.

Gedenkfeier zum Weltkriegsende ohne Russland: Droht am 8. Mai der nächste Eklat?
Bei der Gedenkfeier am 8. Mai wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die zentrale Rede bei im Bundestag halten. Ob diese tatsächlich ohne ausländische Gäste stattfinden wird, oder sich beispielsweise der russische Botschafter erneut ohne Einladung Zugang verschaffen wird, bleibt abzuwarten. Makejew zeigt sich im Interview mit Welt wenig zuversichtlich: „Also, so viel ich weiß: Er ist nicht eingeladen, er kommt einfach.“
Die Bundestagsverwaltung äußerte sich auf Anfrage nicht dazu, wie man verfahren wolle, sollte sich ein russischer Diplomat erneut eigenmächtig über eine ausbleibende Einladung hinwegsetzen. (ko)