Streit um SCALP droht: Was bedeutet ein Frankreich-Wahlsieg Le Pens für den Ukraine-Krieg?

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Die Frankreich-Wahl schürt Sorgen. Auch für Ukraine und Nato könnte der Wahlausgang folgen haben: Eine Expertin erwartet „Auswirkungen“.

Berlin/München – „Ein Wunder“ nannte es der ukrainische Politologe Mykola Bielieskow, dass sein Land die monatelange Wartezeit auf US-amerikanische Hilfen im Winterhalbjahr überstanden hat: An den Fronten mangelte schmerzhaft lange an Munition und Ausrüstung. Aber die Ukraine ist weiter auf kontinuierliche Unterstützung auf dem Westen angewiesen. Und in dieser Hinsicht gibt es neuen Anlass zur Sorge.

Sorge vor Frankreichs Stichwahl: Mit Macron wackelt ein Hauptunterstützer der Ukraine

Ein bekannter Unsicherheitsfaktor ist der mögliche neue (und alte) US-Präsident Donald Trump. Weitere gibt es in Europa. Viktor Orbáns Ungarn etwa hintertreibt immer wieder EU-Hilfspakete im Ukraine-Krieg. Am Wochenende (6./7. Juli) könnte ein entschiedener Unterstützer Kiews Teile seiner Machtbasis verlieren: Frankreich wählt ein neues Parlament. Und ein Erfolg scheint für das lange Zeit sehr russlandfreundliche Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen greifbar.

Was, wenn das RN mit dem Ausgang der Stichwahl die Mehrheit übernimmt? Oder auch das Linksbündnis der „Volksfront“? Ronja Kempin, Expertin für Frankreich und europäische Sicherheitspolitik erwartet zwar keinen „ganz großen Bruch“ in Paris, wie sie IPPEN.MEDIA sagt. Durchaus erwartbar seien aber innenpolitische Konflikte oder ein Hin und Her – und ein Schaden an Frankreichs Image als verlässlicher Partner. Letzteres könnte Wladimir Putins Russland in die Karten spielen. Auf längere Sicht sei Le Pen zugleich schwer auszurechnen, warnt die Expertin der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Frankreich-Wahl und der Ukraine-Krieg: Rechte gegen Bodentruppen – und „SCALP“

Sollte Macron – wie erwartet – seine Mehrheitsoptionen im Parlament verlieren, werde es „in jedem Fall Auswirkungen auf die französische Sicherheits- und Verteidigungspolitik geben“, sagt Kempin. Gleiches gelte für die Sicherheitspolitik der EU und die Nato. Beide Lager, das hart-rechte RN und die linke „Volksfront“, stünden für einen anderen Kurs als Macron. In der eilig geschmiedeten Volksfront findet sich etwa das extrem linke „La France Insoumise“. Als „sehr russlandfreundlich“ bezeichnet die Politikwissenschaftlerin die Partei. Dezidiert zur Unterstützung der Ukraine habe sich das Bündnis aber noch nicht geäußert.

Marine Le Pen und Emmanuel Macron und „SCALP“ für die Ukraine.
Marine Le Pen und Emmanuel Macron stehen am Sonntag nicht zur Wahl – bestimmen aber die Linien, auch bei „SCALP“ für die Ukraine. © Montage: picture alliance/dpa/AP/Thibault Camus/Imago/IP3Press/Vincent Isorex/ABACAPRESS/fn

Anders das RN. Die Partei um Le Pen und ihren Kronprinz Bardella hat sich zur Fortführung der Hilfen bekannt – aber auch rote Linien gezogen. „Eine bei der Lieferung von Langstreckenraketen, eine zweite bei der Entsendung von Bodentruppen“, wie Kempin sagt. Beides ist durchaus brisant: Macron selbst denkt seit Wochen zumindest laut über französische Ausbildungssoldaten in der Ukraine nach. Und Frankreich liefert bereits Langstreckenwaffen: Der „SCALP“ genannte Marschflugkörper hat der Ukraine bereits militärische Erfolge beschert – und der Nachschub soll eigentlich nicht versiegen.

Was aber, wenn Macron „hü“ sagt und die neue – vom Parlament gewählte – Regierung „hott“? Eigentlich sitzt Macron am längeren Hebel. Aber ein RN-Ministerpräsident Bardella könnte zusammen mit einer Mehrheit in der Nationalversammlung einiges an Verunsicherung stiften.

Macrons Ruf nach Bodentruppen im Ukraine-Krieg: Veto wäre möglich – „Der Präsident stünde blamiert da“

„Auch in einer Cohabitationsregierung würde das Vorrecht bei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik beim Präsidenten der Republik, also bei Macron, liegen“, erläutert Kempin. Macron ist Oberbefehlshaber: „Der französische Präsident kann jederzeit Streitkräfte seines Landes durch ein einfaches Fingerschnippen in einen Konflikt entsenden.“ Das Parlament habe sich aber das Recht erstritten, nach vier Wochen über eine Entsendung zu entscheiden. Und was im an stabile Mehrheiten gewöhnten Frankreich sonst ein eher formaler Akt ist, könne nun zum Konflikt mutieren.

„Das Parlament wird wohl von seinen Möglichkeiten ganz anders Gebrauch machen“, mutmaßt die Expertin. So könne es versuchen, Macron „vorzuführen“, etwa in dem es eine Entsendung von Soldaten zurücknimmt: „Dann stünde der Präsident blamiert da.“ Kempin warnt: „Natürlich würde das auch auf die Verlässlichkeit Frankreichs als Bündnispartner in der NATO und als stärkste militärischer Macht in der Europäischen Union ausstrahlen. Das wäre ein Zeichen der Unzuverlässigkeit.“ Wissenschaftliche Erhebung zeigen übrigens, dass Frankreich in Europa ein wichtiger Geber für die Ukraine ist – aber gemessen an seiner Größe keiner der entschlossensten.

NATO-Ärger im Ukraine-Krieg? Le Pen würde wohl auf Sicht den Kurs ändern – Trump bleibt Unbekannte

Eine Le-Pen-Mehrheit oder gar Präsidentschaft könne langfristig auch Konsequenzen für die Nato haben, deutet Kempin im Gespräch mit IPPEN.MEDIA an. Frankreich habe historisch nicht nur eine Sonderstellung im Bündnis – sondern auch ein spezielles Verhältnis zur NATO: Seit den Erfahrungen im Zweiten Weltkrieg, als das Land auf die Hilfe der USA angewiesen war, habe Frankreich stets die nationale Souveränität betont. Das RN werde das noch stärker in den Vordergrund rücken, meint Kempin. Es werde weniger darum gehen, verlässlicher Partner zu sein, sondern nationale Interessen zu verfolgen.

„Dass Frankreich den ersten Schritt macht und die Nato verlässt, das erwarte ich unter dem Rassemblement National nicht“, sagt die Expertin gleichwohl. Vermutlich wolle Le Pen zunächst darauf achten, „Partner nicht zu verschrecken, die Welt nicht zu verschrecken und die Bevölkerung nicht zu verschrecken“. Kempin fügt hinzu: „Es kann aber natürlich sein, dass man sich mit Trump irgendwann darauf verständigt, die NATO umzubauen oder Ähnliches. Das ist aber sehr weit vorgegriffen – denn da haben wir ja die nächste Unbekannte.“

Es seien jedenfalls unruhige Zeiten zu erwarten: Hier ein RN, das den Wählern „Erfolge“ präsentieren wolle – dort der Präsident, der die Rechten „vorführen“ will, um Marine Le Pen den Weg zur Präsidentschaft 2027 zu versperren. „Das ist eine Situation, die das Land so noch nicht hatte – und in der beide Seiten versuchen werden, für sich selbst maximal Kapital herauszuschlagen.“ (fn)

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