Experte warnt vor Kollaps: „Wenn wir die Baukrise nicht bald bewältigen, dann war es das“
Die deutschen Infrastrukturprobleme sind massiv – marode Straßen, Brücken und die Dauerbaustelle Deutsche Bahn. Mit 400 Milliarden Sondervermögen soll das jetzt gelöst werden - doch der Bau hat Probleme.
Berlin – Infrastrukturprojekte in Deutschland kommen nicht voran – die Baubranche steckt in einer strukturellen Krise und findet so schnell auch nicht heraus. Die Gründe dafür sind vielschichtig. „Wenn wir die Baukrise nicht bald bewältigen, dann war es das“, sagt Bauexperte Klaus-Peter Stöppler in einem aktuellen Interview mit der Wirtschaftswoche.
Er befürchtet auch, dass die 400 Milliarden aus dem Sondervermögen verpuffen könnten, ohne dass wirklich etwas verbessert wird. Seiner Meinung nach fehlt es an klaren Zielen und einer modernen, digitalen Infrastruktur im Baubereich. Er schätzt die Lage sehr kritisch ein und ist überzeugt – falls die Probleme nicht in den kommenden drei Jahren gelöst werden, dass Bauunternehmen massiv Personal abbauen, Unternehmen abwandern und Fachkräfte ins Ausland gehen werden. Doch was hält den Bau in der Krise?

Baukrise – Planlosigkeit bei der Konkretisierung von Bauprojekten
Wie Stöppler weiter ausführte, machen wir zwar jetzt Schulden, aber es steht kein klarer Plan, was genau bis wann erreicht werden soll. Ja, es geht um mehr Autobahnen, pünktlichere Züge und Brücken, die nicht einstürzen – der Masterplan für die konkrete Umsetzung von Projekten steht aber nicht. Wie das Bundeswirtschaftsministerium mitteilte, wird zurzeit an einem Errichtungsgesetz und einem Wirtschaftsplan gearbeitet. Erst danach könnte über eine zweckgebundene Aufteilung der Mittel entschieden werden. Auch das Bauministerium kann noch keine Auskunft über detaillierte Vorhaben geben.
Umsetzungskapazitäten sind zu gering und verschärfen die Baukrise
Fraglich bleibt zudem, wer all diese Projekte umsetzen soll. Wie eine Studie des Deutschen Instituts für Urbanistik aufzeigt, arbeiten Planungsämter und Genehmigungsbehörden bereits heute vielfach am Limit. Es fehlt an Personal und auch die überbordende Bürokratie, durch die sich die Vergabeverfahren komplizieren und sich Genehmigungsprozesse in die Länge ziehen, lähmt die Umsetzung der Maßnahmen. Ganze 25 Monate vergehen heute von einem Projektstart bis zur Genehmigungserteilung. Wie Reiner Holznagel, Präsident des Steuerzahlerbundes, ausführte, können sich in diesem Zeitraum auch gesetzliche Rahmenbedingungen wieder ändern, sodass Planungsänderungen notwendig werden. Insgesamt würden heute bei Bauvorhaben rund 85 Prozent der Zeit für die Planung, Genehmigung und Gerichtsverfahren aufgewendet werden.
In den Kommunen, die für die Umsetzung der Infrastrukturprojekte zuständig sind, fehlen fast überall die Kapazitäten zur Umsetzung von Planung, Beantragung und Überwachung. Alleine die Genehmigung von Brückensanierungen oder auch Brückenneubauten kann Jahre in Anspruch nehmen und bereits heute bleiben bewilligte Fördermittel für die Sanierung von Schulen ungenutzt, weil die Umsetzung nicht realisierbar ist. Deshalb ist es nach Holznagel auch wenig sinnvoll, einfach mehr Geld in diese Strukturprojekte zu pumpen und zu hoffen, dass sich mit dem Geld die Probleme schon lösen werden.
Bürokratiewahnsinn und fehlende Digitalisierung – so führt kein Weg aus der Krise am Bau
Wie Andreas Knie vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung unterstreicht, braucht es in Deutschland zunächst einmal eine deutliche Entbürokratisierung und tiefgreifende Verwaltungsreformen. Ansonsten würde das Sondervermögen für die Infrastruktur ins Leere laufen. Die Geldschwemme könne einfach nicht richtig verarbeitet werden. Auch sind die Bauämter heute noch digital völlig unterentwickelt, wie Stöppler anmerkte. Durch eine konsequente Digitalisierung der Baubehörden könnten viel mehr Anträge gleichzeitig bearbeiten. Das Problem ist einfach das Fehlen von modernen Strukturen in den Prozessen.
Auch der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller, kritisiert, dass es vor allen Dingen an einem schlanken Gesamtprozess fehlt. Er wies darauf hin, dass die Bauindustrie nicht ausgelastet sei und es durchaus freie Kapazitäten gäbe.
Die Regierung hat bereits Maßnahmen zur Planungsbeschleunigung durch ein Gesetz auf den Weg gebracht. Dieses soll bestimmte Umwelt- und Bauauflagen abbauen und helfen, Planungsverfahren zu digitalisieren. Nach Ansicht vieler Baufachleute sind diese Maßnahmen aber nicht ausreichend. Müller schlägt zur weiteren Verbesserung der Rahmenbedingungen vor, eine sogenannte Stichtagsregelung einzuführen, nach der die rechtliche und sachliche Lage für ein Bauvorhaben zu einem festgelegten Zeitpunkt festgeschrieben werden sollte und man somit auf ein Planungsfeststellungsverfahren verzichten könnte.
Langfristige Infrastrukturprojekte brauchen finanzielle Sicherheit
Auch wenn aktuell üppige Geldmittel für Sanierungsprojekte zur Verfügung stehen, braucht es für langfristige Projekte trotzdem auch eine finanzielle Planungssicherheit. So hatte die bundeseigene Autobahn GmbH zu Jahresbeginn einen Ausschreibungsstopp für 2025 verhängt, da vor Inkrafttreten des Bundeshaushalts keine zusätzlichen Mittel bereitstanden und die im Sondervermögen vorgesehenen Beträge bislang nicht abgerufen werden konnten. Dies führte zu erheblichen Verzögerungen bei der Sanierung kritischer Brückenbauwerke.
Wie dpa meldete, sollen jetzt nach Angaben des Bundesverkehrsministeriums überplanmäßige Ausgaben in Höhe von ca. 450 Millionen Euro freigegeben werden aus dem Sondervermögen. Eine zweite Tranche in Höhe von 709 Millionen Euro ist ebenfalls vorgesehen. Diese sollen es der Autobahn GmbH ermöglichen, wieder neue Ausschreibungen auf den Weg zu bringen und geplante Bauprojekte vorzubereiten. Verkehrswissenschaftler Gernot Sieg von der Universität Münster schlägt ferner vor, die Autobahn GmbH finanziell unabhängig zu machen. Durch derartige Maßnahmen können langjährige Großprojekte, wie die Straßensanierung, verlässlich und effizient geplant werden.
Neben einem Masterplan für die Projekte und einer langfristigen, finanziellen Planungssicherheit braucht es also auch eine Vereinfachung und Beschleunigung von Prozessen, klare Zuständigkeiten und bessere gesetzliche Rahmenbedingungen. Nur wenn Bund, Länder und Städte effizient zusammenarbeiten und die Bürokratie im Bereich der Bauwirtschaft deutlich entschlackt wird, werden sich die ambitionierten Infrastrukturprojekte bis zum Jahr 2040 auch wirklich realisieren lassen.