Merz-Regierung macht Weg für Länder-Sondervermögen frei – heftige Kritik: „Dürfte einfach versickern“

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100 Milliarden Euro Länder-Sondervermögen – aber wie aufteilen? Diese Frage sorgt für Diskussion. Besonders die Sorge um die Lage der Kommunen wächst.

Berlin – Die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz hat am Mittwoch den Weg für die Verteilung des Infrastruktur-Sondervermögens an Länder und Kommunen freigemacht. Das Bundeskabinett billigte einen Gesetzentwurf des Finanzministeriums, der die rechtlichen Voraussetzungen dafür schafft. Aus der Bauwirtschaft und von den Grünen und Linken kommt jedoch deutliche Kritik an der geplanten Umsetzung. Besonders die Kommunen könnten unter den Neuerungen leiden.

Die vorgesehenen 100 Milliarden Euro werden nach dem sogenannten Königsteiner Schlüssel verteilt. Dieser berücksichtigt sowohl das Steueraufkommen als auch die Einwohnerzahl der Bundesländer. Gefördert werden können Investitionen, sofern sie nach dem 1. Januar 2025 begonnen werden. Die Bewilligung von Maßnahmen ist laut Entwurf bis Ende 2036 möglich. Die Länder sollen dem Bund einmal jährlich eine Übersicht über die Verwendung der Bundesmittel vorlegen. Falls Gelder zweckentfremdet eingesetzt werden sollten, sollen Mittel zurückgefordert werden können.

Merz und Klingbeil meinen: Sondervermögen soll „schnell, flexibel und gezielt vor Ort“ eingesetzt werden

Kanzler Friedrich Merz (CDU) betonte auf der Onlineplattform X: „Der Länderanteil aus dem Sondervermögen soll schnell, flexibel und gezielt vor Ort für die Bürger eingesetzt werden – für Schulen, Kitas, Straßen oder Krankenhäuser.“ Auch Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) hob hervor, dass mit dem Vorhaben „unmittelbar die Handlungsfähigkeit von Ländern und Kommunen“ gestärkt werde. „Wir geben dabei Flexibilität und schaffen pragmatische Regelungen, damit schnell und zielgerichtet investiert werden kann.“

Die Koalition aus CDU/CSU und SPD hatte sich zuvor in den Koalitionsverhandlungen auf ein schuldenfinanziertes Sondervermögen in Höhe von 500 Milliarden Euro für Infrastruktur, Aufrüstung und für den Klima- und Transformationsfond (KFT) verständigt. Bundestag und Bundesrat hatten das Paket bereits verabschiedet. Die Aufteilung der Mittel für Länder und Kommunen, denen insgesamt 100 Milliarden Euro zustehen, war bislang jedoch offen.

Bauwirtschaft übt Kritik an Änderungen beim Sondervermögen – auch Grüne kritisert

Kritik an der Umsetzung kommt vor allem aus der Bauwirtschaft. Der Hauptvorwurf: Die sogenannte Zusätzlichkeitspflicht – also die Vorgabe, das Geld ausschließlich für zusätzliche Investitionen zu verwenden – wurde aus dem Gesetz gestrichen. Die Folge sei, „dass einige Bundesländer bereits ihre regulären Investitionsetats kürzen und die Lücke mit den Mitteln aus dem Sondervermögen auffüllen“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, Tim-Oliver Müller. Das sei gegenüber der Bevölkerung kaum zu erklären, da das Sondervermögen als zusätzliche Investition verkauft worden sei.

Auch Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, fordert eine klare Zweckbindung: Die Investitionen müssten „klipp und klar für unsere Infrastruktur genutzt werden“. Sie „dürfen nicht einfach in den allgemeinen Haushalten von Ländern und Kommunen versickern“.

Der Grünen-Fraktionsvize im Bundestag, Andreas Audretsch, kritisierte die Regierungskoalition scharf: „Das Sondervermögen ist eine historische Chance, Deutschland zu modernisieren – doch die schwarz-rote Koalition macht daraus den größten Verschiebebahnhof der Nachkriegsgeschichte.“ Jeder Euro aus dem Sondervermögen müsse in zusätzliche Investitionen in die Zukunft gehen, so Audretsch. „Jeder zweckentfremdete Euro ist ein gebrochenes Versprechen.“

Länder können über Verteilung entscheiden: Kommunen könnten nur Bruchteil von Sondervermögen bekommen

Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Mittelverteilung an die Kommunen. Ursprünglich war vorgesehen, dass mindestens 60 Prozent der Gelder an die kommunale Ebene weitergereicht werden. Diese Regelung wurde in den Bund-Länder-Verhandlungen gestrichen. Die Länder können nun selbst entscheiden, wie viel Geld an die Kommunen weitergeleitet wird.

Bauverbandschef Müller rechnet daher mit erheblichen Einbußen für die Kommunen: Es sei „mit Sicherheit davon auszugehen, dass die Kommunen nur einen Bruchteil der insgesamt 100 Milliarden Euro erhalten werden“. Dabei seien sie es, die „die Hauptverantwortungslast vor Ort schultern“.

Auch der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Landkreistages, Hand-Günter Henneke, sagte zur Streichung der 60-Prozent-Regelung: „Damit bliebe das zentrale Signal, dass der größte Teil der Mittel dort ankommen soll, wo sie dringend gebraucht werden, aus. Das wäre ein Schlag ins Gesicht von Städten, Landkreisen und Gemeinden“.

Der Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) bei einer Kabinettssitzung im Bundeskanzleramt.
Kanzler Merz bei der Debatte zum Länder-Sondervermögen: Bei einer Kabinettssitzung der Regierung wurden die Voraussetzungen getroffen. © IMAGO/dts Nachrichtenagentur

Studie zeigt: Kommunen haben gigantischen Investitionsstau – Fast 216 Milliarden Euro fehlen

Wie eine Befragung von Kämmereien in Städten und Gemeinden mit über 2 000 Einwohnenden der Bundesförderbank KfW zeigt, stieg das Haushaltsdefizit aller rund 10 750 Kommunen im Jahr 2024 auf 24,3 Milliarden Euro – ein Höchststand seit der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland. Der Städte- und Gemeindebund (DStGB) sprach von einer „katastrophalen Finanzkrise“.

Mittlerweile habe sich bei Städten, Gemeinden und Kreisen ein wahrgenommener Rückstand von 215,7 Milliarden Euro angesammelt, so heißt es in der KfW-Studie. Vor allem der Schulbereich (67,8 Milliarden Euro Investitionsstau) ist betroffen, auf Platz Zwei liegen Investitionen in Straßen (54,4 Milliarden Euro).

Linken-Sprecher will mehr Geld für Kommunen: Mindestens 100 Milliarden Euro pro Jahr

Der Linken-Sprecher für Kommunalfinanzen und Heimat, Sascha Wagner, ging bei der Kritik des kommunalen Anteils am Sondervermögen einen Schritt weiter und forderte angesichts des Investitionsstaus mehr Geld für die Kommunen. Es brauche ein „Schuldenmoratorium für finanzschwache Kommunen“, also eine Verringerung der finanziellen Last von Gemeinden und Städten, die mit hohen Schulden zu kämpfen haben.

So würden Kommunen, die ansonsten finanziell reglementiert würden, wieder handlungsfähiger. Wagner forderte außerdem eine „echte Investitionsoffensive von mindestens 100 Milliarden Euro jährlich für kommunale Infrastruktur aus dem Bundeshaushalt“.

Bundesfinanzministerium wollte es Ländern recht machen – auch Lockerung bei Schuldenregelung verabschiedet

Aus dem Finanzministerium heißt es zu der Entscheidung gegen die 60-Prozent-Regung, den Ländern sei es beim Wegfall der Zusätzlichkeit und des Kommunalanteils vor allem um mehr Handlungsspielraum gegangen. Man habe die Änderungen vollzogen, „um das Geld buchstäblich schnell auf die Straße zu bringen“, so ein Ministeriumssprecher.

Neben dem Sondervermögensgesetz beschloss das Kabinett am Mittwoch auch eine Reform zur Neuverschuldung der Länder. Künftig dürfen sie sich – analog zum Bund – mit bis zu 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts jährlich verschulden. Bisher war ihnen eine neue Kreditaufnahme grundsätzlich untersagt. (lismah/AFP/dpa)

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