80. Panzerregiment von Kommandeur "Hai" am brutalsten: Recherche zu Putin-Armee

In der russischen Armee hat sich ein brutales Repressionssystem etabliert: Kommandeure foltern, erschießen oder „annullieren“ eigene Soldaten, um Disziplin zu erzwingen und persönliche Interessen durchzusetzen. 

Putins Armee: Systematische Gewalt gegen die eigenen Soldaten

Das schildert der Journalist Iwan Schadajew, Chefredakteur des Exilmediums Wjorstka, in einem Interview mit dem „Spiegel". Seine Recherchen zeichnen ein Bild von Putins Armee, deren Gewalt sich längst nicht nur gegen den Feind richtet, sondern nach innen.

Wie Schadajew berichtet, habe sein Team monatelang zu mutmaßlichen Hinrichtungen innerhalb der russischen Streitkräfte recherchiert. „Wir haben ein charakteristisches Phänomen in Putins Armee offengelegt: Russische Kommandeure foltern und töten gezielt ihre eigenen Soldaten – um Macht, Geld und Disziplin zu sichern.“ Schadajew spricht von einem bislang beispiellosen System: „Dieses Ausmaß interner Gewalt ist einzigartig." 

Die Recherchen identifizierten 101 mutmaßliche Täter, darunter über 60 Kommandeure. Viele von ihnen seien Berufssoldaten, andere Ex-Häftlinge oder Männer, die sich aus finanziellen Gründen für den Krieg entschieden hätten. 

Nach wenigen Wochen an der Front werde Gewalt zum Normalzustand, erklärt Schadajew im Gespräch mit dem „Spiegel": Das Leben einzelner Soldaten gelte kaum noch etwas; Alkohol, Kopfgelder und der Einfluss ehemaliger Strafgefangener verschärften die Situation.
„Es geht längst nicht mehr um militärische Schlagkraft, sondern um systematische Entmenschlichung“, berichtet er.

Kommandeur "Akula", der "Hai": Brutale Strukturen 

Besonders heftig sollen die inneren Exekutionen in Einheiten stattfinden, die große Anteile rekrutierter Ex-Häftlinge enthalten. Schadajew nennt konkret das 80. Panzerregiment der 90. Panzerdivision, geführt von Kommandeur Ilchom Peter, Rufzeichen "Akula", der "Hai". Schadajew sagt: "Seine Untergebenen, die Ex-Häftlinge 'Kemer' und 'Dudka', sind für ihre Brutalität berüchtigt. Das gilt auch für die 114. separate motorisierte Infanteriebrigade und die 55. Brigade. Diese Einheiten kämpfen im Raum Donezk, wo der Druck enorm ist – und wo die meisten Ex-Sträflinge eingesetzt werden.“

Laut „Spiegel" liegen bisher 150 bestätigte Fälle von Exekutionen vor. Die Dunkelziffer ist laut Schadajew jedoch drastisch höher: Er spricht von Tausenden Fällen. In manchen Sturmtrupps komme es regelmäßig vor, dass Soldaten, die sich weigerten, weiterzugehen, mit Sprengsätzen oder Drohnen von der eigenen Kameraden getötet würden.

Auch Hinweise auf einflussreiche Netzwerke innerhalb der Armee finden sich. Ein Informant aus der Militärstaatsanwaltschaft erklärte laut Schadajew, Beschwerden gegen Offiziere würden systematisch abgeblockt — angeblich, weil man sie „nicht von der Front abziehen könne“.

Weitere Recherchen bestätigen Muster der Gewalt

Die Erkenntnisse von Schadajew decken sich mit einem gemeinsamen Bericht der russischen Nichtregierungsorganisationen „Appell ans Gewissen“, „Bewegung von Kriegsdienstverweigerern“, „Schule des Einberufenen“ und „Bürger. Armee. Recht.“. 

Darin wird für 2024 und Anfang 2025 ein deutlicher Anstieg von Gewalt innerhalb der russischen Armee dokumentiert. Demnach werden Soldaten, die nicht kämpfen wollen, auch ohne Vertrag oder Ausbildung zum Fronteinsatz gezwungen – bis hin zu Folter, Gefangenschaft und Erschießung.

Erdgruben und Keller als Haftorte

Männer versuchen sich demnach bewusst inhaftieren zu lassen, um in Gefängnissen vor dem Fronteinsatz sicher zu sein. Zwischen Herbst 2022 und Ende 2024 wurden laut den NGOs mehr als 16.000 Verfahren gegen Verweigerer registriert, die tatsächliche Zahl soll viel höher liegen. 

Auch die  russischen Exilmedien "Verstka" und "Meduza" schildern ein System, in dem Soldaten gefoltert, erschossen oder bewusst in aussichtslose Angriffe geschickt werden. 

Viele Soldaten berichten demnach von Erdgruben und Kellern als Haftorte. Dort seien Kameraden tagelang ohne Wasser gehalten, geschlagen oder gezwungen worden, andere zu töten. In einem dokumentierten Fall soll ein Offizier den Befehl gegeben haben: Wer den anderen „zu Tode schlägt, kommt raus“.

Andere Berichte beschreiben Fälle tödlicher Erpressung, etwa wenn Verwundeten Kompensationszahlungen entzogen wurden. Die Leichen mutmaßlicher Opfer würden häufig unkenntlich gemacht oder als „vermisst“ gemeldet, um Ermittlungen zu verhindern und Angehörige um Entschädigungen zu bringen.

Die Täter müssen mit nicht mit Konsequenzen rechnen

Der Grund für das Fortbestehen dieses grausamen Systems ist laut Schadajew die Passivität der Behörden.  Die Aussichten auf strafrechtliche Konsequenzen seien gering: Für viele Soldaten sei die Gewalt ein Mechanismus, um in einem Staat zu überleben, dem man restlos ausgeliefert sei.