Erdnussfarmer, Präsident, Friedensstifter: Jimmy Carter wird 100
Jimmy Carter ist der älteste noch lebende frühere US-Präsident. Am 1. Oktober feiert er seinen 100. Geburtstag. Ein Porträt.
Das Wichtigste in
diesem Artikel
- Geburt am 1. Oktober 1924 in Georgia – Jimmy Carter wächst im tiefen Süden der USA auf.
- Erdnussfarmer geht in die Politik – Jimmy Carter macht in Georgia politische Karriere.
- Carter wird 39. US-Präsident – Schwierige Präsidentschaft des Demokraten.
- Engagement für Demokratie und Menschenrechte – Jimmy Carter gewinnt 2002 den Friedensnobelpreis.
- Wahl in den USA – Carter hofft bei der US-Wahl im November auf Kamala Harris.
Washington, D.C. – Er war der krasse Außenseiter. Die Zeitungen berichteten kaum über ihn, in den Umfragen lag er weit zurück, Fachleute hielten ihn für chancenlos. Selbst sein Name war nicht allen geläufig. Und dieser weitgehend unbekannte Mr. Carter wollte also nach Washington gehen, in die Hauptstadt der USA? Es war ein unerhörtes Unterfangen.
„Er kann nicht Präsident werden. Ich kenne ihn nicht einmal!“, soll ein Mitglied des politischen Establishments damals auf einer Cocktailparty geäußert haben. Doch die Insider sollten ihn alle noch früh genug kennenlernen. Die Zeit in den 70ern, kurz nach dem Vietnam-Krieg und der Watergate-Affäre, war wie gemacht für Jimmy Carter, der im damaligen Präsidentschaftswahlkampf vor allem auf seine persönliche Integrität setzte.
„Ich werde euch niemals anlügen“, verkündete er in jenen Monaten so häufig, dass sein langjähriger Anwalt Charlie Kirbo schließlich scherzte, er werde jetzt wohl auf die Stimmen der Lügenbolde verzichten müssen. Aber das machte damals nichts. Am Tag nach der Wahl am 2. November 1976 verkündeten die Medien jedenfalls die Sensation: Ein Erdnussfarmer aus den Südstaaten war zum mächtigsten Mann im Land aufgestiegen.

Geburt am 1. Oktober 1924 in Georgia
Es ist Jimmy Carter nicht an der Wiege gesungen worden, dass er in den USA einmal eine solche Rolle einnehmen würde. Eine bekannte Persönlichkeit hatte seine Geburtsstadt Plains im US-Bundesstaat Georgia jedenfalls noch nicht hervorgebracht, als Carter am 1. Oktober 1924 als ältester Sohn von Bessie Lillian Gordy und James Earl Carter Sr. geboren wurde. Tatsächlich ist die Gemeinde, in der derzeit nach offiziellem Stand gerade einmal 573 Menschen zu Hause sind, auf der Landkarte gar nicht so leicht zu finden. Die kleine Ortschaft, die im Jahr 1896 zur Stadt erhoben wurde, liegt rund 55 Kilometer nördlich von Albany sowie etwa 220 Kilometer südlich von Atlanta.
In Plains verbrachte Carter einen Großteil seines Lebens. Hier, im tiefen Süden der USA, wuchs er in bescheidenden Verhältnissen auf, hier sah er als Kind die Landstreicher, die „Hobos“, wie sie genannt wurden, an der elterlichen Farm vorbeilaufen, hier, in einer überwiegend Schwarzen Gemeinschaft, spielte er dank seiner liberal gesinnten Mutter mit Kindern, die eine andere Hautfarbe hatten als er. Seine Kindheitsjahre sollten sein ganzes Leben prägen.
Wir sollten unser Leben so leben, als ob Christus noch heute Nachmittag vorbeischauen würde.
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Er war auch der erste in seiner Familie, der die Schule abschloss und ein Studium aufnahm. 1943 erfüllte er sich seinen lang gehegten Traum und schrieb sich an der US-Marineakademie in Annapolis ein. Dort fiel er zunächst vor allem deshalb auf, weil er nicht auffiel. Mit der vorherrschenden Kultur, die Neulinge aggressiv zu schikanieren, konnte sich der zurückhaltende Student nicht anfreunden. Nach seinem Abschluss im Jahr 1946 nahm Carter als Fähnrich seine Karriere bei der Marine auf. Er diente zunächst auf verschiedenen Kriegsschiffen, bevor er 1952 zur Atom-U-Boot-Flotte wechselte. Er folgte damit dem Ruf von Hyman Rickover, dem „Vater der Nuklearmarine“, der Carter zufolge neben seinen Eltern den größten Einfluss auf sein Leben hatte.
Carter sollte als technischer Offizier auf der USS „Seawolf“ dienen, dem zweiten Atom-U-Boot der United States Navy. Seine Pläne änderten sich allerdings, als sein Vater im Juli 1953 an Bauchspeicheldrüsenkrebs starb. Carter wurde vom aktiven Dienst freigestellt und kehrte in seine alte Heimat zurück, um die familieneigenen Baumwoll- und Erdnussplantagen zu übernehmen. Er blieb Reserveoffizier, bis er 1961 seinen Dienst im Rang eines Leutnants quittierte.
Der abrupte Übergang von der Marine zu einem Agrarunternehmer fiel ihm zunächst schwer, da die Ernte im ersten Jahr aufgrund einer Dürre ausfiel und Carter mehrere Kredite aufnehmen musste, um die Farm über Wasser zu halten. Mit der Zeit verbesserte sich die Situation aber und das Geschäft begann schließlich zu gedeihen. Immer an seiner Seite war dabei seine große Liebe Rosalynn Eleanor Smith, die er 1946 geheiratet hatte.
Jimmy Carter: Zur Person
Name | James Earl „Jimmy“ Carter Jr. |
Geboren | 1. Oktober 1924 |
Partei | Demokraten |
Ämter | US-Präsident (1977 bis 1981), Gouverneur Georgias (1971 bis 1975) |
Ehepartnerin | Rosalynn Carter (1946 bis 2023) |
Kinder | Amy Carter, Donnel Jeffrey Carter, Jack Carter, James Earl Carter III |
Erdnussfarmer geht in die Politik
Ein Erdnussfarmer als Politiker? Für viele hatte das wohl einen merkwürdigen Beigeschmack. Jedenfalls versuchte die Konkurrenz ein übers andere Mal, den vierfachen Vater mit seinem Beruf aufzuziehen und zu verspotten. Carter ließ sich auf seinem Weg aber nicht beirren. Seine politische Karriere begann auf kommunaler Ebene im Gemeindeschulrat von Plains, bevor er 1962 nur 15 Tage vor der Wahl seine Kandidatur für den Senat in Georgia bekannt gab. Die Kampagne, an der seine Ehefrau Rosalynn maßgeblich beteiligt war, wurde zum Erfolg: Carter gewann.
Zwischen 1963 und 1967 saß er im Senat von Georgia, 1966 kandidierte er für das Amt des Gouverneurs. Doch diesmal blieb der Erfolg aus: Carter verlor. Was also war zu tun? Er bediente sich eines erstaunlichen Tricks. Sein Biograf Jonathan Alter kennt die Geschichte: „Einmal sagte er zu mir: ‚Ich könnte entweder Gouverneur von Georgia oder ein entschiedener Unterstützer der Bürgerrechte sein. Und ich entschied für mich, Gouverneur von Georgia zu werden.‘“

Der politische Ehrgeiz hatte in diesem Fall also gesiegt. Im Wahlkampf kam er tatsächlich all denen entgegen, die die Rassentrennung befürworteten. Er redete ihnen nach dem Mund und tat alles, um sie zufriedenzustellen. Seine Strategie hatte Erfolg. Vor allem diejenigen, die an die White Supremacy glaubten, an die Überlegenheit der Weißen, wählten Carter zum Gouverneur. Dann aber folgte die dramatische Kehrtwende. In seiner Rede zur Amtseinführung stellte Carter unmissverständlich klar, wie er wirklich dachte: „Die Zeit der Rassendiskriminierung ist vorbei.“ Und die, die ihn gewählt hatten, waren perplex, fühlten sich von ihm betrogen. Carter aber ließ den Worten danach auch Taten folgen. So reorganisierte er die Staatsverwaltung von Georgia, ernannte hochrangige Schwarze Mitarbeiter und Schwarze Richter. Zudem hing nach Carters Einzug ins Kapitol dort auf einmal auch das Porträt von Martin Luther King an der Wand.
Dann war die Zeit reif für den nächsten Karrieresprung. Nach der Watergate-Affäre war es plötzlich vorteilhaft, dass Carter in der bundesweiten Politik noch keine Rolle gespielt hatte. Und er nutzte alle Medien, die ihm damals zur Verfügung standen, um sich einen Namen zu machen. So gewährte der gläubige Baptist sogar dem US-Magazin Playboy ein Interview und gab dabei erstaunliche Einblicke in sein Seelenleben: „Ich habe viele Frauen mit Begierde betrachtet. Ich habe in meinem Herzen oft Ehebruch begangen“, sagte er freimütig. „Gott weiß, dass ich das tun werde und getan habe – und Gott vergibt mir.“
Die Menschen in den USA hatten daran offenbar nichts auszusetzen. Sie fanden Gefallen an diesem Politiker, der ein wenig anders wirkte als die anderen Kandidaten. Auch in den TV-Debatten gegen den republikanischen Präsidenten Gerald Ford machte er eine gute Figur. Bei der Wahl selbst triumphierte er im gesamten Südosten der USA, zudem gewann er die meisten Staaten östlich des Mittleren Westens. Carter war somit der erste Kandidat aus dem tiefen Süden seit dem Bürgerkrieg, der eine Präsidentenwahl gewinnen konnte.
Carter wird 39. US-Präsident
Carters Amtszeit gilt allgemein als wenig erfolgreich. Doch wahrscheinlich ist das zu einfach gedacht. Es sei daran erinnert, dass er 1978 das Friedensabkommen von Camp David zwischen Ägypten und Israel vermittelte und die Verhandlungen zur Rüstungsbegrenzung (SALT II) vorantrieb. Zudem normalisierte er die Beziehungen mit China und setzte eine Einwanderungsreform durch. Und er machte das Prinzip der Menschenrechte zu einem Eckpfeiler der US-Außenpolitik.
„Unser Engagement für die Menschenrechte muss absolut sein, unsere Gesetze müssen fair sein, unsere natürliche Schönheit muss erhalten bleiben. Die Mächtigen dürfen die Schwachen nicht verfolgen, und die Menschenwürde muss gestärkt werden.“
Vor allem aber war er seiner Zeit weit voraus. Er hatte sich der Energie- und Umweltpolitik verschrieben und darf mit Fug und Recht als der vielleicht grünste aller US-Präsidenten gelten. Er verdreifachte die Größe der geschützten Wildnisgebiete, warnte vor den Gefahren des Klimawandels und ließ im Sommer 1979 eine Solaranlage auf dem Dach des Weißen Hauses installieren. „In einer Generation kann diese Sonnenheizung entweder eine Kuriosität sein, ein Museumsstück, ein Beispiel für einen nicht beschrittenen Weg“, sagte Carter damals. „Oder sie könnte ein kleiner Teil eines der größten und aufregendsten Abenteuer werden, das das amerikanische Volk je unternommen hat: Wir nutzen die Energie der Sonne, um unsere Leben zu bereichern, während wir uns von unserer Abhängigkeit von importiertem Öl befreien.“

Überschattet wurde seine Regierungszeit vor allem von der Geiselnahme von Diplomaten in der US-Botschaft in Teheran im November 1979 – ein Drama, das die Welt insgesamt 444 Tage lang in Atem hielt. Eine missglückte Befreiungsoperation ließ Carters Ansehen auf den Nullpunkt sinken. Nach dem Einmarsch der UdSSR in Afghanistan galt seine Außenpolitik endgültig als gescheitert. Dennoch blieb sich Carter treu. Er weigerte sich standhaft, militärische Vergeltungsmaßnahmen gegen das Regime im Iran anzuordnen. Lieber setzte er auf Diplomatie.
Tatsächlich war er auch in den Jahren danach immer stolz darauf, dass er sein Land nie in einen Krieg geführt hat. „Wir sind nie in den Krieg gezogen“, sagte er einmal in einem Interview mit dem Guardian. „Wir haben nie eine Bombe abgeworfen. Wir haben nie eine Kugel abgefeuert. Und dennoch haben wir unsere internationalen Ziele erreicht. Wir haben anderen Völkern Frieden gebracht, einschließlich Ägypten und Israel.“
Seine Präsidentschaft war praktisch frei von Skandalen. Er war fest entschlossen, das Richtige zu tun und ließ sich dabei von niemanden beirren. Carter halte „Politik für eine Sünde“, sagte sein Vizepräsident Walter Mondale einmal. Wenn man wollte, dass Carter etwas Bestimmtes tun sollte, durfte man nach Mondale vor allem eines nicht tun: ihm sagen, „dass es politisch das Beste war, was man tun konnte“.
Engagement für Demokratie und Menschenrechte
Nach seiner Wahlniederlage gegen Ronald Reagan begann das zweite politische Leben von Jimmy Carter – eines, das für immer im Gedächtnis bleiben wird. Das Carter Center für Menschenrechte, das er 1982 zusammen mit seiner Ehefrau Rosalynn gründete, ist sein Vermächtnis. Die Idee dazu, so erzählte er einmal in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, sei ihm in einer schwülen Nacht im Sommer 1981 gekommen.
Über viele Jahre reiste er für seine Stiftung in Krisenregionen, leitete Verhandlungen, vermittelte in zahlreichen Konflikten von Haiti über Bosnien und Nordkorea bis Kuba. Zudem überwacht das Carter Center zahlreiche Wahlen in vielen Ländern der Welt und arbeitet im Stillen daran, einige der schlimmsten Krankheiten der Welt auszurotten. Als Beispiel sei die Dracontiasis genannt, eine durch den Guineawurm hervorgerufene, vor allem im Orient auftretende Erkrankung, die zu schwerem Siechtum führen kann und unbehandelt oft tödlich endet. Die Zahl der jährlich gemeldeten Fälle sank seit Carters Engagement von mehreren Millionen auf wenige Hundert.
Sein Einsatz brachte Carter im Jahr 2002 den Friedensnobelpreis ein. „Er hat ein einzigartiges Engagement für Demokratie und Menschenrechte sowie als Wahlbeobachter bei zahlreichen Wahlen überall auf der Welt fungiert“, begründete das Nobelkomitee damals die Auszeichnung. „Sein Einsatz zur Bekämpfung von Tropenkrankheiten und zur Förderung von Wachstum und Fortschritt in den Entwicklungsländern war umfassend. Carter war damit auf mehreren Gebieten aktiv, die in der über 100-jährigen Geschichte des Friedensnobelpreises im Zentrum gestanden haben.“
Krieg mag zwar manchmal ein notwendiges Übel sein. Aber egal wie nützlich er ist, er ist immer böse, nie gut. Wir werden nicht lernen, miteinander in Frieden zu leben, wenn wir gegenseitig unsere Kinder töten.
Jimmy Carter mischt sich bis zuletzt in die aktuelle Politik ein
Carter blieb bis ins hohe Alter politisch aktiv. Im Dezember 2006 löste sein Buch „Palestine: Peace, not Apartheid“, in dem er Israel die Hauptschuld für den ungelösten Palästina-Konflikt gab, eine Kontroverse in den USA aus. Während er die Vorgehensweise Israels als unmenschlich und völkerrechtswidrig brandmarkte, beschuldigte er die USA der unkritischen Parteinahme für die Interessen Israels. Das brachte ihm den Vorwurf des Antisemitismus ein. Dagegen betrachten ihn die Palästinenser als guten Freund.
Im Jahr 2018 sprach sich Carter für die Ehe für alle aus. „Jesus hätte die Ehe für alle wohl gutgeheißen“, sagte Carter in einem Interview mit dem TV-Sender Huff Post Live. Jesus hätte jede Liebesbeziehung unterstützt, die ehrlich und aufrichtig sei und niemanden verletzen würde. „Ich sehe nicht, dass die Ehe für alle jemandem schadet.“ Zudem schlug er damals vor, dass Kirchen, die die Ehe für alle nicht akzeptieren, dazu verpflichtet werden sollten, Hochzeitszeremonien für gleichgeschlechtliche Paare anzubieten. Jeder Mensch sollte heiraten dürfen, wen er möchte.
Und er scheute er sich auch nicht, die Präsidenten, die nach ihm im Amt waren, scharf zu kritisieren – zuletzt zum Beispiel Donald Trump. Über den Republikaner machte er sich 2018 bei einem Auftritt in der Late-Night-Show von Stephen Colbert sogar ein wenig lustig. „Waren Sie zu nett als Präsident? Will Amerika lieber einen Idioten?“, wollte Colbert wissen. „Offensichtlich“, so Carter. „Ich hatte das bisher eigentlich nicht geglaubt.“
Wahl in den USA
Nun tritt Trump erneut zur US-Wahl an, diesmal gegen Kamala Harris. Carter, der sich seit Februar 2023 im Kreise seiner Familie in palliativer Betreuung befindet, hat deshalb noch eine letzte Mission: Der älteste noch lebende frühere US-Präsident, dessen Ehefrau Rosalynn Ende 2023 im Alter von 96 Jahren starb, will sein Scherflein dazu beitragen, dass Trump endgültig von der politischen Bühne verschwindet. „Er ist der Meinung, dass Donald Trump nicht wieder Präsident werden sollte“, sagte Carters Sohn James Earl im September der Washington Post.
Carters Briefwahlstimme könnte für Harris von großer Bedeutung sein. Immerhin ist Carters Heimatstaat Georgia einer der hart umkämpften Swing States, die den Ausgang der Wahl entscheiden werden. Ein Sieg von Kamala Harris bei der US-Wahl wäre für Carter wohl das größte Geschenk. (Christian Stör)