Putins Offensive an Ukraine-Front: Russlands Taktik sorgt bei Analysten für Überraschung

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Putins Truppen setzten ihre Offensive im Ukraine-Krieg fort. Russlands setzt dabei entlang der Front auf Variabilität und sorgt bei Experten für Überraschung.

München – Knapp zweieinhalb Jahre nach seinem Beginn hat der Ukraine-Krieg die Stadt Torezk endgültig erreicht. Trotz der Lage der Bergbaustadt nördlich der Stadt Donezk und nahe der Frontlinien, blieben die Menschen vor Ort bislang von der großen Härte des Kriegs vergleichsweise verschont. Das änderte sich vor wenigen Wochen, als Torezk in den Fokus der russischen Armee geriet. Wie der Guardian berichtete, flohen die Einwohner der Stadt in den letzten Tagen in Scharen aus dem Gebiet, in dem jetzt Drohnen- und Luftangriffe an der Tagesordnung stehen.

Für die Offensive von Russlands Präsident Wladimir Putin hat die Kleinstadt offenbar große Bedeutung. Gleichzeitig gibt der jüngste Vorstoß einen Einblick in die internen Strukturen des russischen Militärs. Putins Generäle scheinen aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen und neue taktische Möglichkeiten anzuwenden.

Putins Offensive im Ukraine-Krieg – russische Soldaten drängen auf Torezk

Denn sollte den russischen Truppen ein erfolgreicher Vorstoß in die Stadt Torezk gelingen, würden sich gleich mehrere Möglichkeiten auftun, um die Sommer-Offensive fortzusetzen und die Front weiter nach Westen zu verschieben. Oberstleutnant Nazar Voloshyn, Sprecher der Khortytsia-Gruppe der ukrainischen Streitkräfte, sprach am Dienstag (2. Juli) in einem Interview mit Suspilne Donbas über den russischen Vorstoß.

Ein russischer Soldat bedient eine Haubitze an der Front in der Region Saporischschja.
Russlands Streitkräfte haben bei ihrer Offensive den Fokus auf die Stadt Torezk gelegt. (Archivbild) © Alexander Polegenko/imago-images

Voloshyn zufolge richtet sich die Stoßrichtung von Putins Soldaten nach Norden. Torezk soll demnach als Ausgangspunkt für die russische Armee dienen, um die Südflanke der Stadt Tschassiw Jar anzugreifen. Die als strategisch wichtig angesehene Stadt in der Region Donezk sieht sich seit mehreren Wochen massiven russischen Angriffen ausgesetzt. Erst Ende Juni verstärkte das ukrainische Militär die Verteidigung der Stadt und entsandte weitere Einheiten. Die Lage in der Stadt sei „äußerst schwierig“ zitierte das Portal welt.de aus einem Bericht der 24. Mechanisierten Brigade der Ukraine. „Der Feind organisiert ständig massive Frontalangriffe.“

Tschassiw Jar im Fokus? Russland plant offenbar neue Stoßrichtung an der Ukraine-Front

Bislang führen Putins Streitkräfte die Angriffe jedoch vor allem von der Frontlinie im Osten und Nordosten der Stadt aus. Sollte den Truppen der Durchbruch in Torezk gelingen, könnten die russische Armee auch von Süden aus kommend auf Tschassiw Jar drängen. Bei einer erfolgreichen Durchführung müssten die ukrainischen Verteidiger den Feind damit gleich an zwei Frontlinien am Eindringen in die Stadt hindern. Der US-amerikanische Thinktank „Institute for the Study of War“ (ISW) schrieb dazu in seinem täglichen Lagebericht vom Mittwoch (3. Juli): Russlands Armee könnte Tschassiw Jar nach einem Vorstoß bei Torezk „glaubwürdiger von Süden her bedrohen und so die laufenden russischen Offensivbemühungen nördlich von Tschassiw Jar in der Nähe von Kalynivka ergänzen.“

Variable Front-Offensive im Ukraine-Krieg – Putins Armee könnte in zwei Richtungen vorstoßen

Der ukrainische Militärbeobachter Kostyantyn Mashovets hält derweil eine andere Stoßrichtung von Putins Offensive für denkbar. Russlands Truppen könnten sich nach der Einnahme von Torezk nach Süden wenden und dort die Frontlinie hinter der Stadt Awdijiwka verstärken. Beginnend im letzten Jahr kämpften russische und ukrainische Truppen über Monate hinweg um die Vorherrschaft in der Stadt. Im Februar 2024 zogen sich die ukrainischen Verteidiger schließlich aus Awdijiwka zurück.

Anfang Juli lag der Frontverlauf einige Kilometer hinter der Stadt – dort könnten die russischen Truppen von Norden aus Torezk kommend die Vorstöße unterstützen. Mashovets zufolge stehen die russischen Offensiv-Bemühungen in Torezk im direkten Zusammenhang mit den Vorstößen in der Region um Awdijiwka.

Torezk könnte für die russischen Streitkräfte somit als eine Art Etappenziel dienen, von dem aus man die Offensive entweder nach Norden oder Süden fortsetzten könnte – abhängig davon, welche Richtung dann die größeren Erfolgsaussichten bietet. Eine Taktik der russischen Armeeführung, welche die ISW-Experten durchaus als bemerkenswert einstuften.

Putins Generäle lernen dazu – Experten sehen Fortschritte bei jüngster Offensive

„Die russischen Vorbereitungen, die mehrere künftige Pläne unterstützen können, deuten auf ein ausgeprägteres Maß an operativer Planung und Weitsicht hin, als es das russische Kommando im bisherigen Kriegsverlauf seit Anfang 2022 angewandt hat“, schreibt der Thinktank in seinem Lagebericht. Bislang hatte die russische Militärführung vor allem „inkohärente Offensivoperationen an unabhängigen Teilen der Front“ durchgeführt, um weiter nach Westen vorzustoßen.

Erst im November 2023 hatten die ISW-Experten dem russischen Generalstab die Unfähigkeit attestiert, aus vergangenen Fehlern zu lernen und ihre Strategie anzupassen. Die Herangehensweise bei der Offensive auf Torezk legt nun jedoch genau ein solches Verhalten nahe.

Mangelnde taktische Fähigkeiten – Russlands Erfolgschancen an der Front wohl nur „begrenzt“

Ob Putins Streitkräfte Erfolg mit dem Vorstoß an der Front haben werden, hängt laut ISW vor allem davon ab, ob die in der Region stationierten Einheiten in der Lage seien werden, die taktischen Vorgaben auf dem Schlachtfeld umzusetzen. Denn im Gebiet um Toretsk kämpfen vor allem schlecht ausgebildete Soldaten aus der Armee der selbsternannten Volksrepublik Donezk und anderen territorialen Gruppen auf der Seite Russlands. Diese Truppen werden dem ISW zufolge Schwierigkeiten haben, Angriffe effektiv durchzuführen.

„Die Verwirklichung dieser Einsatzplanung wird jedoch durch die insgesamt schlechten taktischen Fähigkeiten der derzeit in diesen Gebieten kämpfenden russischen Streitkräfte begrenzt“, schlussfolgerten die ISW-Experten. Weiter erschwert wird die Lage für die russischen Truppen durch die in den kommenden Wochen und Monaten erwarteten Militärhilfen für die Ukraine. Die Offensive auf Torezk könnte also entscheidend für den Frontverlauf in den kommenden Monaten werden. (fd)

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