Weltweit werden die Friedensverhandlungen zwischen den USA und Russland mit Spannung verfolgt. Die US-Unterhändler Steve Witkoff und Jared Kushner trafen sich zuletzt mit Machthaber Wladimir Putin im Kreml. Die europäischen Staatschefs sind derweil im regen Austausch mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und parallel mit den Amerikanern. Mitschnitte von geheimen Telefonaten zwischen Kanzler Friedrich Merz und dem ukrainischen Präsidenten machen die Runde. Weitere Verhandlungen sind geplant.
In Deutschland und in Europa hoffen viele auf Frieden. Die Menschen in der Ukraine, die nahezu täglich russische Angriffe miterleben, sagen das genaue Gegenteil. Sie wollen zwar ein Ende des Blutvergießens, machen sich aber wenig Hoffnung, dass zeitnah Frieden kommt.
Ukrainerin: "Nichts von Putins Handeln sieht nach Frieden aus"
"Es wird doch schon seit Jahren über Frieden verhandelt. Wir sind müde davon und ich sehe nicht, dass es vorangeht. Russland rüstet auf. Nichts von Putins Handeln sieht nach Frieden aus. Nichts", sagt Uliana Kuidych FOCUS online. Sie wohnt in Dnipro in der Ostukraine. Sie wisse auch nicht, wie viele Punkte jetzt von dem ursprünglichen 28-Punkte-Plan noch übrig sind. Denn es kursierten immer wieder neue Angaben, auch in ukrainischen Medien.
"Trump will den Frieden in der Ukraine, er möchte verhandeln. Putin möchte nicht verhandeln, er möchte den Krieg. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er in absehbarer Zeit einen Friedensvertrag unterzeichnet", sagt Uliana Kuidych weiter. Regelmäßig erlebt die 40-Jährige Drohnen- und Raketenangriffe in ihrer Stadt. Russland ziele jetzt im Winter auf die Energieanlagen. Nicht nur in der Ostukraine, sondern auch in Kiew und in anderen Großstädten. "Der Strom fällt regelmäßig über Stunden aus und wir haben auch keine Heizung", sagt Uliana Kuidych.
Natürlich wünschten sich viele Frieden. Doch wie der aussehe, sei unklar. "Einige in der Ukraine wünschen sich die Krim zurück, für andere wäre das Einfrieren der Frontlinie erst mal okay. Fest steht, dass wir nicht zurück in die Zeiten der Sowjetunion wollen. Niemals", sagt sie weiter.
Denis Trubetskoy: Verhandlungen sind "großes Theater"
Der ukrainische Journalist Denis Trubetskoy aus Kiew bezeichnet die Friedensverhandlungen zwischen den USA und Russland im Gespräch mit FOCUS online als "großes Theater für die Zuschauer". Er erklärt: "Natürlich wollen wir einen Waffenstillstand. Aber die Verhandlungen bringen nichts, wenn die Ukraine nicht mit am Tisch sitzt. Und ich bin sehr skeptisch, ob Russland einen Waffenstillstand und Verhandlungen will. Putin will die Ukraine auslöschen!"
Den umstrittenen 28-Punkte-Plan sieht Trubetskoy differenzierter und etwas positiver als andere Beobachter. Eine Reduzierung der ukrainischen Armee wäre nach seiner Meinung vielleicht nicht das Schlechteste, um zu deeskalieren. "Viele Ukrainer sehen außerdem die Nato-Mitgliedschaft viel kritischer. Sie finden, dass die Nato sowieso handlungsunfähig ist. Wieso sollen wir Mitglied werden?", sagt der Journalist.
Denis Trubetskoy findet die Strategie von Donald Trump nicht verständlich. "Er unterstützt die Ukraine mit Waffen und Geld und versucht sie so unter Druck zu setzen. Er verhängt Sanktionen gegen Russland und verhandelt gleichzeitig mit Putin. Trump glaubt, dass das besonders schlau ist. Aber dieses Verhalten ist schizophren und funktioniert nur in einem Paralleluniversum."
Ukraine-Krieg: "Das wird der schwierigste Winter seit Kriegsbeginn"
Die leicht ausgesprochene Forderung, die Ukraine solle Gebiete abtreten, wäre in der Realität unglaublich schwierig, so der Journalist weiter. "In den Gebieten, die Russland haben will, leben Hunderttausende Ukrainer. Wie sollen die unter Putins Herrschaft leben? Wie geht es ihnen da humanitär? Es ist unklar, ob sie sicher sind."
Dass die Westukraine sicher ist, ist laut Denis Trubetskoy ein Vorurteil des Westens: "Wir befinden uns seit vier Jahren im umfänglichen Krieg. Es gibt regelmäßige Angriffe auch in der Westukraine mit Toten und Verletzten. Russland attackiert die Energieversorgung, auch in Kiew. Hier in der Hauptstadt fällt jeden stundenlang der Strom aus. Putin will, dass unsere Großstädte unbewohnbar sind. Das wird für uns der schwierigste Winter seit Kriegsbeginn."
Yuliia Zeid aus Mykolajiw in der Südukraine berichtet gegenüber FOCUS online von Drohnenangriffen und Raketen. "Sirenen hören wir täglich. Der einzige halbwegs sichere Ort in meinem Haus ist mein Badezimmer."
"Ich habe mehr Angst um meine Freunde in der Armee als um mich"
Sie fahre auch regelmäßig nach Cherson, weil sie dort als zivile Helferin arbeite. "Dort fliegen täglich Drohnen und die Frontlinie ist ganz in der Nähe der Stadt." Sie habe sich an den Krieg gewöhnt, aber natürlich sei es frustrierend, Nachrichten über Angriffe und Tote zu lesen. Dazu komme die ständige Sorge um Freunde und Familie. "Einige meiner Freunde sind jetzt in der Armee, ebenso wie mein Freund. Ich habe mehr Angst um sie als um mich selbst", sagt sie.
Yuliia Zeid glaubt nicht, dass bei den Verhandlungen zwischen Putin und den USA etwas herauskommen wird: "Wir kennen unseren Feind besser als jeder andere. Russland versucht nur, Zeit zu gewinnen, damit die USA keine Sanktionen gegen sie verhängen. Aber die Russen interessieren sich nicht für das Friedensabkommen und würden niemals zustimmen. Sie interessieren sich nicht für die Landstücke. Sie wollen die ganze Ukraine einnehmen und Ukrainer töten."
In ihren Augen spiele Trump die Rolle eines Immobilienmaklers, der glaubt, er könne die Ukraine einfach an den Feind abgeben, um in den Augen seiner Bürger dafür Anerkennung zu erhalten.
Ukrainerin: "Trump hat das Friedensabkommen nicht gelesen"
"Er hat das Friedensabkommen nicht einmal gelesen – wie können wir ihn da ernst nehmen? Und selbst wenn er es getan hätte – wie könnte ich zustimmen, die Heimat von Menschen wegzugeben, die ich persönlich getroffen habe und kenne?", fragt sie.
Yuliia Zeid macht sich Luft: "Selbst wenn dieses Abkommen zustande kommt, verstehe ich einfach nicht, wie all die Verbrechen, die Russland begangen hat, gerechtfertigt werden können. Ja, wir sind müde, wir wollen in Frieden leben, aber auf diese Weise wird er nicht funktionieren."
Andrii B. kämpft an der Front in Charkiw. Auch er teilt die Skepsis. Er glaubt nicht, dass die USA Erfolg haben werden. FOCUS online sagt er: "Ich vertraue den Amerikanern überhaupt nicht. Solange Trump Russland geheim unterstützt und das nicht offen tut, werde ich diesem ganzen Zirkus nicht folgen. Politisch gesehen unterstützt Trump Putin bereits. Dennoch zeigt es, in welcher Situation wir uns befinden: Von der Hilfe der USA für die Ukraine sind wir zur Hilfe der USA für Russland übergegangen."