Dieses Gewaltverbrechen erschütterte Deutschland im Sommer: Am 11. August 2025 starb Liana K. (16) am Bahnhof im niedersächsischen Friedland auf grausame Weise.
Der abgelehnte und vollziehbar ausreisepflichtige Asylbewerber Muhammad A. (31) soll das aus der Ukraine stammende Mädchen vor einen mit Tempo 100 fahrenden Güterzug gestoßen und getötet haben. Der psychisch kranke Iraker war schon zuvor polizeilich aufgefallen.
Drei Monate nach der Tat werden neue Details über den dringend tatverdächtigen Zuwanderer bekannt, der am 13. August 2022 nach Deutschland eingereist war. Einige Punkte erhärten den Verdacht, dass Behörden nicht konsequent gehandelt haben und damit die schreckliche Tat wohl erst möglich machten.
Auskunft der Landesregierung: Neue Details zu Muhammad A.
Nach Informationen von FOCUS online erhielt Muhammad A. staatliche Zuwendungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in einer Gesamthöhe von 42.350 Euro. Dazu zählen direkte Zahlungen per Scheck oder Überweisung von mehr als 10.500 Euro sowie Kostenerstattungen etwa für Unterkunft, medizinische Versorgung, Bekleidung und den notwendigen Bedarf.
Das geht aus einer Antwort (ohne Anlagen 44 Seiten) der rot-grünen niedersächsischen Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der CDU hervor, die FOCUS online ausgewertet hat. Die Anfrage mit knapp 150 Fragen hatten die Abgeordneten Carina Hermann und André Bock gestellt.
Auffällig: Das Innenministerium verweigert den Parlamentariern (wie schon zuvor FOCUS online) hartnäckig Auskünfte zum kriminellen Vorleben des Irakers. Die CDU wollte unter anderem wissen, ob es vor dem Tötungsdelikt in Friedland „zu Vorfällen und Auffälligkeiten“ gekommen war, etwa zu „Belästigungen von Personen, Straftaten, Ermittlungsverfahren, psychischen Auffälligkeiten“.
Doch dazu schweigt die Regierung – unter Berufung auf die niedersächsische Verfassung.
Rot-Grün schweigt zum kriminellen Vorleben des Irakers
Demnach müsse sie keine Informationen preisgeben, wenn „zu befürchten ist, dass durch das Bekanntwerden von Tatsachen dem Wohl des Landes oder des Bundes Nachteile zugefügt oder schutzwürdige Interessen Dritter verletzt werden“. Insbesondere „das Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Herrn A.“ stünde einer Veröffentlichung etwaiger Straftaten oder Ermittlungsverfahren entgegen.
Auf Deutsch: Unter Verweis auf die Persönlichkeitsrechte des beschuldigten Irakers wollen die Regierungsverantwortlichen nichts über dessen kriminelle Vita sagen. Das Interesse der Öffentlichkeit wird als weniger dringlich eingestuft.
Immerhin kann man aus anderen Antworten herauslesen oder zumindest ableiten, dass Muhammad A. mehrfach durch rabiates Verhalten und handfeste Straftaten auffiel. Und dass seine psychischen Probleme während des Aufenthalts in Deutschland immer offensichtlicher wurden.
Nach Darstellung der Landesregierung wurde Muhammad A. nach seiner Einreise zunächst als unauffällig eingestuft: „Im Rahmen der durchgeführten Erstuntersuchungen gab es keine Hinweise auf eine psychische Erkrankung.“
Muhammad A. fürchtete Tod "durch Gas, Strom und Gift"
Das änderte sich spätestens, als der Iraker am 21. Juli 2025 nach der Entlassung aus der Justizvollzugsanstalt Sehnde (dort saß er eine Ersatzfreiheitsstrafe ab, weil er eine Geldstrafe wegen exhibitionistischer Handlungen nicht gezahlt hatte) wieder im Grenzdurchgangslager Friedland auftauchte.
Dort erklärte er, „dass man ihn durch Gas, Strom und Gift umbringen wolle“. In seinem Zimmer sei „überall Strom, aus den Lampen käme Gas. Er benötige daher ein anderes (Einzel-)Zimmer“. Seine Befürchtungen teilte er auch der Polizei mit. „Dort wurde die Situation als ein psychisches Problem eingeschätzt.“
Muhammad A. wurde daraufhin mit dem Rettungswagen in das Asklepios-Kinikum Göttingen, einem Fachklinikum für Psychiatrie und Psychotherapie, gebracht. „Dort willigte er nur ein, sich in der Klinik körperlich untersuchen zu lassen, um die Auswirkungen der angeblichen Vergiftung/des Einsatzes von Strom zu überprüfen“, so die Landesregierung.
Bereits bei seiner Aufnahme in die Justizvollzugsanstalt Sehnde Anfang Juli 2025 deutete sich an, dass mit Muhammad A. etwas nicht stimmt. Bei Gesprächen mit Mitarbeitern des medizinischen Dienstes „konnte er sich nicht eindeutig von suizidalen Gedanken distanzieren und wurde daher in einem kameraüberwachten Haftraum untergebracht“, so die Regierung in ihrer Antwort.
Randale im Gefängnis: Er zerstörte die Deckenlampe
In der JVA selbst habe er randaliert. „Er verschmutzte an einem Tag die Kamera des Haftraums mit seinem Unrat. Eine Woche später zerstörte er die Deckenlampe und die darin befindliche Leuchtstoffröhre. Die Wände waren an diesem Tag mit einem nicht näher zu definierenden Material bemalt. Herr A. weigerte sich, die Scherben herauszugeben. Infolgedessen musste er in einem besonders gesicherten Haftraum ohne gefährdende Gegenstände untergebracht werden.“
Drei Gesprächsangebote des psychologischen Dienstes und ein weiteres der Anstaltspsychiaterin habe Muhammad A. nicht angenommen. „Er zeigte bis zur Entlassung sein deutliches Desinteresse an einer Zusammenarbeit.“
Ebenfalls hochinteressant ist die Antwort der Regierung auf Frage Nummer 27. In dieser wollte die CDU wissen, welche Maßnahmen im März 2025 ergriffen wurden, um den untergetauchten Muhammad A. zu finden und ihn nach Litauen zu überführen. Das war nach dem rechtskräftigen Abschluss des Verwaltungsgerichtsverfahrens nämlich möglich. Muhammad A. hatte sich, wie man jetzt weiß, damals zeitweise in die Schweiz abgesetzt.
Behörde sieht von Ausschreibung zur Festnahme ab
Antwort der Landesregierung: „Der Landkreis Northeim als zuständige Ausländerbehörde gibt an, … die Ausschreibung zur Festnahme erwogen zu haben.“ Davon sei „jedoch abgesehen worden“.
Grund: „Nach Auffassung des Landkreises Northeim sind die aktuell geltenden Vorschriften zur Aufenthaltsermittlung ein untaugliches Mittel, um untergetauchte Personen wieder in den Wirkungskreis der zuständigen Ausländerbehörde zu bringen. Die Person erhalte lediglich eine Anlaufbescheinigung, mittels derer sie aufgefordert wird, sich wieder bei der zuständigen Ausländerbehörde zu melden.“
Das bedeutet: Die zuständige Behörde hat nicht einmal versucht, den abgetauchten Iraker zu finden und aus Deutschland zu bringen – angeblich, weil die gesetzlichen Vorschriften zu lasch sind.
Die Landesregierung bewertet dies kritisch. Ihrer Auffassung nach „sollten die im Aufenthaltsgesetz vorgesehenen Instrumente und zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten zur Aufenthaltsermittlung von den Ausländerbehörden vollumfänglich ausgeschöpft werden, um eine effektive und rechtssichere Durchsetzung der bestehenden Ausreisepflicht zu gewährleisten“. Das Innenministerium werde „die Ausländerbehörden zur konsequenteren Nutzung der Fahndungsmöglichkeiten erneut sensibilisieren“.
Notruf um 16.04 Uhr: "Verletzte oder tote Person" am Bahnhof
Auch zur Gewalttat am 11. August 2025 am Bahnhof Friedland gibt es neue Details. Nach Auskunft der Landesregierung gingen zu dem Komplex vier Notrufe ein. Zunächst riefen Anwohner die Polizei wegen eines Randalierers zum Bahnhof. Sie meldeten „eine aggressive männliche Person“. Die Person habe „mit einer Tasche auf einen vorbeifahrenden Pkw geschlagen und herumgeschrien“. Um 16.04 Uhr ging schließlich ein Notruf ein, „der auf eine verletzte oder tote Person hinwies“.
Noch am Tattag wurde die Kleidung der getöteten Liana K. sichergestellt. „Ab dem 21. August 2025 erfolgte eine DNA-Untersuchung der Kleidung durch das Landeskriminalamt (LKA) Niedersachsen“, so die Regierung. Dabei wurden „eindeutig“ DNA-Spuren von Muhammad A. festgestellt.
Die Proben des Irakers waren von der Polizei am 18. April 2024 gesichert und zur Identitätsfeststellung in zukünftigen Strafverfahren gespeichert worden. Muhammad A. stand damals unter Exhibitionismus-Verdacht und gab seine DNA freiwillig ab.
Noch am Abend des Tattages, gegen 18.40 Uhr, kehrte Muhammad A. ins Grenzdurchgangslager Friedland zurück und verlangte nach Essen und Trinken. „Er war alkoholisiert und reagierte aggressiv und beleidigend und bedrohte den Mitarbeiter verbal“, so die Regierung. Dabei soll er zwei Mitarbeiter „unabhängig voneinander mit dem Tode bedroht haben“. Der Zuwanderer ist derzeit im Fachkrankenhaus für forensische Psychiatrie und Psychotherapie Moringen untergebracht.
CDU: Einige zentrale Fragen bleiben unbeantwortet
Die CDU prüft die Antworten der Landesregierung zum Tötungsdelikt von Friedland derzeit genau und wertet die Antworten im Detail aus. Carina Hermann, Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU-Landtagsfraktion, erklärte an diesem Mittwoch gegenüber FOCUS online: „Schon jetzt ist aber klar: Einige zentrale Fragen bleiben unbeantwortet – insbesondere zur Rolle des Innenministeriums, zum Informationsfluss zwischen den Behörden und zur Frage, warum kein wirksames Eingreifen erfolgte, obwohl der Tatverdächtige längst hätte abgeschoben werden können.“
Hermann weiter: „Morgen erwarten wir von der Innenministerin im Ausschuss klare Worte, eine echte Fehlerkultur und vor allem eine Roadmap, wie sie sicherstellen will, dass sich in Niedersachsen so etwas nicht wiederholt, damit unser Land sicherer wird."