Berthold Bücheles Buch vermengt die Geschichte des Bauernkriegs im Allgäu mit Aktualpolitik
Kürzlich stellte der Verein zur Pflege von Heimat und Brauchtum sein jüngst herausgegebenes Buch „Bauernkrieg im Allgäu. Herren und Hörige – einst und jetzt“ vor, das Berthold Büchele verfasst hat.
Ratzenried/Westallgäu – Das kleine Dorf Ratzenried mit rund 1.400 Einwohnern ist seit der Gebietsreform 1972 eine der fünf Teilortschaften der Gemeinde Argenbühl. Die Größendimensionen des dortigen (Unteren) Schlosses und der Burgruine (früher Oberes Schloss) lassen ahnen: Die historische Bedeutung der Herrschaft Ratzenried (vor 1820) war für die Region nicht unerheblich.
Das wurde bei der Vorstellung des vom Verein zur Pflege von Heimat und Brauchtum Ratzenried herausgegebenen Buches „Bauernkrieg im Allgäu. Herren und Hörige – einst und jetzt“ von Berthold Büchele wieder deutlich. Im Foyer der örtlichen Schule waren alle Stühle besetzt, der Autor und das Publikum kamen bereits vor dem Vortrag ins Gespräch.
Der 104 Seiten umfassende Band gehört zu der immer größer werdenden Reihe von Werken, die sich mit der wichtigen Rolle des Allgäus für Vorgeschichte, Ablauf und Nachwirkung des Bauernkriegs vor 500 Jahren beschäftigen. Diese Arbeit weist unter ihnen in vielerlei Hinsicht Besonderheiten auf.
Buchgestaltung
Format und Gliederung entsprechen mehr den üblichen Kriterien eines Lehrbuches als einer wissenschaftlichen Abhandlung: Die einzelnen Kapitel werden kurzgehalten, fassen das wichtigste Wissen zusammen und veranschaulichen dieses anhand eines reichhaltigen, sorgfältig ausgesuchten Bildmaterials (v. a. Flugschriften, Kunstwerke und etliche Abbildungen aus der Weißenauer Chronik). Landkarten, Tabellen, stichpunktartige Zusammenfassungen und Zitate aus historischen Dokumenten helfen bei der Vertiefung. Ein wissenschaftlicher Apparat mit Quellen- und Literaturangaben ist trotzdem vorhanden.
Historische Lieder: Wertvolles Alleinstellungsmerkmal von „Bauernkrieg im Allgäu. Herren und Hörige – einst und jetzt“
Das größte und wertvollste Alleinstellungsmerkmal dieses Buches sind die 22 im Anhang veröffentlichten historischen Lieder, auf die bei den passenden Stellen im Buchtext regelmäßig hingewiesen wird.
Diese Stärke lässt sich auf Bücheles Biografie zurückführen: Er hat Musik und Romanistik in Stuttgart studiert und war bis zu seiner Pensionierung Musiklehrer an den Gymnasien Ludwigsburg, Wangen und Isny. Seit 1970 widmet er sich der wissenschaftlichen Arbeit mit zwei Schwerpunktthemen: 1. Heimatforschung in Ratzenried und in der Region, 2. Musikgeschichte in Oberschwaben und im Allgäu. Mit seinen zahlreichen Publikationen hat er sich in beiden Bereichen einen Namen gemacht.
Einige der veröffentlichten Musikstücke stammen aus gedruckten Liederbüchern, andere aus Bücheles eigenen Sammlungen, zu mehreren überlieferten Texten hat er selbst die Musik geschrieben. Das Lied „Gnädigster Herr Rupprecht“, eine Art Litanei über die Abgaben der Leibeigenen, die über Jahrhunderte mündlich überliefert wurde, zeichnete er beispielsweise 1998 auf!
Das Publikum singt mit
Im Laufe des Abends in der Ratzenrieder Schule trug Büchele etliche Lieder vor, auf der Gitarre begleitet wurde er von Ernst Krainacher. Sie schafften es oft, das Publikum zum Mitsingen zu motivieren. Die thematische Bandbreite der Musikstücke ist groß: von der kritischen Beschreibung der Ständegesellschaft aus der Feder von Oswald von Wolkenstein bis zu den spöttischen Triumphtönen über die besiegten Bauern „Wie nu, ihr elenden Pauren“, von der Schilderung des schweren Bauernlebens bis zu deren Sehnsucht nach Schweizer Verhältnissen. Viele Lieder spiegeln die ablehnende Haltung ihrer Verfasser gegenüber dem Aufruhr wider.
Ein besonderer Stellenwert ist dem erstmalig 1525 in Bamberg gedruckten Lied „Der Baurenn krieg“ zuzuschreiben, das bei Büchele unter dem Titel „Ihr Herren, wollt ihr schweigen“ veröffentlicht ist. Laut Thomas Kaufmann („Der Bauernkrieg. Ein Medienereignis“, Herder 2024) beschrieb es die deutschlandweiten Ereignisse das erste Mal unter dem Begriff „Bauernkrieg“ detailliert als Teile einer zusammengehörenden Erzählung.
Gerd Schwerhoff („Der Bauernkrieg. Geschichte einer wilden Handlung“, C.H.Beck 2024) weist darauf hin, dass die Kommunikationsformen im 16. Jahrhundert – trotz der großen Rolle des Buchdrucks – „ganz wesentlich von oralen und handschriftlichen Kommunikationsformen geprägt“ blieben. Schade, dass Büchele mit seinem speziellen Fachwissen nicht ausführlicher darauf eingeht, welche Bedeutung die Lieder für Zusammenhalt, Kommunikation und Überlieferung vor 500 Jahren gespielt haben.
Westallgäu im Fokus
Das Buch ist keine zusammenhängende Geschichte des Bauernkriegs im Westallgäu, sondern ein auf drei Hauptkapitel (Vorgeschichte, Ablauf, Nachwirkung) aufgeteilter Überblick auf die Geschehnisse im gesamten Allgäu. Büchele lässt auf der Ebene der konkreten Beispiele viele interessante Details aus Ratzenried und der unmittelbaren Region einfließen. Er beschreibt beispielsweise, dass die am 22. Februar 1525 von Kißlegger Bauern verfassten 18 „Schellenberger Artikeln“ als die ersten schriftlich fixierten Forderungen der Allgäuer Bauern gelten.
Oder dass Sebastian von Ratzenried, der Herr des Unteren Schlosses in Ratzenried seine Schätze bereits Anfang März der Stadt Wangen in verschlossenen Truhen zur Aufbewahrung übergab. Seine Vorahnung bestätigte sich erst Anfang Mai, als die Bauern sein Schloss plünderten. Im Juni stellte er eine Liste über die zugefügten Schäden zusammen, die beweist, dass die Aufständischen es vor allem auf Lebensmittel abgesehen hatten und weniger auf Zerstörung aus waren. Wangen hatte unter den Städten der Region einen Sonderstatus, weil es nicht protestantisch wurde und sich gegen die Forderungen der Bauern stellte.
Die nächsten 500 Jahre
Büchele beschreibt im letzten Teil seines Buches die Situation der Allgäuer Bauern von 1525 bis zur Gegenwart. Er schlägt die Brücke von dem letzten gescheiterten Aufbäumen der Freien in Ratzenried 1611 über die verheerende Zeit des Dreißigjährigen Kriegs (1632 wurden beide Schlösser zerstört) und die Anfang des 19. Jahrhunderts erfolgte Aufspaltung des Allgäus zwischen Bayern und Württemberg bis zur Abschaffung der Leibeigenschaft 1848.
Der Autor brachte ein Brett aus einem ehemaligen Bauernhaus in Reute (Gemarkung Ratzenried) zur Veranstaltung mit, auf dem eine Art Tagebuch über die Geschichte des Hauses geführt wurde. Mit dabei ist ein Hinweis auf die Bauernbefreiung (siehe Foto). Im Anhang sind auch einige Passagen aus einem Theaterstück veröffentlicht, das in der Regie des Autors 1998 in Ratzenried zum 150. Jahrestag der Bauernbefreiung aufgeführt wurde. Büchele hatte dafür u. a. das historische Lied „Anno 1848“ als Parodie auf die Gegenwart umgeschrieben.
Problematische Inhalte im Buch
Hier beginnen die problematischen Inhalte des Buches. Inhalte, die in einem Theaterstück, das die Gegenwart mithilfe von parodistischen Vergleichen zur Vergangenheit auf die Schippe nimmt, ihre Berechtigung haben, aber nicht in ein historisches Fachbuch passen. Die Aussagen der letzten Seiten ähneln einem politischen Flugblatt, das die fachliche Seriosität des ganzen Werkes infrage stellt.
Die Idee, die Zwölf Artikel auf die Gegenwart umzumünzen, ist an sich gut. Die Kritik am Verlust der traditionellen bäuerlichen Landwirtschaft ist ebenfalls berechtigt. Es gibt unter den zwölf Punkten zutreffende und frappant formulierte Artikel wie den elften, der die Bürokratisierung kritisiert: „Unsere Arbeitsplätze sind in erster Linie Stall, Acker, Feld, Wald und Wiese und erst in zweiter Linie der Schreibtisch!“
Aber die Hinweise auf irgendwelche Verschwörungen von „weltweit anonymen Herrschaften“ wecken Unheil bringende Assoziationen. Die pauschale Gleichsetzung gewählter politischer Vertreter („die Obrigkeiten“) mit den Feudalherren, die ihre „Hörigen“ auch heute bevormundeten und genauso durch Abgaben wie Kirchen- und Erbschaftssteuer belasteten, und dafür nicht einmal Schutz („innere Sicherheit“) bieten würden, ist populistisch und missversteht die Grundidee von Demokratie. Die Brutalität der Niederschlagung des Aufruhrs von 1525 mit Zehntausenden Todesopfern dürfte den undifferenzierten Vergleich von sich aus verbieten. Auch der Blick auf die Bauernproteste des letzten Jahres ist unkritisch einseitig.
Es wäre zu wünschen gewesen, dass sich Berthold Büchele die warnenden Worte von Schwerhoff zu Herzen genommen hätte: Er ruft in den letzten Sätzen seiner Monografie dazu auf, den Bauernkrieg in seiner Vielfalt und Widersprüchlichkeit wahrzunehmen und ihn auf keinen Fall „für gegenwartspolitische Zwecke zu instrumentalisieren“.
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