„Senkt die sowieso schon niedrige Hemmschwelle enorm“: Abschaffung des „begleiteten Trinkens“ gefordert
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will das „begleitete Trinken“ abschaffen. Auch Experten im Tölzer Land finden, dass das Aus für diese Regelung, laut der Jugendliche ab 14 in der Öffentlichkeit Bier und Wein konsumieren dürfen, überfällig ist.
Bad Tölz-Wolfratshausen – Wann junge Leute zum ersten Mal eine Halbe Bier oder ein Glas Wein probieren – und ob überhaupt –, das ist individuell sehr unterschiedlich. Eine klare Regelung gibt es im Jugendschutzgesetz: Jugendliche dürfen ohne Aufsicht erst ab 16 Jahren Bier, Wein und Sekt trinken. In Begleitung Erwachsener aber ist ihnen das schon ab 14 erlaubt. „Begleitetes Trinken“ nennt sich diese Regelung, die es bereits seit 1952 gibt. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hält davon gar nichts und möchte Jugendlichen unter 16 den Alkoholkonsum generell verbieten. Von Experten aus dem Landkreis bekommt er dafür Unterstützung.
Vertreterin des Tölzer Jugendamts begrüßt Vorstoß
„Aus Sicht des Jugendschutzes halte ich diesen Vorstoß für sinnvoll“, erklärt etwa Johanna Beysel vom Tölzer Amt für Jugend und Familie. Die bestehende „Ausnahme“ im Jugendschutzgesetz erachtet sie als „nicht sehr sinnvoll“. Die Erlaubnis zum „begleiteten Trinken“ senkt aus Beysels Sicht „die gesellschaftlich sowieso schon niedrige Hemmschwelle des frühen Alkoholkonsums enorm“. Aus pädagogischer Sicht ist es von Seiten der Jugendschutz-Mitarbeiterin auch nicht sinnvoll, Alkoholkonsum zu „erlernen“. „Im Alter von 14 Jahren gibt es gewiss noch sehr viel wichtigere Dinge zu erlernen“, sagt Beysel und nennt Beispiele wie: Nein sagen, eigene Grenzen kennen, Selbstwert aufbauen und stärken, eigene Wertevorstellungen entwickeln und mehr.
Lauterbach hat daher bei diesem Thema Beysels Unterstützung. „Das ,begleitete Trinken‘ hat zu der Annahme geführt, dass der Konsum von Alkohol ab 14 Jahren gesetzlich erlaubt und damit nicht problematisch für das gesundheitliche Wohl von Kindern und Jugendlichen sei“, sagt die Jugendamts-Mitarbeiterin. Eine Änderung, wie sie dem Gesundheitsminister vorschwebt, „würde zu vielen Diskussionen und der Auseinandersetzung mit Alkohol als Volksdroge führen“, erhofft sich Johanna Beysel. „Aus Sicht des Jugendschutzes würde ich das begrüßen.“
Hoffnung: Alkohol-Konsum wird entnormalisiert
Im Alkoholpräventionsprogramm für Kinder und Jugendliche „HaLT“ („Hart am Limit“) arbeitet das Jugendamt unter anderem mit dem Gesundheitsamt zusammen. Dort ist Bernadette Sappl für die HaLT-Standortkoordination zuständig. Auch sie hält die Abschaffung des legalen „begleiteten Trinkens“ für überfällig, wie sie sagt. „Der Idee, dass jüngere Jugendliche in Begleitung der Eltern einen verantwortungsbewussten Umgang mit Alkohol einüben können, steht entgegen, dass Alkohol ein Zellgift ist und es erwiesenermaßen den entwicklungsbedingten Umbauprozess im Gehirn von Jugendlichen massiv stört“, argumentiert Sappl. „Rauschmittel sollten, wenn, dann erst nach diesem Prozess, der bis zum 21. oder 25. Lebensjahr geht, konsumiert werden.“ Die Wahrscheinlichkeit, eine Sucht zu entwickeln, steige erwiesenermaßen, je früher mit dem Konsum begonnen wird.
Werde nun das Trinken unter Aufsicht für 14- und 15-Jährige verboten, verspricht sich Sappl davon, „dass der Konsum ein Stück weit entnormalisiert wird“. Dies wiederum „könnte dazu beitragen, dass die jungen Menschen, die heute noch kein Interesse am Alkohol haben – weil er ihnen in der Regel nicht schmeckt –, in wenigen Jahren doch zum Alkohol greifen. Gemischt mit Süßem erscheint er trinkbar, und man will ja ,dazugehören‘“. Sappl merkt an, dass auch der damalige bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) vergangenes Jahr einen Vorstoß in diese Richtung unternommen hat.
Jugendliche müssen vernünftigen Umgang mit Alkohol lernen
Zwiegespalten äußert sich zu dem Thema Franz Späth, Chef der Kommunalen Sozialplanung und damit auch der Jugendförderung in Bad Tölz. „Die Abschaffung des begleiteten Trinkens wird wohl kaum sehr viel an dem Problem ändern, dass Jugendliche problematisches Trinkverhalten lernen“, sagt er. „Vielleicht könnte es aber ein Symbol dafür sein, dass die Gesellschaft Alkoholkonsum nicht unterschätzen sollte und dass es sich um nichts Harmloses handelt.“ Späth merkt auch an, dass es seines Wissens in keinem anderen europäischen Land erlaubt sei, schon mit 14 in der Öffentlichkeit Alkohol zu konsumieren.
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Den Grundgedanken des „begleiteten Trinkens“ kann Späth aber nachvollziehen. „Jugendliche werden in jedem Fall mit Alkohol in Berührung kommen“, merkt der Sozialplaner an. „Deshalb ist es grundsätzlich wichtig, dass sie einen vernünftigen Umgang damit lernen und die Eltern – und ‚Miterzieher‘ – mit ihnen immer wieder ins Gespräch gehen.“
Erwachsene sollten gutes Vorbild abgeben
Dabei hänge freilich viel von der „Erziehungskompetenz der Eltern“ und auch von deren eigener „Konsumbiografie“ ab. Große Bedeutung misst Späth dabei vor allem der Vorbildfunktion bei. „Wie gehen sie mit dem Thema um? Wie viel konsumieren sie? Wie regelmäßig? Wenn hier die Erwachsenen ein gutes Vorbild sind, gibt dies auch gute Orientierung für die Jugendlichen.“
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Auch über das Alter von 16 Jahren hinaus hätten Eltern die Aufgabe, „den Konsum ihrer Kinder zu begleiten, mit ihnen im Gespräch über diese Themen zu bleiben und aufmerksam hinsichtlich Fehlentwicklungen zu sein“, sagt Späth. „Ob das offiziell schon ab 14 oder 16 Jahren in der Gaststätte sein muss, stelle ich tatsächlich auch infrage.“ (ast)