Elektrisches Licht für Bauern und Kühe: Im Wasserkraftwerk ‚Kammerl‘ wurde Eisenbahn-Geschichte geschrieben
In der Maschinenhalle des Wasserkraftwerkes ‚Kammerl‘ ist es ruhig geworden. Die drei Maschinensätze mit den mächtigen Schwungrädern, Generatoren und Turbinen werden zur Produktion von elektrischem Strom nicht mehr gebraucht. Seit 2016 steht die historische Anlage still und erinnert als Technikdenkmal an eine Zeit, als auf der Lokalbahn von Murnau nach Oberammergau Eisenbahngeschichte geschrieben wurde.
Saulgrub - Rund um den Globus tüftelten im 19. Jahrhundert Ingenieure daran, die Elektrizität für den Betrieb schwerer Eisenbahnen zu nutzen. Werner von Siemens stellte 1879 eine Gleichstrom-Lokomotive vor. Der frühere Direktor des Eisenbahnmuseums in Nürnberg, Dr. Klaus Huber erklärt: „Ein Gleichstrom-Motor wäre die ideale Form gewesen, die Kraft der elektrischen Energie auf die Lokomotiven zu übertragen.“ Die Herausforderung war – so Klaus Huber – den Spannungsverlust auf dem Weg vom Kraftwerk zur Maschine zu vermeiden.
Ab 1891 experimentierte Siemens mit dreiphasigem Wechselstrom. Das jetzt auftretende Problem fasst Klaus Huber in einem Satz zusammen: „Wechselstrom mit 50Hz-Schwingugen zerstört die Gleichstrommotoren der Lokomotiven.“ Die Lösung war es, die 50Hz-Frequenz auf 16-2/3-Hz abzusenken und in einem Reihenschlussmotor zu verwenden.
Weltweiter Konkurrenzkampf
Wieder setzte ein weltweiter Konkurrenzkampf ein, aus dem Siemens als Sieger hervorging. Am 24. Januar 1905 – ein halbes Jahr früher als beim Mitbewerber in den USA - rollten von Murnau nach Oberammergau die ersten Züge mit dem neuen Bahnstrom. Voraussetzung für diesen Weltrekord war es, die gesamte Strecke durch das Ammertal auf den neuen Bahnstrom auszurichten. Und es brauchte für das kurvige Bergland geeignete Zugmaschinen. Der elektrische Strom kam aus dem Wasserkraftwerk ‚Kammerl‘ bei Saulgrub-Altenau. Die Anlage war seit 1890 fertig. Nur, die Generatoren versorgten nicht die Eisenbahn mit Elektrizität, sondern die Dörfer des Ammertals. Die Bauern nutzten den Strom zur Beleuchtung ihrer Wohnstuben und Ställe. Die 7500MW/h Strom reichten für 500 Haushalte.
Das Kammerl
Das Wasserkraftwerk ‚Kammerl‘ ist von Saulgrub aus über die Achelestraße zu erreichen. Informationen gibt es vom Vorsitzenden des Fördervereines Historisches Bahn-Wasserkraftwerk ‚Kammerl‘, Max Policzka (08841-1649). info@historisches-bahnwasserkraftwerk-kammerl.de.
Wasser als treibende Kraft
Als Energiequelle diente die Ammer. Das Wasser wurde nördlich der Brücke bei Unternogg aus dem Fluss abgleitet und über einen 1,5 Kilometer langen Kanal zum Wasserschloss geführt; davon 196 Meter in einem Stollen und 83 Meter über ein Aquädukt. Vom Wasserschloss aus, schossen 6.000 Liter Wasser pro Sekunde durch eine Druckleitung aus 24 Metern Höhe zu den drei Turbinen des Kraftwerkes. Von dort aus floss das Wasser zurück zur Ammer. Heute steht hier ein modernes Wasserkraftwerk mit einer Axialturbine und einem Drehstromgenerator. Die Elektrizität wird in das öffentliche Stromnetz eingespeist.
Sachkundige Führungen
Jetzt, im 21. Jahrhundert fährt mit dem Kammerl-Strom kein Zug der Deutschen Bahn mehr. Für das historische Kraftwerk gab es zwei Alternativen, erinnert sich Klaus Huber. „Die Anlage abbauen oder als Technik-Denkmal aufbereiten. Die DB Energie GmbH entschloss sich für die zweite Variante.“ Interessenten können den gesamten Weg der Stromerzeugung verfolgen.
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Klaus Huber: „Wasserschloss, Zuleitungen, Aquädukt, Kanal und Stollen sind zu Fuß leicht zu erreichen.“ Für die Generatoren, die Schwungräder und die Wasserturbinen im Inneren des Kraftwerkgebäudes organisiert der Förderverein Historisches Bahn-Wasserkraftwerk ‚Kammerl‘ e.V. fachkundige Führungen.
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