Nach Verlust von Syrien-Basis: Russlands Marine kreuzt jetzt vor Nato-Land
Im Mittelmeer kämpft Russland um seine Ziele. Nach dem Verlust des Hafens Tartus kriecht Putin wohl in Libyen unter. Und kreuzt vor der Nase der Nato.
Madrid – „Syrien lähmt Moskaus Präsenz im Mittelmeer“, schreibt Alexandra Brzozowski. Die Autorin von Euractiv beruft sich auf einen Bericht des Oppositionsmediums Shaam, nachdem die syrische Opposition den Vertrag mit Russland über die Nutzung des Hafens Tartus gekündigt hat und Russland jetzt seine Basis in Syrien verliert. Seit dem Sturz des Assad-Regimes sollen daher immer wieder Wladimir Putins Handels- und Kriegsschiffe das Mittelmeer durchqueren. Jetzt hat die spanische Marine die Fregatte „Admiral Golowko“ nahe der Ferieninsel Mallorca abgefangen. Die Nato ist alarmiert.
Die Zeitung Diario de Mallorca hat berichtet, die Fregatte „Admiral Golowko“ habe am 27. Februar das Alborán-Meer zwischen Spanien und Marokko passiert. Das Kampfschiff Audaz sei den Russen in Richtung des östlichen Mittelmeeres und vorbei an Mallorca und den Nachbarinseln nicht von der Seite gewichen. Russland habe seine Stellung im Mittelmeerraum eingebüßt, schreibt auch das Royal United Services Institute (RUSI), denn optionale Stützpunkte in Libyen und Algerien böten nur begrenzten und politisch heiklen Ersatz, so der britische Thinktank.
Russlands Ambitionen: Ein paar Drohnenstaffeln würden reichen, um das Mittelmeer in Aufruhr zu versetzen
Russland unterhält vier Flottenverbände: die Nordflotte, Pazifikflotte, Baltische Flotte und die Schwarzmeerflotte, wobei die Letztere durch den Ukraine-Krieg arg in Mitleidenschaft gezogen wurde. Im Mittelmeer operiert kein Flottenverband, dennoch pflegt Russland ein vitales Interesse an Basen in diesem Gewässer, wie Federica Saini Fasanotti darlegt: „Russland Schiffe könnten vor den europäischen Küsten anlegen, und Flugplätze würden die Stationierung russischer Luftwaffensysteme ermöglichen. Der potenziell störendste Faktor betrifft neue Kriegstechnologien. Ein paar Drohnenstaffeln, vielleicht sogar iranische, würden ausreichen, um das gesamte Mittelmeer in Aufruhr zu versetzen“, schreibt die Analystin des in Liechtenstein ansässigen Thinktanks Geopolitical Intelligence Services (GIS).
„Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Russland dank der mangelnden Bereitschaft des Westens, sich Russland in den Weg zu stellen, im Mittelmeer und im Roten Meer stärker Fuß fassen.“
Sie erinnert daran, dass die Shahed-136-Drohne beispielsweise über eine maximale Reichweite von 2.500 Kilometern verfüge. Ihrer Ansicht nach müsse Russland allerdings vorsichtig operieren, weil das Mittelmeer von Nato-Verbänden dominiert sei und deren Streitkräfte „mit russischen Operationen wahrscheinlich kurzen Prozess machen würden“, wie sie behauptet. Russische Offensiven zielten ihrer Darstellung nach also höchstens darauf ab, Verbündete in Nordafrika und anderen Teilen des afrikanischen Kontinents zu unterstützen, wie sie schreibt.
Laut dem spanischen Magazin Zona Militar sei die „Admiral Golowko“ Ende 2023 in Dienst gestellt worden und Teil der Nordflotte. Sie sei die dritte Fregatte ihrer Klasse im Stealth-Design, für den Einsatz auf hoher See konzipiert und verfüge über erhebliche Boden-Luft- und Boden-Boden-Kampffähigkeiten aufgrund der Hyperschallraketen vom Typ 3M22 Zircon. Im September vergangenen Jahres hatte sie während einer Übung auch eine Kalibr-Rakete abgefeuert, wie die russische Nachrichtenagentur Tass berichtete – diese Marschflugkörper setzen Wladimir Putins Invasionstruppen auch in der Ukraine ein.
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Putins Ziel: Seit der Annexion der Krim 2014 dabei, die eigene Präsenz im Mittelmeerraum zu verstärken
Im Rahmen dieser Übung soll das Kampfschiff auch mehrere Gewässer durchquert haben, beispielsweise das Mittelmeer; die jetzt beobachtete Fahrt könnte also einen Ausläufer davon bedeuten. Das mag aber auch generell ein Warnschuss in Richtung der Nato sein, wie Dmitri Gorenburg bereits in 2019 gemutmaßt hatte: Ziel sei, die Seeherrschaft der Nato und der USA herauszufordern, wie der Analyst für den Thinktank George C. Marshall Fund herausgearbeitet hat. Ihm zufolge habe Russland seit der Annexion der Krim 2014 versucht, die eigene Präsenz im Mittelmeerraum zu verstärken.
Nach dem Sturz des Assad-Regimes muss das als kolossal gescheitert betrachtet werden – zumal auch die Schwarzmeerflotte von einem Marine-Zwerg wie der Ukraine in die Schranken gewiesen worden ist. Generell hat Russland damit auch Abschreckungspotenzial gegenüber den USA eingebüßt. Das Mittelmeer kann für Russland als verloren betrachtet werden – die Glaubwürdigkeit als Militärmacht in dieser Region ist dahin. Russland kann der Nato keinen Zugang mehr verwehren auf ihre südwestliche Flanke via der Ukraine. Gleichermaßen kann Russland in der Region kaum mehr selbst Druck ausüben.
Als zweites Element hat Gorenburg die Suche nach Verbündeten ausgemacht – mit dem Fall Syriens ist diese Säule ebenfalls weggebrochen – überraschend schnell. Den Vertrag über die Nutzung und wirtschaftliche Ausbeutung des syrischen Hafens Tartus hatte Russland erst 2019 geschlossen und auf 49 Jahre festgeschrieben. Auch das nach Gorenburgs dritte Element der russischen Expansion hat sich zerschlagen: die Errichtung von Marinestützpunkten, um den eigenen Machtbereich aus dem östlichen Mittelmeer heraus zu erweitern. Eine Alternative scheint in Libyen zu liegen – in Tobruk beispielsweise.
Zu Kriegsbeginn: Russland hat seine militärische Kapazität in der Region verdoppelt, wenn nicht verdreifacht
Im Zuge des Ukraine-Krieges hätten Washington und Moskau ihre Präsenz in der Region auf ein seit einer Generation nicht mehr gekanntes Niveau gesteigert, hatte im April 2022, dem ersten Jahr des Ukraine-Krieges, der französische Sender France 24 berichtet. „Russland hat seine militärische Kapazität in der Region hinsichtlich Zerstörern, Fregatten und U-Booten verdoppelt, wenn nicht verdreifacht“, wie das Medium Thibault Lavernhe zitierte. Der regionale Kommunikationsoffizier der französischen Armee im Mittelmeer hatte gegenüber der französischen Nachrichtenagentur Agence France Press (AFP) geäußert, dass sich zu der Zeit 20 russische Kriegsschiffe im Mittelmeer befunden hätten.
Unter Bezug auf das Blog „Russische Streitkräfte im Mittelmeer“ berichtete das Magazin Marineforum Anfang Januar von noch zehn Einheiten der russischen Marine im Mittelmeer – die „Admiral Golowko“ ist eine davon; daneben schippern dort ein U-Boot, Aufklärer, Tanker und Landungsschiffe. Wie das Marineforum vermutet, könnten die Bewegungen russischer Schiffe auf eine strategische Neuausrichtung hindeuten; und das nicht nur auf dem Wasser, sondern auch in der Luft.
„Absichtlich, unprofessionell und aggressiv“, sei die russische Luftwaffe am 4. März über dem Mittelmeer vorgegangen, schrieb Sébastien Lecornu auf seinem X-Kanal. Ein russischer Su-35-Kampfjet sei dabei gefährlich nahe herangeflogen an eine französische Reaper-Drohne, die über dem Mittelmeer aufgeklärt habe. Drei aufeinanderfolgende Annäherungen hätten zum Kontrollverlust über die Drohne führen können, so Lecornu, der mit dem Beobachtungsflug der Drohne die damit die Freiheit der Schifffahrt im internationalen Luft- und Seeraum sicherstellen soll, wie ihn der Kiew Independent zitiert. Lecornu halte das Vorgehen Russlands für inakzeptabel, wie er sich ausdrückte.
Nach Prigoschins Tod: Moskau profitiert vom Erbe des ehemaligen Wagner-Führers
Allerdings handle Russland in der Region aktuell aus einem Krisen-Modus heraus, argumentiert Anton Mardasov zur Neuausrichtung der russischen Mittelmeerstrategie – Russland taxiere in der Region seines neues Gewicht, seit ihm dort mit Baschar al-Assad sein stärkster Verbündeter abhandengekommen sei, wie er für den US-Thinktank Middle East Institute (MEI) analysiert. Allerdings sieht Mardasov keine plötzliche Kehrwende darin, „den Fokus von Syrien nach Libyen zu verlagern“, und also auch keine plötzliche Reaktion auf eine außenpolitische Herausforderung, wie er sagt.
Vielmehr profitiert Moskau vom Erbe des ehemaligen Wagner-Führers Jewgeni Prigoschin, „der es vor allem dank seiner persönlichen Qualitäten schaffte, das Interesse afrikanischer Länder an Russland wiederzubeleben“, so Marsadov. Allerdings sieht der Analyst Libyen als mögliche Basis für ein russisches Mittelmeer-Engagement eher zwiespältig, da die dortigen Machthaber keine klare Position zu Russlands Außenpolitik bezögen. Insofern zweifelt der MEI-Analyst daran, dass von einem dortigen Militärstützpunkt aus echte Kampfhandlungen zu führen sein werden, geschweige denn Libyen als Logistik-Hub tauge.
So bedrohlich die Präsenz russischer Kriegsschiffe im Mittelmeer auch sein mag, der Westen werde kaum intervenieren, vermutet GIS-Analystin Federica Saini Fasanotti: „Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Russland dank der mangelnden Bereitschaft des Westens, sich Russland in den Weg zu stellen, im Mittelmeer und im Roten Meer stärker Fuß fassen.“