Merz will Europa aus US-Abhängigkeit lösen: Experte sicher – Trump „wäre begeistert“
Friedrich Merz fordert mehr Eigenständigkeit Europas in der Verteidigung. US-Experten warnen: Trump reduziert die Nato-Rolle der USA in Europa.
Berlin - Der CDU-Chef und voraussichtlich nächster Bundeskanzler Friedrich Merz hat in den vergangenen Tagen bekräftigt, dass Europa möglichst schnell unabhängiger von den USA werden müsse, um langfristig die eigene Verteidigungsfähigkeit zu stärken.
„Eine starke Nato ist das Fundament unserer Sicherheit. Deutschland und Europa müssen jetzt massiv in die eigene Verteidigungsfähigkeit investieren. Das ist der beste Schutz für Europas Sicherheit“, schrieb Merz auf der Plattform X.
Angesichts des Kurses von US-Präsident Donald Trump, etwa dem vorläufigen Stopp amerikanischer Militärhilfen für die Ukraine, vollzieht der CDU-Chef damit eine Wende in der deutschen Sicherheitspolitik.
Bedrohungen im Ukraine-Krieg - Debatte über europäischen Atomschutz
Die Forderung nach mehr europäischer Eigenständigkeit findet in Europa durchaus Resonanz. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zeigte sich offen, den europäischen Partnern Frankreichs nuklearen Schutzschirm anzubieten. „Als Antwort auf den historischen Aufruf des zukünftigen deutschen Bundeskanzlers habe ich beschlossen, die strategische Debatte über den Schutz unserer Verbündeten auf dem europäischen Kontinent durch unsere nukleare Abschreckung zu eröffnen“, sagte Macron kürzlich in einer Ansprache.
Aus der Union kommen jedoch vorsichtige Töne: CDU-Außenpolitiker Johann Wadephul, der für ein Ministeramt in der künftigen Bundesregierung unter Merz gehandelt wird, warnte vor überzogenen Erwartungen an einen rein europäischen Atomschutz. Grundsätzlich sei es richtig, im Sinne einer europäischen Souveränität über solche Fragen zu reden. Der vorhandene amerikanische Atomschirm für Europa habe jedoch „größere Bedeutung“ und werde von niemandem – auch nicht in Washington – infrage gestellt, betonte Wadephul.
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Experten: Donald Trump hat Interesse an Europas Sicherheit
Unabhängig von politischen Reaktionen verweisen Experten auf den größeren strategischen Kontext.
Der US-Politikwissenschaftler John Mearsheimer sieht die transatlantische Allianz in einer tiefen Krise. Die Regierung von US-Präsident Donald Trump sei entschlossen, die Beziehungen zu den europäischen Verbündeten grundlegend zu verändern und die amerikanische Rolle in der Nato stark zu reduzieren – wenn nicht gar ganz aus dem Bündnis auszusteigen. „Trump und Vance verachten Europäer“, sagte Mearsheimer dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel.
Auf die Frage, wie Trump reagieren würde, wenn Deutschland seine Westbindung auflöse, sagte Mearsheimer, Trump „wäre begeistert“. Der US-Präsident wolle, dass Staaten wie Deutschland die Verantwortung für ihre eigene Sicherheit übernehmen. Es sei ganz klar, dass die Trump-Regierung die „Scheidung“ wolle.
Renomierte Historikerin: US-Regierung erschüttert Europas Vertrauen
Auch die polnisch-amerikanische Historikerin und Journalistin Anne Applebaum hat sich in den vergangenen Wochen mehrfach zur Haltung von US-Präsident Trump gegenüber Europa und den Auswirkungen auf die transatlantische Allianz geäußert. In einem Beitrag für das US-Magazin The Atlantic schrieb Applebaum, dass das Verhalten der US-Regierung unter Trump und Vance Europas Vertrauen in die Vereinigten Staaten als verlässlichen Partner erschüttert habe.
„Sie kündigten an, die Lieferung militärischer Ausrüstung an die Ukraine zu stoppen, und deuteten an, die Sanktionen gegen Russland, den Aggressor-Staat, zu beenden“, so Applebaum. Weiterhin hob sie hervor, dass Trump in seiner Rede vor dem US-Kongress erneut erklärte, Amerika würde „Grönland bekommen“. Dies sei ein Hinweis darauf, dass er beabsichtige, auch andere Verbündete zu übergehen.
Europäische Staaten unter Druck durch Trumps Regierung
Die politischen Entwicklungen der vergangenen Tage zeigen erneut, wie dringlich das Thema Sicherheitspolitik gesehen wird. Bei einem Krisentreffen berieten europäische Regierungschefs über Konsequenzen aus dem US-Kurswechsel in der Ukraine-Frage. Der Flughafen Rzeszów-Jasionka im Südosten Polens, ein zentrales Drehkreuz für westliche Militärhilfen an die Ukraine, spürt bereits die Auswirkungen der Einstellung der US-Hilfen. Meldungen von der Grenze und dem Drehkreuz in Jasionka bestätigten laut Polens Regierung die Ankündigungen der amerikanischen Seite.
Die Entscheidung der US-Regierung, die Militärhilfe für die Ukraine vorerst auszusetzen, hat weitreichende Folgen für die europäischen Partner. Ohne die US-Unterstützung drohen Engpässe bei Waffenlieferungen und logistischer Unterstützung, was den Druck auf die europäischen Staaten erhöht, die Lücke zu schließen. Besonders betroffen sind Länder wie Polen. Das Land spielt seit Beginn des Krieges eine Schlüsselrolle in der Koordination der Lieferungen.
Trump legt Ukraine-Hilfe auf Eis: Tusk warnt vor „schwieriger Lage“ für Europa
Polens Premierminister Donald Tusk warnte, dass der US-Lieferstopp für die Ukraine Europa, die Ukraine sowie Polen in eine schwierige Lage bringe. Man müsse sich dieser neuen Situation stellen – teils mit „außergewöhnlichen“ Entscheidungen – und europäische Solidarität zeigen, sagte Tusk. „Die Hoffnung, dass die Ukraine heute Sicherheitsgarantien von den USA bekommt, ist äußerst gering“, erklärte er vor dem polnischen Parlament, Sejm. Hoffnung sei zwar ein schönes Gefühl, doch in der Politik grenze sie oft an Naivität oder Illusion, so Tusk.
Es zeichnet sich zunehmend ein Konsens ab, dass Europas Sicherheit stärker in europäische Hände gelegt werden muss. Merz’ jüngste Forderungen nach weniger Abhängigkeit von den USA stoßen bei europäischen Partnerstaaten auf Zustimmung – sie gelten als Signal, dass Deutschland und Europa bereit sind, mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit zu übernehmen. Ob dies durch eine verstärkte europäische Zusammenarbeit oder im Rahmen einer möglichen „Koalition der Willigen“ geschehen wird, bleibt abzuwarten.