Experten decken auf: Der große Palmöl-Schwindel in unseren Bio-Kraftstoffen

Fantastische Klima-Lösung oder nur etwas für den Rentner im Wohnmobil? Als der Bio-Kraftstoff HVO100 vor ziemlich genau einem Jahr an deutschen Tankstellen an den Start ging, waren die Reaktionen gemischt. 

Die Verwertung alter Öle zu Treibstoff mit anschließender Beimischung in konventionellen Diesel ist technisch nach wie vor beeindruckend. Doch HVO100 stand bereits von Anfang an unter Kritik, unter anderem wegen fragwürdigen Lücken in der Lieferkette. Eine neue Untersuchung zeigt nun: So klimafreundlich wie oft behauptet ist der Biotreibstoff nicht. 

Importiertes Altfett

HVO100 steht für: „Hydrotreated Vegetable Oils“, also: Pflanzenöle, die mit Hilfe von Wasserstoff zu Kraftstoff verarbeitet werden. In der Regel verwenden Hersteller dafür alte Öle und Fette aus Restaurants und Imbissen, das sie dort zuvor per Laster abgeholt haben.

Gut fürs Klima sollen diese Kochöle deswegen sein, weil die dafür verwendeten Pflanzen bereits CO2 abgefangen und gespeichert haben. Rohmaterialien für Öl und Gas hingegen setzen diese erstmals bei Verbrennung frei. Experten schätzen, dass die CO2-Ersparnis gegenüber herkömmlichen Kraftstoffen knapp 80 Prozent beträgt. 

Der Haken: Weil die in Deutschland verfügbare Menge an Altfett nicht ausreicht, müssen wir dieses aus anderen Ländern importieren, meist Asien und insbesondere China. Und dort kommt für die Lebensmittelzubereitung abgebautes Palmöl zum Einsatz. 

Das vegane Nutella soll genauso schmecken wie das Original. iStock/NoDerog

Pikanter Palmöl-Verdacht

Das ist erstmal unproblematisch, schließlich wurde das Palmöl bereits verwendet und wird in unserem Kraftstoff nur „recyclet“. Doch das Pikante an der Palmöl-Kette: Ob das darin enthaltene Palmöl wirklich nur aus der Lebensmittelindustrie kommt oder extra dafür ein Regenwald gerodet wurde, ist nur schwer erkennbar. Innerhalb der Branche herrscht schon länger der Verdacht, dass die Lieferungen zum Großteil eben nicht aus altem Fett bestehen – und bei der Kennzeichnung geschummelt wird. 

Den Betrugsverdacht bekräftigen nun neue Zahlen, die der Umweltverband Transport & Environment (T&E) in Brüssel erarbeitet hat. In dem am Dienstag veröffentlichten Bericht heißt es unter anderem, eine große Menge an Palmöl sei fälschlicherweise als Palmöl-Abwasser ausgegeben worden

Dieses Derivat ist nämlich noch in der Europäischen Union (EU) erlaubt. Richtiges Palmöl hingegen ist schon seit Jahren verboten – aus Umweltgründen, Klimaschutzgründen und Menschenrechtsgründen. Doch Lieferanten finden immer wieder Wege, den günstigen Rohstoff in ihre Produkte einzuschleichen. 

Die Herren des Dschungels - Orang-Utan im Regenwald Borneos
Die Herren des Dschungels - Orang-Utan im Regenwald Borneos Peter Weißenberg

Betrug beim Biokraftstoff

Gegenstand der Vorwürfe ist das Palmöl-Derivat POME (Palm Oil Mill Effluent), das als Abwasser bei der Verarbeitung entsteht. Konkret hat T&E zwei Unstimmigkeiten herausgefunden:

  • Die weltweiten Verkaufszahlen von POME übersteigen die Verfügbarkeit eigentlichen Rohstoffs.
  • Die Preise für POME sind auf etwa 90 Prozent des eigentlichen Palmöl-Preises geklettert – ein Indiz dafür, dass es kein Abfallprodukt mehr ist, sondern ein Nebenprodukt.

Beides stellt die Umwelt- und Klimafreundlichkeit des Abwassers und seine Verwendung für die Produktion von Biokraftstoffe in Frage: Denn nur, wenn Palmöl nicht extra für die Produktion von Kraftstoffen abgebaut, sondern als Abfallprodukt verwendet wird, kommt es tatsächlich zu einer CO2-Ersparnis. Doch Europa hat, so berichtet es das ZDF, alleine schon mal mehr als doppelt soviel POME verwendet wie weltweit überhaupt hergestellt werden kann. Das stärkt den Verdacht auf Betrug entlang der Lieferkette. 

Problematischer Alleskönner

Warum ist die Verwendung von „frischem“ Palmöl so problematisch? Tatsächlich hat die EU den weltweit genutzten Rohstoff nicht ohne Grund verboten. Palmöl war in nahezu allen Produkten enthalten, die der Mensch berührt hat – Tropenholzmöbel fürs Badezimmer, die Nutella zum Frühstück oder die wohlriechende Bodylotion nach der Dusche. Doch für Umwelt und Klima bringt der Rohstoff einige Probleme mit sich

  • Umweltschäden: Zur Gewinnung braucht man das Fruchtfleisch der Ölpalme, wofür ganze Wälder gerodet werden. Das führt nicht nur zu einem Verlust unserer natürlichen CO2-Senken, es setzt auch jede Menge zuvor gespeichertes CO2 frei. Hinzu kommt, dass diese Rodungen Tieren, etwa Orang-Utans auf Indonesien, den Lebensraum nehmen. Darunter leidet die Biodiversität – was wiederum zu Schäden in der Landwirtschaft führt.
  • Soziale Probleme: Die Arbeitsbedingungen auf den Ölpalm-Plantagen sind oft menschenrechtsunwürdig, schlecht bezahlt und wird teilweise auch durch Kinderarbeit ermöglicht. Auch Landraub und Enteignungen sind verbreitet und treiben so mehr Menschen in die Armut. 

Die dadurch verursachten CO2-Emissionen begrenzen sich nicht alleine auf Hauptanbaugebiete wie Indonesien; sie befeuern die globale Erwärmung, die dann wiederum auch Auswirkungen in Deutschland hat. 

Arbeiter auf einer Palmöl-Plantage in Malaysia
Arbeiter auf einer Palmöl-Plantage in Malaysia Wahyudi/AFP via Getty Images

Und nun?

Damit Europa dem Palmöl-Schwindel nicht länger auf den Leim geht, fordert T&E unter anderem strengere Vorschriften zur Zertifizierung und Produktion von Biokraftstoffen, außerdem solle eine Betrugsbekämpfungsstelle eingerichtet werden. Und: Die Elektrifizierung im Straßenverkehr müsse entschlossen vorangetrieben werden – damit wir weniger abhängig sind von alternativen Kraftstoffen.