„Wenig greifbar“: Chefarzt erklärt am Beispiel der Urologie, welche Auswirkungen die Klinikreform hat

Was bedeutet die Klinikreform für Fachabteilungen in Krankenhäuser? Chefarzt Prof. Roman Ganzer erklärt die Auswirkungen des Lauterbach-Gesetzes.
Bad Tölz-Wolfratshausen – Es war knapp. Letztlich aber hat der Bundesrat vor wenigen Tagen der Klinikreform der Bundesregierung zugestimmt. Ein inhaltlicher Kernpunkt: Bestimmte Leistungen in Fachgebieten sollen in Kliniken gebündelt werden, die sich darauf spezialisiert haben. Was bedeutet das für einzelne bestehende Fachabteilungen, wie die Urologie, mit deren besonderen Angeboten die Asklepios-Stadtklinik in Bad Tölz wirbt? Im Interview ging unsere Zeitung die Auswirkungen der Klinikreform an diesem Beispiel mit Urologie-Chefarzt. Prof. Roman Ganzer durch.
Herr Prof. Ganzer, mit welcher Gefühlslage blicken Sie auf die Krankenhausreform?
Es ist noch wenig greifbar, was im Detail auf uns zukommt. Klar ist: Der Grund für die Reform ist, dass wir in Deutschland im europäischen Vergleich das teuerste Gesundheitssystem haben, aber nicht das beste von der Behandlungsqualität. In Deutschland steht zudem jedes dritte Krankenhausbett leer, und wir haben einen immer gravierenderen Personalmangel, besonders im Pflegebereich. Deswegen ist das Ziel der Politik, auf der einen Seite die Grundversorgung regional zu sichern, auf der anderen Seite die Spezialisierung der Medizin auf bestimmte Zentren zu bündeln. Entscheidendes Schlagwort sind hier die „Leistungsgruppen“. In ihnen wird festgelegt, welche Kriterien eine Fachabteilung erfüllen muss, um eine bestimmte Leistung anbieten zu können, zum Beispiel festgelegte personelle Ressourcen, bestimmte Spezialisierungen und Strukturen.
Chefarzt erklärt: „In der Urologie gibt es mittlerweile eine sehr große Spezialisierung“
Was bedeutet das für Ihr Fach, die Urologie?
Mein Fach ist da relativ überschaubar, denn die Urologie ist eine eigene Leistungsgruppe. Es handelt sich mittlerweile um ein großes Fachgebiet. In der Urologie behandeln wir Erkrankungen des Harntraktes, angefangen bei der Niere über den Harnleiter bis zur Blase bei Männern und Frauen, sowie der männlichen Geschlechtsorgane. Das Spektrum reicht von Steinerkrankungen bis zu Krebserkrankungen von Niere, Blase, Prostata oder Hoden. In der Urologie gibt es mittlerweile eine sehr große Spezialisierung, und das haben wir hier im Haus in den letzten Jahren sehr erfolgreich etabliert.

Also passt die Krankenhausreform zu dem Weg, den das Tölzer Krankenhaus schon eingeschlagen hat?
Genau. Alle großen Krebseingriffe führen wir nicht mehr mit großen offenen Schnitten durch, sondern mit dem Da-Vinci-Roboter. Das ist ein technisch sehr komplexes Gerät. Der Operateur sitzt an einer Konsole neben dem Gerät, das am Patient angedockt ist. Alle Bewegungen, die der Chirurg mit den Händen macht, werden auf dieses Instrument umgesetzt, und alles mit sehr kleinen Schnitten. Der Vorteil ist, dass der Patient wesentlich kürzer im Krankenhaus liegt, weniger Wundschmerz hat und sehr schnell wieder auf den Beinen ist. Nach großen Eingriffen an der Prostata und an der Niere kann er in der Regel am vierten Tag wieder nach Hause gehen.
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Wie lange gibt es solche Roboter schon, und seit wann hat ihn die Tölzer Klinik?
Vor 20 oder vor 25 Jahren hat man die ersten Versuche damit gemacht. Der Siegeszug erfolgte vor allem in der Urologie. 2017 bekam ich die Chance, hier in Tölz eine Spezialabteilung für Urologie zu etablieren. Damals gab es keine Klinik in Deutschland in privater Trägerschaft, die ein Da-Vinci-System hatte, weil es sehr teuer ist und sich die Erstattung der Kassen nicht von einer offenen Operation unterscheidet. Pro Operation entstehen aber über 1000 Euro Einmal-Materialkosten zusätzlich. Ich hatte damals das Glück, dem Gründer von Asklepios, Dr. Bernard große Broermann, die Idee vorzustellen. Er war sofort überzeugt und hat gegen einige Widerstände im Konzern durchgesetzt, dass hier ein Da-Vinci-System etabliert wird.
Hightec-Roboter wird immer mehr zum Standard
Der Roboter ist ja sicher auch alles andere als günstig.
Er kostete etwa eineinhalb Millionen Euro. Das war eine klar medizinisch und fortschrittsorientierte Entscheidung, keine wirtschaftliche, im Gegenteil. Aber der medizinische Erfolg spiegelt sich darin wider, dass unsere Patienten für geplante Operationen mittlerweile nicht nur aus der Region, sondern auch aus dem Raum München, aus dem Allgäu, vom Chiemsee und aus dem Ingolstädter Raum zu uns kommen. Wir haben im ersten halben Jahr, als ich angefangen habe, etwas über 20 Operationen mit dem Da-Vinci-System durchgeführt. Dieses Jahr werden es über 350 sein. Seit Mitte 2017 waren es etwa 1800 Operationen.
An welchen anderen Kliniken gibt es heute Da-Vinci-Systeme?
Mittlerweile haben viele Kliniken nachgezogen, es gehört heute immer mehr zum Standard. Da das Gerät strenggenommen kein Roboter ist, hängt die Qualität der Behandlung aber nach wie vor von der Erfahrung des Operateurs ab.
Ist die Klinik durch die Spezialisierung in der Urologie besser aufgestellt für die Krankenhaus-Reform?
Genau. Was bei der Krankenhausreform gefordert ist, ist Spezialisierung und hohe Behandlungsqualität. Das erfüllen wir – wobei wir keine Rosinenpickerei betreiben, sondern in erster Linie die komplette Grundversorgung übernehmen. Wir versorgen die Harnwegsinfekte aus den Heimen, die Steinkoliken, eben alle urologischen Notfälle Tag und Nacht an sieben Tagen die Woche.
„Wer keine Operation braucht, bekommt dies ganz offen mitgeteilt“
Ein erklärtes Ziel der Krankenhausreform ist ja auch, unnötige Operationen abzubauen.
Ja, es wird ja immer wieder kritisiert, dass in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern zum Beispiel zu viele künstliche Gelenke eingesetzt werden, weil hier ein finanzieller Anreiz besteht. Auch wir haben hohe Fallzahlen, was auch gut ist, denn was man häufig macht, macht man auch gut. Wobei mein Ansatz schon immer war: Wer keine Operation braucht, bekommt dies ganz offen mitgeteilt. Man muss zum Beispiel einem 85-Jährigen mit Prostatakrebs nicht mehr die Prostata entfernen, sondern muss ihn gut beraten.
Wie wird sich die Krankenhausreform dann auf die Urologie auswirken?
In Ballungszentren, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, wird vermutlich die ein oder andere Urologie, die über kein Da-Vinci-System verfügt, schließen müssen. Hier in Tölz haben wir die Situation, dass wir für eine große Region der Hauptversorger sind und keine direkte regionale Konkurrenz haben. Eine Beschneidung unserer Abteilung würde zu einer massiven Unterversorgung urologischer Patienten in der Region führen.
Wird die Tölzer Asklepios-Klinik auch abseits der Urologie ihre jetzigen Spezialisierungen so beibehalten können?
Das kann man aktuell noch nicht sagen, weil noch zu offen ist, wie die Verteilung der Leistungsgruppen insgesamt geregelt wird. Wir sind zuversichtlich, dass die Auswirkungen nicht dramatisch sein werden, da – neben der Urologie – auch die anderen Fachabteilungen der Klinik die notwendigen Strukturkriterien erfüllen. Der Verteilungsprozess soll bis Ende 2026 abgeschlossen sein, und dass die Reform richtig greift, wird wahrscheinlich erst 2029 zu spüren sein. Bis dahin werden vermutlich noch viele Kliniken in wirtschaftliche Schieflage geraten. Da gehören wir aufgrund unserer guten wirtschaftlichen Lage zum Glück aktuell nicht dazu.