Auf dem Wohnungsbautag in Berlin finden Vertreter und Vertreterinnen der Baubranche drastische Worte. Vor einem Jahr noch warnte man vor dem Szenario, in dem das Land nun steckt.
Berlin – „Wir haben den Kipppunkt erreicht. Die Insolvenzwelle rollt“. Mit diesen drastischen Worten wurde durch Katharina Metzger, Präsidentin des Bundesverbands Deutscher Baustoff-Fachhandel (BDB), der Wohnungsbautag 2024 eröffnet. Die Baubranche befindet sich nun seit über einem Jahr in einer tiefen Krise, die immer nur schlimmer zu werden scheint.
Vor einem Jahr noch hatten die Vertreter der Baubranche auf ebendieser Bühne in Berlin an die Ampel-Regierung appelliert: Es müssten zügig Maßnahmen ergriffen werden, um die Katastrophe zu verhindern. Nun, so sind sich die Vertreter und Vertreterinnen in diesem Jahr einig, ist die Katastrophe eingetreten.
Stellenabbau und Auftragseinbrüche in der Baubranche: „Wir haben in einem Jahr nichts geschafft“
„Wir haben in einem Jahr nichts geschafft“, fasst es Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbunds, zusammen. Die Ampel-Regierung hatte sich vorgenommen, pro Jahr 100.000 Sozialwohnungen zu errichten. 2023 wurden gerade mal 25.000 geschafft. „Also die Situation hat sich erkennbar verschlechtert“, so Siebenkotten.
Aber nicht nur im sozialen Wohnungsbau ist die Lage dramatisch. Hannes Zapf von der Deutschen Gesellschaft für Mauerwerk berichtet von Auftragsrückgängen von 20 bis 40 Prozent, je nach Region. Bauunternehmer Dirk Salewski vom BFW schildert Rückgänge um 80 Prozent in der Hansestadt Hamburg. „Der Wohnungsbau ist im freien Fall“, sagt GdW-Präsident Axel Gedaschko.
Steigende Insolvenzen in der Branche - Baubranche als Wirtschaftsmotor
Die Entwicklung hat Folgen für das gesamte Land. Nicht nur, weil sich der Wohnungsmarkt durch die schlechte Bautätigkeit noch weiter anspannt. Die Baubranche ist ein entscheidender Wirtschaftsmotor für Deutschland. 14 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland ist unmittelbar in der Baubranche beschäftigt. „Der Wohnungsbau ist in Deutschland wichtiger als die Automobilindustrie“, erklärt Martin Gorning vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Die steigenden Insolvenzen in der Baubranche, der Personalabbau, der in allen Bereichen zu beobachten ist, die dadurch sinkenden Steuereinnahmen für den Staat – all das trägt zu einem wesentlichen Teil dazu bei, dass in Deutschland in einer Wachstumsflaute steckt.
Das DIW erwartet für 2024 einen Rückgang im Wohnungsbau von fünf Prozent gegenüber dem schon sehr schlechten Jahr 2023. Das sind, so hat es das Forschungsinstitut berechnet, fünf Milliarden Euro weniger Steuern, auf die sich der Staat einstellen muss. Damit sollte der Bundesregierung klar sein, so die Botschaft: Geld für die Baubranche auszugeben, indem man beispielsweise große Förderprogramme aufsetzt, kommt dem Staat am Ende wieder zugute.
Baukrise: 11 Prozent der Bevölkerung lebt in zu kleinen Wohnungen
Die massive Krise im Wohnungsbau ist da, obwohl der Bedarf an Wohnraum kaum höher sein könnte. Einer aktuellen Studie der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen (ARGE) zufolge leben mittlerweile 9,3 Millionen Menschen im Land in überbelegten Wohnungen. Das seien elf Prozent der Bevölkerung im Land, ein Zuwachs um 800.000 Personen in den vergangenen vier Jahren. „Die Situation ist absurd“, sagt BDB-Präsidentin Metzger.
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Wie schon beim vorherigen Wohnungsbautag appelliert die Baubranche auch dieses Jahr an die Bundesregierung, aber auch an die Kommunen und Länder, alle Hebel in Bewegung zu setzen, um den Markt wieder anzukurbeln. Dabei gehe es nicht mehr um einzelne Maßnahmen, sondern um die ganze Bandbreite, die umgesetzt werden müsse.
Gebäudeklasse E soll bald von der Ampel eingeführt werden
Besonders von Bedeutung für die Branche ist die Einführung der sogenannten Gebäudeklasse E (E wie „experimentell“ oder „einfach“), die in der Untersuchung von ARGE den Namen Regelstandard E bekommt. Diese Klasse soll es Bauträgern ermöglichen, weniger strengen Vorschriften einzuhalten, um so Kosten zu sparen. Dabei sollen die Vorschriften in den drei Bereichen Brandschutz, Gesundheit und Statik allerdings nicht angefasst werden dürfen.
Eigentlich gibt es bereits jetzt schon die Möglichkeit, nach diesem Regelstandard zu bauen – nur fehlt die rechtliche Absicherung, die Bauträger vor Klagen schützen würde. Dazu braucht es eine Änderung im Bürgerlichen Gesetzbuch – die aber nun kommen soll, wie IPPEN.MEDIA aus Regierungskreisen erfahren hat. Wann genau, ist nicht klar, aber es könnte noch in diesem Monat ein Entwurf vorliegen.
Weniger Vorschriften macht Wohnungsbau nicht schlechter
Nach Angaben der ARGE hat die Einführung dieser Gebäudeklasse das Potenzial, die Kosten für den Neubau um gut 38 Prozent zu senken. Dabei unterstreicht ARGE in ihrer Studie, dass der Abbau von Bauvorschriften nicht zu weniger Energieeffizienz oder schlechterer Qualität führen würde. „Der überwiegende Teil der baulichen Standards im Wohnungsbau, die in den letzten Jahren gebaut wurden (werden mussten), sei es auf Grund von Förderungsbedingungen, aus einem Missverständnis vermeintlicher Effizienz oder einer subjektiven Einschätzung von individuellen Funktionalitätserwartungen heraus, ist sowohl ökonomisch, in Bezug auf einen allgemeinen, angemessenen und guten Wohnstandard und auf tatsächlich wirksamen Klimaschutz hin, verzichtbar“.
Auch wenn jetzt alle Hebel in Bewegung gesetzt würden, warnt die Branche auf der Eröffnungsdiskussion auch: Die Krise ist mittlerweile so tief, dass keine schnelle Erholung zu erwarten ist. Es werde dauern, bis Deutschland auch nur annähernd an das eigentliche Ziel von 400.000 Wohnungen pro Jahr heranrückt. Lichtblicke am Horizont sehen die Vertreter und Vertreterinnen der Branche aber sowieso noch nicht.