Putins eiskalter Atem in der Arktis: Was Merz mit Norwegen vereinbart – und wo die Ukraine-Patriot bleiben
Die Ukraine braucht Luftabwehr – und Europa glaubwürdige Abschreckung. Der Grund heißt Putin. Der Kanzler will an Abhilfe arbeiten, auch mit Norwegen.
Berlin – Am Montagabend war eine weitere Ausgabe von „DSDS(P)“ zu bestaunen – „Deutschland sucht den Superpartner“; mit Moderator Friedrich Merz. Geboten ist das Casting spätestens, seit Donald Trump wieder die Amtsgeschäfte des US-Präsidenten führt. Aber klar ist auch: Einen jedenfalls Europa freundlich gesonnenen Weltstar wie die alten, untergegangenen USA findet man nicht an jeder Ecke.
Es wird wohl eine Band, sogar ein Kollektiv richten müssen. Diesmal stellte sich Norwegens Ministerpräsident Jonas Gahr Støre vor. Oder Merz sich (als noch „neuer“ Kanzler) Gahr Støre. Wer wen castet, das liegt dieser Tage ja stark im Auge des Betrachters. Norwegen ist für Deutschland unter anderem ein wichtiger Energielieferant. Die beiden Regierungschefs hatten jedenfalls eine Einigung im Gepäck: Die „Gemeinsame Erklärung“ zwischen Deutschland und Norwegen liegt dem Münchner Merkur von IPPEN.MEDIA vor. Breiten Raum nimmt darin – vielleicht etwas überraschend – die Arktis ein. Eine kleine Rolle spielt zudem – weniger überraschend – der Ukraine-Krieg.
Russland kalter Atem: Merz‘ neuer Auftrag für Pistorius – Oslo und Berlin blicken in die Arktis
Was in Deutschland nicht unbedingt zum geografischen Grundwissen zählt: Norwegen und Russland teilen sich eine Grenze im höchsten Norden des Kontinents. Und natürlich ist Norwegens enorm lange und teils unwegsame Küste ein sicherheitstechnisch neuralgischer Punkt. Wohl auch in diesem Lichte ist der erste Detail-Stichpunkt auf der Beschlussliste des Papiers zu lesen: Man habe sich geeinigt, die „schon jetzt tiefe und breite maritime Kooperation um eine integrierte operative Partnerschaft im Nordatlantik und der Nordsee zu erweitern“.

Auch „kritische Unterwasserstruktur“ wolle man zusammen schützen – der nächste Wink in Richtung Moskau. Russland steht unter Verdacht, Sabotage auf dem Meeresgrund zu betreiben. Eine Raumfahrt-Kooperation findet sich ebenfalls im Reigen der gemeinsamen Projekte – unter anderem, um bessere Aufklärung über „hybride Gefahren im Nordatlantik“ zu erhalten. Und die Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Tore Sandvik sollen eine neue deutsch-norwegische Verteidigungspartnerschaft auf den Weg bringen.
Schon in den ersten Absätzen des Papiers findet sich die Arktis. Die scheint Deutschland enorm fern. Doch Russland und China ebenso wie die Vereinigten Staaten scheinen in der Region gewisse Ambitionen zu hegen – und auch die Bundesrepublik sollte die Region im Auge behalten, wie Experte Michael Paul unserer Redaktion schon vor einiger Zeit erklärte. Dass Donald Trump gewillt scheint, notfalls Nato-Partner in der Gegend zu überrennen, erhöht die Brisanz. Da kann selbst in einem Regierungsdokument – in dem üblicherweise um jede Silbe gefeilscht wird – das Wort „kritisch“ zweimal in einem Satz vorkommen.
Der Nordatlantik, inklusive der „strategisch kritischen“ „GIUK“-Lücke zwischen Grönland, Island und Vereinigtem Königreich, sei ebenso wie Nord- und Ostsee „kritisch“ für Norwegens und Deutschlands Sicherheit, heißt es da. Man wolle „Überwachung und Kontrolle über die strategischen Gebiete stärken, um potenzielle Gefahren zu parieren“. Das Wort „Russland“ fällt in diesen Passagen der „Gemeinsamen Erklärung“ freilich nicht.
Signal von Merz im Ukraine-Krieg: Aber wo bleiben die Patriot?
Anders ist das im ersten Absatz des Papiers mit seinen wohlklingenden bis wohltuenden Worten. Die Partner nutzen nicht nur die zunehmend seltene Gelegenheit, sich „geteilter Werte und Interessen“ zu rühmen. Sondern sie richten auch eine Zusicherung an Kiew. Zusammen unterstreiche man die „ungebrochene Unterstützung für die Ukraine“ in ihrem Kampf gegen Russlands Angriffskrieg, ist zu lesen. Ein weiterer Satz, der keine Selbstverständlichkeit in der Nato mehr ist; jedenfalls nicht für die USA.
Kiew dürfte allerdings weit mehr interessieren, was Deutschland und Norwegen zum Thema Flugabwehr aushecken. Just Oslo und Berlin hatten zuletzt in Aussicht gestellt, für die Ukraine enorm wichtige Patriot-Luftabwehrsysteme von den USA zu kaufen und weiterzureichen. Möglicherweise sogar in einer Art Ringtausch: mit Sofort-Lieferung aus deutschen Beständen und späterer Kompensation durch US-Neuware. Pistorius bekräftigte das am Montag in der Ukraine-Kontaktgruppe, er sprach von fünf Systemen.
Große weitere Neuigkeiten hatten Merz und Gahr Støre diesbezüglich aber nicht. Die Verteidigungsminister verhandelten gerade, alles hänge an einem verbindlichen Plan der USA, Ersatz zu liefern, erklärte Merz. Der stehe aber – anders als Trumps prinzipielle Zusage, Patriot zu liefern, noch aus. Sein norwegischer Amtskollege versicherte aber nochmal, man werde „die Rechnung sinnvoll aufteilen“. Norwegen und Deutschland könnten zusammen schnell handeln. Und Luftabwehr habe für die Ukraine nun Priorität.
Gahr Støre stärkte dem Kanzler aber auch in dessen Warten auf die USA den Rücken: Mit den Worten „wir zählen auf den Präsidenten“ erhöhte er sachte den Druck auf Trump. Deutschlands Haltung sei sehr verständlich, betonte er zudem. Der Hintergrund der vorsichtigen Haltung ist klar: Bezüglich der „russischen Bedrohung“ mache man sich „keine Illusionen“, sagte Merz zu Beginn der Pressekonferenz. (fn)