Grünen-Kanzlerkandidat - Kein Gendern, kaum Lösungen: Was im neuen Habeck-Buch steht - und was fehlt
Robert Habeck hat einen Lauf. Die Umfragen für den Vizekanzler und seine Grünen steigen leicht, die kontroversen Forderungen nach einem deutlich höheren Wehretat und Sozialabgaben auf Kapitalerträge werden breit diskutiert.
Im kurzen Bundestagswahlkampf ist Habeck bislang deutlich präsenter als Olaf Scholz und Friedrich Merz. Im Netz pushen ihn seine Unterstützer, bei vielen Wahlkampfveranstaltungen gibt es lange Schlangen.
Mit „Den Bach rauf“ winkt Habeck weitere Aufmerksamkeit
Am Donnerstag macht der Grünen-Politiker nun, was vor ihm schon Edmund Stoiber (CSU), Frank-Walter Steinmeier (SPD), Christian Lindner (FDP) und viele andere Politiker im Wahlkampf getan haben: Er veröffentlicht ein Buch. „Den Bach rauf“, heißt es und soll Habeck noch mehr Aufmerksamkeit bescheren.
Dabei hat man gerade bei den Grünen schlechte Erfahrungen mit Büchern im Wahlkampf gemacht. 2021 stolperte Annalena Baerbock über Plagiate in ihrem Buch „Jetzt“, stand wochenlang in der Kritik und fügte schließlich Quellenangaben hinzu. Inzwischen hat der Verlag das Buch aus dem Handel genommen.
Wieso Habeck in seinem Buch nicht gendert
Habecks neues Buch kommt ohne Fußnoten aus und verzichtet anders als Baerbock auch auf Gendersternchen. Darüber habe er zwar nachgedacht, denn die politische Korrektheit habe das ehrenwerte Motiv, respektvoll und höflich miteinander zu sprechen.
Im Genderdiskurs brauche es jedoch mehr Gelassenheit, sagt Habeck. Nicht Halbsätze sollten zerlegt werden, sondern es zähle, „was jemand sagt und in welcher Absicht.“
Anders als Baerbock will sich Habeck in seinem Buch nicht der Wählerschaft vorstellen. Auch seine politischen Grundvorstellungen hat er bereits 2021 in „Von hier an anders“ skizziert – in der Annahme, dass er schon vor vier Jahren Kanzlerkandidat seiner Partei werden würde. 2025 kennen die Deutschen Habeck zur Genüge; so erscheint das Werk mehr als Rechtfertigungsschrift auf 133 Seiten.
Er wisse, dass er viel Vertrauen verloren habe, bekennt Habeck und verweist vor allem auf das Heizungsgesetz. Mehrfach räumt er auch ein, dass die Ampel nicht gut genug funktioniert hat. „Wir haben auf die großen Fragen keine hinreichend großen Antworten gegeben“, schreibt der Noch-Wirtschaftsminister mit Blick auf die Energie- und Wirtschaftskrise oder auf die soziale Ungerechtigkeit.
Viel Optimismus kommt beim Lesen nicht auf
Doch sein Buch ist natürlich kein Schuldeingeständnis. „Die Krisen verschwinden nicht, wenn man wegschaut“, floskelt Habeck und kritisiert seine politischen Mitbewerber: „Es gibt eine ziemlich große Wahrscheinlichkeit, dass Deutschland den Bach runtergeht, wenn auch die Politiker der demokratischen Mitte auf die Mittel des Populismus setzten, wenn sich der Pessimismus in der Gesellschaft durchsetzt.“ Er selbst wolle Probleme lösen. Zuversicht – so steht es auf seinen Wahlplakaten. „Den Bach rauf“, heißt es auf dem Buchdeckel.
Viel Optimismus kommt beim Lesen jedoch nicht auf, denn Habeck arbeitet sich ausdauernd durch die Krisen unserer Zeit. Pandemie, Ukrainekrieg, Energiekrise, Klimakrise, Wirtschaftskrise, das Erstarken der Populisten: alles lässt er Revue passieren.
Wie im aktuellen Wahlkampf gefällt er sich darin, die großen Probleme anzusprechen, an die sich scheinbar niemand traut. Verteidigung, Transformation, Steuergerechtigkeit: Habeck will gesellschaftliche Debatten anregen. Eine Rolle, die man eigentlich von einem Bundespräsidenten erwarten würde, nicht aber von einem Kanzlerkandidaten.
„Die nächsten Jahre werden über Krieg und Frieden auf unserem vernarbten Kontinent entscheiden“
Dünner wird es bei Habecks Lösungsvorschlägen; diese sind mehr Stichwort als Konzept. Finanzpolitisch ist es der bekannte Mix aus Schuldenbremsenreform, Steuern für Superreiche, Investitionsprämien und einem milliardenschweren Infrastrukturfonds. Auch der zweite Baustein seiner Lösung – Abbau von Bürokratie, günstiger Strom, mehr Fachkräfte – ist altbekannt.
Habecks dritte Säule: „Wir werden noch einmal eine ganz andere Tiefe der europäischen Zusammenarbeit brauchen.“ Im Wettbewerb mit den USA und China müsse Europa handlungsfähig in der Außen- und Sicherheitspolitik werden.
„Die nächsten Jahre werden über Krieg und Frieden auf unserem vernarbten Kontinent entscheiden“, schreibt Habeck, der sich perspektivisch für eine „Föderale Europäische Republik mit einer europäischen Verfassung“ ausspricht.
„Wer hier Straftaten begeht, verwirkt seinen Schutzanspruch“
Über weite Strecken ist das Buch ein hübscher formuliertes Wahlprogramm der Grünen, in denen Habeck jedoch keine Rücksicht auf die Befindlichkeiten einzelner Arbeitsgruppen nehmen muss. Das wird im Migrationskapitel deutlich, in dem Habeck klare Worte findet. „Ja, es gibt Probleme bei der Integration von Geflüchteten“, schreibt er und verweist auf das gesunkene Schulniveau, muslimischen Antisemitismus und den Anstieg von gewaltbereiten Kriminellen seit 2015. „Wer hier Straftaten begeht, verwirkt seinen Schutzanspruch.“
Gleichzeitig macht Habeck deutlich, dass es in der Debatte für ihn Grenzen gibt. „Der Kompass der Menschlichkeit darf uns nicht verloren gehen“, schreibt er und kritisiert Merz, der nach dem Messeranschlag von Solingen alle Flüchtlinge pauschal an der Grenze zurückweisen wollte.
Nach 133 Seiten endet Habeck mit Gedanken zur Nationalhymne. Staatsmännisch wirkt das. In der Realität ist er davon trotz aller Aufmerksamkeit jedoch noch ein gutes Stück entfernt.
Von Felix Hackenbruch
Das Original zu diesem Beitrag "Habeck veröffentlicht Buch mitten im Wahlkampf: Mehr Bundespräsident als Kanzlerkandidat" stammt von Tagesspiegel.