Interview mit Felix Banaszak - „Vor unseren Augen zerbröseln Brücken“, sagt Grünen-Chef und macht teure Ankündigung
FOCUS online: Wenn man dieser Tage Grünen-Basismitgliedern erzählt, man treffe Felix Banaszak zum Interview, kommt die Frage: „Wer ist das?“ Was antworten Sie?
Felix Banaszak: Ich bin der Neue. Ein Kind des Ruhrgebiets, jemand, der weiß, was im Land los ist und sich nicht mit politischen Phrasen und Floskeln abfindet. Ne ehrliche Haut.
Sind Sie als früherer Chef der Grünen Jugend nicht eigentlich Robert Habecks linker Flügelmann, der im Wahlkampf die Idealisten unter den Mitgliedern und Wählern abholen soll?
Banaszak: Mit dieser Zuschreibung kann ich nicht viel anfangen. Ja, ich bin aus guten Gründen Teil des linken Flügels. Aber schon als Landesvorsitzender in Nordrhein-Westfalen war es mein Anspruch, die Partei aus der Mitte heraus zu führen, und zwar im Team. Und über mein Parteibuch hinaus bin ich noch mehr, zum Beispiel Vater und Duisburger. Beides prägt meinen Blick auf die Welt.
„Wollten Beweis antreten, dass sich unser Angebot nicht nur an eine Nische richtet“
In NRW haben Sie die Grünen von 6,4 Prozent im Jahr 2017 auf 18,2 im Jahr 2022 und in Regierungsverantwortung zurückgeführt. Was haben Sie damals für Ihr heutiges Amt als Bundesvorsitzender gelernt?
Banaszak: Ich war das natürlich nicht alleine. Als ich 2018 Vorsitzender wurde, waren die Grünen gerade aus der Landesregierung geflogen, die Fraktion hatte sich halbiert. Diese Krise war hart, aber sie hat uns gezwungen, neu zu denken.
Das bedeutete: Wir mussten unsere Inhalte so formulieren, dass wir die Menschen wieder erreichen, die sich zuvor von uns abgewandt hatten. Und wir wollten den Beweis antreten, dass sich unser Angebot nicht nur an eine Nische richtet. Wir waren also Unterwegs-Partei und haben überall im Land zugehört, was die Leute vor Ort umtreibt.
„Zerbrechen der Ampel heißt, dass wir uns selbstkritisch hinterfragen müssen“
Anders gesagt: Sie wollen heute die Verengung des Grünen-Bildes als urbane Milieupartei vermeiden?
Banaszak: Wir setzen auf Themen und Zukunftsfragen, die Menschen im ganzen Land bewegen - ambitionierter Klimaschutz, ein bezahlbares Leben und ein funktionierender Staat. Das Zerbrechen der Ampel heißt für mich aber auch, dass wir uns selbstkritisch hinterfragen müssen. Christian Lindner hat sehr kurz nach seiner Entlassung verkündet, er wolle wieder Finanzminister werden.
Olaf Scholz tritt jetzt mit einem Selbstbewusstsein auf, als habe er in den Ampel-Jahren alles richtig gemacht, dabei ist doch die von ihm geführte Regierung zerbrochen. Wir hingegen haben uns entschieden, einen Schritt zurückzutreten und hören genau hin: Was läuft in diesem Land? Und welche Kritik müssen wir stärker annehmen?
Und was hören Sie da?
Banaszak: Die Sorgen und Wünsche von Menschen, die in der Pflege, der Landwirtschaft oder in Jugendzentren arbeiten. Der Ampel-Regierung ist es nicht gelungen, mit Orientierung auf die Verunsicherung zu antworten, die viele spüren. Wir kamen aus der Corona-Pandemie und schlitterten in eine Lage, in der vor unserer Haustür Krieg herrscht.
Im Krisenmanagement hat sich die Ampel bewährt und auch später ist uns einiges gelungen: Robert Habeck hat uns unabhängig von russischem Gas gemacht, die Energiewende beschleunigt und auch gesellschaftspolitisch haben wir einiges bewegt. Aber öffentlich hat die Ampel sich fortwährend gestritten.
„Unser Vorschlag: Jetzt richtig Geld in die Hand nehmen“
Diese Einsicht ist löblich. Aber nach dreieinhalb Jahren grüner Regierungsbeteiligung steht der Vorwurf im Raum, dass es mit den Grünen in wirtschaftspolitischer Verantwortung bergab geht. Hat die Partei die Herausforderungen unterschätzt?
Banaszak: Die Wirtschaft hierzulande war spätestens seit 2018 in schwierigem Fahrwasser unterwegs, seitdem gibt es real kein Wachstum mehr. Es stimmt, dass diese Ampel immer nur die „halbe Antwort“ gegeben hat, weil sich die drei Partner nicht auf eine gemeinsame Linie verständigen konnten. Klar, Politik lebt vom Streit. Aber man kann nicht wie Christian Lindner gleichzeitig in der Regierung und gegen die Regierung sein.
Das beantwortet jetzt nicht unsere Frage nach der Wirtschaftskompetenz Ihrer Partei.
Banaszak: Die wirtschaftliche Lage ist sehr angespannt – aber die Gründe dafür liegen in den letzten Jahrzehnten und nicht nur in den letzten drei Jahren. Blicken wir trotzdem zurück auf die Ampel-Regierung: Aus dem Schock des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine ist zwar rhetorisch etwas Großes abgeleitet worden: die Zeitenwende.
Aber in der Substanz konnte sich diese Regierung nicht auf Antworten einigen, die groß genug für die wirtschaftlichen Konsequenzen dieses Kriegs waren. Denn dafür hätte es eine andere Haushalts- und Finanzpolitik gebraucht, die mit dieser Koalition nicht zu machen war. Unser Vorschlag: Jetzt richtig Geld in die Hand nehmen und in die Zukunft investieren.
Schuld ist nur die Vorgängerregierung?
Sie haben sich also nicht unterschätzt? Fakt ist doch, dass Sie als Partei der Klimawende angetreten sind und dann von der Tagespolitik überrollt wurden.
Banaszak: Der Klimakrise ist herzlich egal, wie viele Menschen über sie sprechen. Klimaschutz bleibt für uns Priorität! Aber selbstverständlich nehme ich wahr, dass sich die Lebensrealitäten der Menschen mit dem russischen Angriffskrieg verändert haben. Deswegen setzen wir uns auch dafür ein, die Energiepreise zu senken und Mieten wieder bezahlbar zu machen. Über all dem steht die Frage, ob wir es schaffen, Wohlstand und Freiheit auch in Zukunft zu sichern. Andernfalls wäre das Politik nach dem Motto: Nach uns die Sintflut.
Die Wirtschaftslage ist dramatisch. Das Land schrammt an einer Rezession entlang, die Industrie leidet, Tausende Arbeitsplätze fallen weg. Da muss man doch fragen, wieviel Grüne Politik in dieser Krise steckt, ohne auf die Koalitionspartner verwiesen zu werden.
Banaszak: Dass die Lage ernst, wenn nicht dramatisch ist, bestreite ich nicht. In meinem Duisburger Wahlkreis bangen gerade Tausende um ihre Jobs in der Stahlindustrie. Und natürlich schieben wir nicht jede Verantwortung blind von uns weg. Aber es bleibt doch richtig: Wir haben uns als Gesellschaft zu lange auf einem Wohlstandsmodell ausgeruht, das keine Substanz mehr hatte.
Wir haben uns über das billige Gas aus Russland gefreut, waren Exportweltmeister, haben ignoriert, wie abhängig wir uns allein vom chinesischen Absatzmarkt gemacht haben. Und um unsere Sicherheit haben sich freundlicherweise die USA gekümmert. Der Arbeits- und Fachkräftemangel hat sich schon lange angedeutet, aber CDU/CSU haben sich geweigert anzuerkennen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist.
… schuld sind also die Vorgängerregierungen?
Banaszak: Deutschland ist von Union und SPD jahrelang kaputtgespart und auf Verschleiß gefahren worden. Jeder merkt das doch, wenn man mal im Ausland ist, wo die Züge pünktlich fahren oder die Digitalisierung viel weiter ist. Vor unseren Augen zerbröseln die Brücken.
Vorletztes Jahr haben über 80 Prozent aller Unternehmen angegeben, sie würden noch faxen. Wir haben einen massiven Investitionsstau in Deutschland, bei öffentlichen und privaten Investitionen. Alle seriösen Wirtschaftsinstitute, sogar der BDI, gehen von mehreren Hundert Milliarden Euro über die nächsten Jahre aus.
CDU und die Schuldenbremse: „Das ist maximal unseriös“
Und was planen Sie?
Banaszak: Wir wollen einen Deutschland-Investitionsfonds aufsetzen und damit die derzeitigen öffentlichen Investitionen auf 75 Milliarden Euro jährlich verdoppeln. Gleichzeitig fördern wir private Unternehmensinvestitionen mit einer Investitionsprämie, die Robert Habeck vorgeschlagen hat.
Wofür sollen nach Auffassung der Grünen die Gelder eingesetzt werden?
Banaszak: In den Bereichen, die für die Zukunft unseres Landes die entscheidenden sind. Das bedeutet Investitionen in Bildung und Klimaschutz, etwa die Bahn oder klimafreundliche Wärme vor Ort in den Kommunen. Und das bedeutet gezielte Investitionen zur Modernisierung unserer Wirtschaft mit einem Fokus auf modernste Technologien.
Was die Union dagegen macht, ist Milliarden ohne Gegenfinanzierung zu versprechen. Weil vor der Wahl in der Parteispitze einige immer noch ideologisch an der Schuldenbremse kleben, die selbst CDU-Ministerpräsidenten reformieren wollen. Das ist maximal unseriös.
„Wollen nicht für Schwarz-Grün begeistern, sondern für Grün“
Die Grünen rangeln mit der SPD um die künftige Regierungsbeteiligung. Wie wollen Sie mit Ihrer kritischen Haltung gegenüber der Union eine Koalition bilden?
Banaszak: Ich bin Optimist und kämpfe dafür, dass die Grünen so stark werden, dass ohne uns keine Regierung gebildet werden kann. Nicht aus Übermut, sondern aus dem Selbstbewusstsein, mit Robert Habeck einen fähigen Kanzlerkandidaten nominiert zu haben. Wie weit wir kommen, entscheiden am Ende die Wählerinnen und Wähler. Es gilt für alle, nicht nur zu sagen, wofür man steht, sondern auch gesprächs- und koalitionsfähig mit anderen Demokraten zu sein.
Zwei Drittel der Wähler lehnen Schwarz-Grün strikt ab. Wie wollen Sie die umstimmen?
Banaszak: Wir wollen sie nicht für Schwarz-Grün begeistern, sondern für Grün. Als ich Parteivorsitzender wurde, hatten wir mit vielen Negativzuschreibungen und Feindseligkeiten zu kämpfen. Es hat sich was gedreht: Wir bewegen uns in den Umfragen Schritt für Schritt nach oben, bei den Veranstaltungen rennen uns die Leute die Bude ein.
Ampel-Projekt Klimageld: Wo bleibt es?
Die Ampel hat ein Klimageld in den Koalitionsvertrag geschrieben, um die Belastungen der Menschen auszugleichen. Doch es wurde nie umgesetzt. Verliert man so nicht die Menschen?
Banaszak: Ja, Klimaschutz erfordert Maßnahmen und kostet auch etwas. Aber: Kein Klimaschutz kostet noch mehr. Klimapolitik muss aber auch sozial gerecht sein, damit Menschen mit geringem Einkommen nicht stärker belastet werden, sondern auch die Möglichkeit haben, zu investieren und sich im öffentlichen Raum zu bewegen. Ein Beispiel ist das 49-Euro-Ticket. Ein anderes die Förderung für Wärmepumpen – übrigens die einzige Förderung der Republik mit einer sozialen Staffelung.
Wir waren eigentlich beim Klimageld.
Banaszak: Das wollen wir auch immer noch einführen. Heizen mit Öl und Gas, auch das Tanken mit Benzin und Diesel wird durch den steigenden CO2-Preis deutlich teurer werden. Das müssen wir abfedern. Leider hat es Christian Lindner nicht geschafft, Steuer- und Kontodaten miteinander so zu verknüpfen, dass es überhaupt möglich gewesen wäre, ein Klimageld auszuzahlen. Die Politik muss bereit sein, die Gelder an die Menschen zurückzugeben. Sonst lassen wir sie mit ihren hohen Rechnungen alleine. Das werden wir in der nächsten Regierung umsetzen.
„Klischee der Verbotspartei begegnet mir nur noch sehr selten“
Vor allem der Streit um das Heizungsgesetz belastet die Grünen noch immer. Was lernen Sie daraus – und wie kann man in Zeiten des Klimawandels das Image der Verbotspartei ablegen?
Banaszak: Bei den Gesprächen, die ich mit den Menschen im Land führe, begegnet mir das Klischee der Verbotspartei ehrlich gesagt nur noch sehr selten.
Da müssen wir widersprechen. Gerade in ländlichen Regionen erreicht uns dieses Image der Grünen als Verbotspartei immer wieder.
Banaszak: Manche Vorurteile halten sich wohl hartnäckig. Mit Blick auf das Heizungsgesetz ist der Prozess natürlich nicht gut gelaufen. Es bleibt richtig, das Thema anzugehen, denn rund ein Drittel der Gesamtenergie in Deutschland wird in Gebäuden verbraucht. Dennoch hätte die soziale Förderung am Anfang aller Überlegungen stehen müssen - das war in der Regierung mit SPD und FDP ja leider zunächst nicht möglich.
Ihre Partei wurde zur Getriebenen.
Banaszak: Wir haben daraus gelernt und das Gesetz verbessert. Es war ein Problem, dass monatelang hitzig über ein Gesetz gesprochen wurde und erst am Ende stand, wie der Staat die Menschen unterstützt. Wenn die Union das Gesetz nun wie angekündigt zurücknehmen möchte, geht das zulasten der Menschen und der Branchen, die schon heute verunsichert sind.
Banaszak nennt sein Erfolgsrezept für grünen Wahlkampf
Zurück zum Wahlkampf. Ein altes Dilemma der Grünen ist, dass von der Zustimmung in den Umfragen am Wahltag beträchtliche Stimmenanteile wieder wegbrechen. Haben Sie dafür eine Lösung? Das wäre geradezu revolutionär.
Banaszak: Das Erfolgsrezept liegt vermutlich darin, dass man über die gesamte Zeit des Wahlkampfs bei sich bleibt. Wenn man also weiß, wer man ist, was man will, wofür man steht und welches Angebot man macht.
Wenn man das konsequent weiterträgt und nicht alle paar Wochen einen kurzen Schwenk macht, kann es gelingen, die entstandene Dynamik über die Ziellinie zu tragen. In NRW ist uns das 2022 gelungen und am Ende standen wir sogar einige Prozentpunkte über den letzten Prognosen. Für den Bundestagswahlkampf bedeutet das: Wer will, dass wir ernsthaft in die Zukunft dieses Landes investieren, muss die Grünen wählen. Und ebenso jene, die wollen, dass wir Frieden in Europa und in der Welt erreichen, aber Frieden nicht missverstehen als Unterwerfung.
Robert Habeck will 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Verteidigung investieren. Eine Erhöhung um 1,4 Prozentpunkte. Das muss Ihnen als ehemaliger Chef der Grünen Jugend doch aufstoßen.
Banaszak: Natürlich kommt unsere Partei aus einer anderen Tradition. Aber wir leben leider nicht in der Welt, die wir uns wünschen. Unser Frieden, unsere Freiheit und Sicherheit sind massiv bedroht. Mit Donald Trump im Weißen Haus ist klar, dass die USA nicht mehr im gleichen Maße wie zuvor für Europas Sicherheit aufkommen werden. Kurz gesagt: Verteidigungsfähigkeit sichert Frieden, so paradox das erst einmal klingen mag.
Die Forderung Habecks wirkt wie aus einem Überbietungswettbewerb.
Banaszak: Die Welt, in der wir leben, macht es nötig, unsere Positionen an der Bedrohungslage auszurichten. Das haben wir von Tag eins des russischen Angriffskrieges getan. Wir werden in Zukunft zur Sicherung des Friedens eben deutlich mehr als zwei Prozent des BIP ausgeben müssen. Anders als die SPD bringen wir Ehrlichkeit in diese Debatte. Und anders als die Union sagen wir sogar, wie wir es finanzieren wollen und stellen es nicht in Konkurrenz zu den Sozialausgaben oder Investitionen in die Zukunft unseres Landes.
Zählen nur „nützliche“ Geflüchtete?
Habeck sagt, dass jene Syrer zurückkehren müssten, die nicht arbeiten. Auch hier müssten Sie als Parteilinker Widerspruch anmelden. Was sagen Sie den syrischen Frauen, die nicht arbeiten – zählen nur „nützliche“ Geflüchtete?
Banaszak: Sie verkürzen die Haltung von Robert Habeck. Im Moment ist wichtig, dass Syrien eine gute Zukunft hat und das Land stabilisiert wird. Daher ist es gut, dass Annalena Baerbock gemeinsam mit ihrem französischen Amtskollegen vor Ort war. Aber die Lage vor Ort ist nach wie vor unklar, darum gibt es derzeit keinen Anlass zur Widerrufsprüfung von syrischen Schutzberechtigten.
Viele Syrerinnen und Syrer wünschen sich nichts sehnlicher, als in ihre Heimat zurückzukehren. Es gibt aber auch jene, die seit Jahren in Deutschland leben und hier heimisch geworden sind, einige von ihnen haben mittlerweile die deutsche Staatsbürgerschaft. Viele von ihnen sind nun auch mit Forderungen von Friedrich Merz konfrontiert, dass ihnen die Staatsbürgerschaft aberkannt werden könnte. Staatsbürgerschaft auf Abruf – das ist verantwortungslos.