Eskalationsbereit? Was Merz‘ Wahlsieg für das Ende des Ukraine-Kriegs bedeutet

  1. Startseite
  2. Politik

Kommentare

Zusammengeschweißt: Im Dezember vergangenen Jahres besuchte Deutschlands wahrscheinlich neuer Kanzler den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Dabei versprach Friedrich Merz (CDU) womöglich die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern nach einem Sieg der Bundestagswahl. © IMAGO / Michael Kappeler / Avalon

Alleingänge kann sich ein Kanzler Merz kaum leisten, er muss koalieren. An der Taurus-Lieferung scheiden sich weiter die Geister. Was gilt sein Wort?

Berlin – „Aufgabe Nummer 1: Es muss schnell gehen“, schreiben Jan Dörner und Julia Emmrich. Über das was ein neuer Kanzler zu leisten habe, berichtet aktuell das Hamburger Abendblatt. Die Beendigung des Ukraine-Krieges scheint Priorität zu besitzen für den wahrscheinlich neuen deutschen Regierungschef: „Der Krieg in der Ukraine muss so schnell wie möglich enden“, titelte die CDU auf ihrer Homepage über eine Aussage von Friedrich Merz nach seinem Besuch in Kiew Anfang Dezember vergangenen Jahres. Er kündete „Konsequenz“ an – nun muss das Wahlergebnis zeigen, wie lang sein Hebel wirklich ist.

Wie ihn die CDU wiedergibt, will Merz die Welt wissen lassen, dass die Christdemokraten fest hinter der Unterstützung Deutschlands für die Ukraine stünden: „Finanziell, humanitär und mit militärischer Ausrüstung“. Sein Credo: „Wenn unsere Unterstützung für die Ukraine schwächer wird, dann wird dieser Krieg länger dauern. Wenn sie konsequent ist, dann wird er schneller enden“, wie die CDU schreibt.

Nach Bundestagswahl: Arbeitsaufnahme in Deutschland oder Rückkehr in Westukraine?

Konsequenzen hatte der mitunter drauflos polternde Politiker bereits eingangs des Krieges angekündigt, indem er ukrainischen Geflüchteten auf Heimaturlaub „Sozialtourismus“ vorwarf; was er später aber wieder zurücknahm. Bärbeißiger treten da seine engsten Verbündeten auf: Nach der Bundestagswahl könnten gegenüber jungen männlichen Erwachsenen auch in Deutschland stärkere Geschütze aufgefahren werden: Alexander Dobrindt (CSU) hatte Mitte Juni vergangenen Jahres gegenüber der Tagesschau geäußert, seine Fraktion fordere, ukrainische Kriegsflüchtlinge in ihre Heimat zurückzuschicken, wenn sie in Deutschland keine Arbeit aufnähmen. „Es muss jetzt über zwei Jahre nach Kriegsbeginn der Grundsatz gelten: Arbeitsaufnahme in Deutschland oder Rückkehr in sichere Gebiete der Westukraine“, sagte der CSU-Landesgruppenchef der Bild am Sonntag.

„Eine Verengung der Debatte auf einen militärischen Sieg der Ukraine als einzig akzeptable Option wirft in der Konsequenz die Frage auf, was getan werden soll, wenn sich dieser Erfolg nicht einstellt.“

Allerdings wird vielen jungen Männern dort die Wehrpflicht drohen; insofern bleibt fraglich, inwieweit das mit dem geltenden Asylrecht vereinbar wäre. Im vergangenen Oktober hatte die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag beantragt, ukrainische Geflüchtete aus dem Bürgergeld-Bezug zu nehmen und wieder unter das Asylbewerberleistungsrecht zu stellen. Letztendlich scheinen die stärksten Parteien im Deutschen Bundestag den Druck auf ukrainische Flüchtlinge erhöhen zu wollen. Wahrscheinlich würde Friedrich Merz mit der SPD als Koalitionspartner aber keine Mehrheit dafür realisieren können. Wenn er das denn noch wollte.

Darüberhinaus scheint er bisher staatsmännisch zurückhaltend aufgetreten zu sein, wie er im Dezember während seines Besuchs in Kiew gegenüber dem ZDF geäußert hatte – zunächst sähe er die Notwendigkeit einer „Kontaktgruppe“, die sich aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien und der Ukraine zusammensetze und das Handeln abstimme. Allerdings tritt der wegen seiner Emotionalität wiederholt gerügte Merz nüchterner auf als beispielsweise Frankreichs Präsident Emmanuel Macron. Kein Wort von Friedenstruppen aus dem Munde von Merz; im Gegenteil hatte er aus Kiew heraus via ZDF betont, Deutschland dürfe keine Kriegspartei werden.

Taurus-Befürworter Merz: Sowohl in West- als auch in Ostdeutschland eine Mehrheit gegen die Lieferung

Und damit wiederum liegt er auf einer Linie mit dem als Zauderer verschrieenen ehemaligen Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Ein klarer Dissens zur bisherigen deutschen Regierungspolitik verursacht der Marschflugkörper Taurus, die seit Anbeginn des Krieges als „Unterschiedswaffe“ gehandelt wird und die deutsche Gesellschaft spaltet. Wie Merz zuletzt im Oktober in der ARD-Sendung Caren Miosga betont hatte, würde er unter der Bedingung einer einheitlichen Linie in Europa beziehungsweise in Übereinstimmung mit den USA die Marschflugkörper aushändigen. Er hatte das abhängig gemacht von der Aufhebung der Reichweitenbegrenzung US-amerikanischer Waffen – was inzwischen erfolgt ist.

Sowohl in West- als auch in Ostdeutschland sei eine Mehrheit gegen eine Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern an die Ukraine, wie der ARD-Deutschland-Trend noch Ende November vergangenen Jahres veröffentlichte. Die Ablehnung im Osten Deutschlands sei mit 76 Prozent noch stärker ausgeprägt als im Westen mit 56 Prozent. Gleichzeitig habe sich im Osten jeder fünfte Befragte – 19 Prozent – für eine Lieferung ausgesprochen und im Westen jeder Dritte – 34 Prozent. Mehrheitlich für eine Lieferung sprächen sich die Anhänger der Grünen aus: 60 Prozent seien dafür, 30 Prozent dagegen, hat der WDR gemeldet.

Das eröffnete für Friedrich Merz eine Option für Schwarz-Grüne in dieser Frage, was allerdings gegen eine starke Opposition aus AfD, SPD und Linken kaum reichen würde. Schließlich war die Union bereits Mitte März 2024 gescheitert mit einem Antrag zur Lieferung des Marschflugkörpers Taurus an die Ukraine: 494 Abgeordnete hatten gegen den Antrag gestimmt, 188 Abgeordnete dafür, es gab fünf Enthaltungen. Sollte die SPD zu ihrem Wort stehen, wird eine künftige Abstimmung zum nächsten Waterloo für Merz. „Darum stehen wir zur Entscheidung von Bundeskanzler Olaf Scholz, den Marschflugkörper Taurus aus den Beständen der Bundeswehr nicht zu liefern“, hatten die Sozialdemokraten in ihrem Wahlprogramm angekündigt.

Drängler in Merz-Partei: „Wir sollten alles liefern, was der Ukraine hilft, zu ‚gewinnen‘“

Schnell wird Friedrich Merz – trotz allen guten Willens – also wohl wenig bewirken können, um den Krieg in der Ukraine zu beenden. Wobei aus seiner eigenen Partei von hinten gedrängelt wird: Einer der Hardliner ist Roderich Kiesewetter, der neben Johannes Wadephul als künftiger Verteidigungsminister gehandelt wird. „Wir sollten alles liefern, was die Nato auch selbst einsetzen würde und was der Ukraine hilft, zu ‚gewinnen‘“, wie der ehemalige Artillerist und Oberst der Reserve bereits 2023 gegenüber dem Magazin Der BundeswehrVerband geäußert hat.

Als Kiesewetter‘s Antipode äußerte sich im gleichen Medium Johannes Varwick: „Über das politische Ziel erfährt man hingegen wenig. Will man wirklich die Ukraine ertüchtigen, ihr Territorium inklusive der Krim zurückzuerobern? Wer etwa die Rede des ukrainischen Präsidenten Selenskyj im amerikanischen Kongress oder auch in Brüssel gehört hat, der kann keinen Zweifel daran haben, dass es der Ukraine nicht um einen tragfähigen Kompromiss, sondern um den Sieg gegen Russland geht“, schrieb der Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Universität Halle-Wittenberg im gleichen Medium.

Wie Klaus Wittmann in der Welt nahegelegt hat, hatte Kanzler Scholz immer etwas angehaftet von „zu wenig, zu spät“ – selbst die Lieferung von Marder-Schützenpanzern an die Ukraine habe Scholz im Auswärtigen Ausschau veranlasst zu warnen, die Fahrzeuge würden „eine furchtbare Eskalation‘ bewirken“, wie Wittmann zitiert. Friedrich Merz war bereits im April 2022 zur Unterstützung der Ukraine angetreten – zwei Monate nach dem völkerrechtswidrigen Angriff durch Wladimir Putins Invasionstruppen hatte die Regierung noch diskutiert, inwieweit deutsche Kampfpanzer einen Affront für Russland darstellen würden beziehungsweise ob ein Schützenpanzer dagegen statthaft wäre.

Merz kontra Putin: „Die Lieferung von Waffen macht Deutschland nicht zum Kombattanten“

Merz hatte sich da bereits argumentativ eingegraben, wie der Spiegel bemerkte: „Die Lieferung von Waffen macht Deutschland nicht zum Kombattanten“, sagte der Politiker – freilich aus der Rolle der Opposition heraus wollte der CDU-Chef „nicht zwischen Abwehr- und schweren Waffen unterscheiden“, so das Nachrichtenmagazin. Wie Frank Hoffer im vergangenen Jahr dargelegt hat, könne Deutschland als zweitgrößter Waffenlieferant mindestens zwei Wege beschreiben: entweder durch Verhandlungsdruck in Richtung eines Stillstands der Kämpfe oder durch Demonstration von Eskalationsbereitschaft.

Während Olaf Scholz eher defensiv gehandelt hat, ist von Friedrich Merz eher die Offensive zu erwarten. Wer aber Taurus-Raketen liefere, müsse auch etwaige Folgen einpreisen, prophezeit der Analyst für den deutschen Thinktank Friedrich-Ebert-Stiftung. Je intensiver die Nato sich mit Material und Menschen an dem Krieg beteilige, desto sicherer dürfte sich die Ukraine fühlen, schlussfolgert Hoffer. Friedrich Merz führt in seiner Rhetorik eher den Säbel denn das Florett und beraubt sich möglicherweise Spielraum, wie Analyst Hoffer fürchtet:

„Eine Verengung der Debatte auf einen militärischen Sieg der Ukraine als einzig akzeptable Option wirft in der Konsequenz die Frage auf, was getan werden soll, wenn sich dieser Erfolg nicht einstellt.“

Auch interessant

Kommentare