Fahrgäste gefrustet: „Fällt immer schwerer, ein Loblied auf die Bahn zu singen.“

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Eine lebhafte Debatte über die aktuelle Bahnsituation führten (v.l.) Walter Westermeier, Norbert Moy, Falk Sluyterman, Alexander Majaru und Frank Hauenstein. © Florian Zerhoch

Im westlichen Landkreis ist die Laune im Keller: Die Pfaffenwinkelbahn, die einzige Strecke, die Schongau an das Schienennahverkehrsnetz anbindet, verfällt zusehends. Immer häufiger wird die Zugfahrt zum „Nervenkitzel“. Gemeinsam mit Bahnexperten ging der Ortsverein der SPD der Problematik auf den Grund.

„Ich bin eigentlich ein begeisterter Bahnfahrer, aber mir fällt es immer schwerer, ein Loblied auf die Bahn zu singen“, eröffnete Bürgermeister Falk Sluyterman die Podiumsdiskussion im Turmsaal des Münzgebäudes. Im Laufe der letzten elf Jahre habe sich im Mail-Postfach des Rathauschefs ein beachtlicher Berg an Beschwerdebriefen von unzufriedenen Bahnfahrern angehäuft. „Dabei bin ich gar nicht dafür zuständig“, sagte Sluyterman schmunzelnd.

Die Pfaffenwinkelbahn, Schongaus einzige aktive Schienenverbindung zur Außenwelt, verfalle schneller, als der Infrastrukturbetreiber DB InfraGo hinterherkommt, ärgerte sich Norbert Moy, Vorsitzender des Fahrgastverbands „Pro Bahn“. Moy berichtete von einer wachsenden Zahl an Langsamfahrstellen, ständig vertagten Sanierungsterminen und einer miserablen Kommunikation zwischen den beteiligten Unternehmen. Pendler könnten sich des täglichen „Nervenkitzels“ inzwischen sicher sein.

Bahnbetrieb leide unter „organisierter Verantwortungslosigkeit“

Die komplexen Zuständigkeiten auf und abseits der Schiene seien für Laien derweil nur schwer zu durchblicken. Moy bezeichnete die gegenwärtige Situation als „organisierte Verantwortungslosigkeit“. Es werde zunehmend schwerer, junge Menschen für die Bahn zu begeistern. Gerade die Hinwendung zu immer mehr technischem Automatismus und künstlicher Intelligenz sei „ein fatales Signal, wenn man Lokführer gewinnen will“.

Als Fahrdienstleiter bei der Bahn verfügt auch Alexander Majaru (SPD-Stadt- und Kreisrat) über einige Eisenbahn-Expertise. Kritisch sieht der Kommunalpolitiker unter anderem die „teilweise 200 Jahre alte Technik“ auf der Pfaffenwinkelbahn. Probleme bereite aber auch die Nachwuchsgewinnung. Erst kürzlich habe er einige junge Menschen am Stellwerk ausgebildet und ist sich sicher: „Die jungen Leute interessieren sich.“ Allerdings müsse die nächste Generation ordentlich eingearbeitet werden, was ausreichend Zeit und erfahrenes Personal verlange. Zudem seien die Einstiegshürden oftmals „recht hoch“.

Personalmangel auch bei der Bahn spürbar

Dem pflichtete auch Frank Hauenstein bei. Ausbilder fehlen „wie Sand am Meer“, stellte der EVG-Gewerkschafter fest. Früher habe man Personenzüge penibel auf Schäden untersucht, „heute ist der Fahrgast der TÜV“, monierte er. Begraben liege der sprichwörtliche Hund nicht zuletzt in der Bahnreform von 1994, der damit einhergehenden Privatisierung sowie dem Umgang mit finanziellen Mitteln. „Die Schiene ist kaputtgespart worden“, so der Gewerkschafter.

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Länder wie die Schweiz, die „das Hundertfache pro Kopf für die Eisenbahn ausgeben“, seien längst an Deutschland vorbeigezogen. Zu lange habe man hierzulande an Material und Personal gespart, erklärte Hauenstein. „Bahnland Bayern“ – schön und gut – in Berlin konzentriere man sich aber zu sehr auf die „Lobby für Lkws“. Dabei bestehe schon ein durchschnittlicher Güterzug aus umgerechnet 52 Lastwagen. „Viel Spaß auf der Autobahn“, wünschte Hauenstein scherzhaft.

Österreich und Schweiz investieren deutlich mehr in Schienenverkehr

Sein Kollege Walter Westermeier kann sich insbesondere mit der „Eingleisigkeit“ vieler Bahnlinien nicht anfreunden. „Mich wundert‘s, dass aus Garmisch überhaupt irgendein Zug pünktlich ist“, sagte er kopfschüttelnd und verwies auch auf die teilweise immensen Baukosten. Allein bei einer kleinen Korrektur in der „Oberhausener Kurve“ auf der Werdenfelsbahn seien bereits „ein paar Millionen Euro“ angefallen, erinnerte sich Westermeier. In der Schweiz und in Österreich werde in Sachen Schienenverkehr auf politischer Ebene „über die Legislaturperiode hinaus“ geplant – anders in Deutschland.

Es brauche mehr Planer, Planprüfer oder auch Vermesser, so Westermeier: „Da kann man so viel Geld reinpumpen wie man will.“ Da stimmte auch Moy zu und verwies auf das Großprojekt Stuttgart-21 – in Moys Augen ein „Milliardengrab“. Die Regierung müsse mehr tun als der DB „Geld über den Zaun zu werfen“ und sinngemäß zu fordern: „Macht‘s mal!“

Fahrgäste brauchen „Mobilitätsgarantie“

Es liege nun an den Verantwortlichen, sich zu überlegen, wie die Schiene für Fahrgäste und potenzielles Personal wieder attraktiv werden kann. Schon allein als Zugbegleiter dürfe man nach Moys Auffassung keineswegs „zartbesaitet“ sein: „Die bekommen ja den ganzen Ärger ab.“ Fahrgäste bräuchten wiederum eine „Mobilitätsgarantie“. Ständig fragend am Bahnsteig zu stehen und zu grübeln, „wie ich hier wieder wegkomme“, könne und dürfe nicht des Rätsels Lösung sein.

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