Mit „22 Bahnen“ und „Windstärke 17“ landete Caroline Wahl gleich zwei Bestseller. Nun ist ihr dritter, lesenswerter Roman „Die Assistentin“ erschienen. Und „22 Bahnen“ kommt ins Kino. Zeit für ein Gespräch.
Ein Treffen mit Autorin Caroline Wahl in München. Sommertag, frische Luft weht durchs geöffnete Fenster. „So gute Luft. Aber auch so eine Luft, die einen ein bisschen traurig macht: Denn es riecht nach Spätsommer, der Herbst kommt“, sagt die 30-Jährige. Und man fühlt sich schon wie mittendrin in einem ihrer Romane. In ihren jungen Jahren hat Wahl mit „22 Bahnen“ und „Windstärke 17“ bereits zwei Bestseller gelandet, Ersteres wurde Schullektüre; ihr neues Buch „Die Assistentin“ ist jetzt erschienen. Am 4. september 2025 startet die Verfilmung von „22 Bahnen“ in den deutschen Kinos. Zeit für ein Interview. Denn diesen irrsinnigen Erfolg hat sich Wahl hart erarbeitet. Als Mitte Zwanzigjährige war sie unglücklich in ihrem Job als Assistentin im Diogenes Verlags in Zürich. Und schrieb sich in ihrer Freizeit im wahrsten Sinne des Wortes frei. „22 Bahnen“ entstand, wurde zum großen Erfolg. Ein Gespräch über Schreiben, Neuanfänge – und den Glauben an sich selbst.
Eine Freundin von mir hat Ihre Bücher gelesen und Ihre Vita verfolgt – und sich auch deshalb entschieden, ihren Job nach zehn Jahren zu kündigen. Sind Sie sich dessen bewusst, was Sie mit Ihren Worten Starkes bewirken können?
Wow! Zu hören, dass eine Person auch meinetwegen gekündigt hat und ausbricht, ist wunderschön. Das Schönste, was passieren kann. Und das bestärkt mich darin, weiter so aufzutreten und rauszuhauen, was ich denke.
Sie berechnen nicht, was Sie sagen oder schreiben?
Nein, und ich glaube, genau das ist das Geheimnis: Dass ich mir wenig Gedanken darüber mache, wie etwas wirken könnte. Vor allem beim Schreiben. Da will ich gar nichts aussagen, da will ich einfach eine Geschichte erzählen. Und wenn mir jemand bei Interviews eine Frage stellt, haue ich die Antwort raus. Weil es am energieeffizientesten ist. Statt sich ständig Gedanken darüber zu machen, was man sagen darf, was man nicht sagen darf, was die Menschen für ein Bild von einem haben – das wäre mir viel zu viel Arbeit.
Sie hatten vor Ihrem Debüt „22 Bahnen“ einen festen Job und haben jede freie Minute nebenher an dem Buch geschrieben. Bedeutete das Aufraffen oder Abtauchen?
Abtauchen. Es ist manchmal natürlich auch anstrengend. Aber wenn ich mit Schriftsteller-Kolleginnen und -Kollegen spreche und sie mir sagen, schreiben sei für sie schon schlimm und sie müssten sich oft dazu zwingen, kann ich das nicht nachfühlen. Wenn ich weiß, ich hab drei Wochen Schreibzeit, dann freue ich mich darauf wie auf einen Urlaub. Es ist so toll, vier, fünf Stunden zu schreiben und abzutauchen. Nichts erfüllt mich so sehr.
Das klingt unheimlich schön. Gleichzeitig sehr stark und konsequent. So viel Zeit aufzuwenden und dann tatsächlich herauszufinden aus dem gehassten Job und stattdessen einen Bestseller zu landen. Richtig filmreif. Sind Sie mutig?
Das klingt für mich zusammengefasst auch supermutig. Aber das ist natürlich trügerisch. Wenn jetzt alle meinen: Die Caroline Wahl hat so viel Erfolg, kriegt alles auf einmal. Was die Öffentlichkeit nicht sieht, sind die vielen Jahre davor. Mein persönlicher Weg war – vor allem in den Jahren nach dem Abitur – lange ein Weg in die falsche Richtung. Ich zog dauernd um, war ständig auf der Suche, total getrieben. Hab gleichzeitig gesehen, dass die Menschen um mich herum nach und nach ankamen. Mit ihrem Partner in eine gemeinsame Wohnung zogen, sich beruflich eingliederten – während ich immer nur diesen Fluchtinstinkt hatte. In Zürich war das ganz krass. Der Job war schrecklich, in der Stadt habe ich mich null wohlgefühlt, gesundheitlich ging es mir nicht gut. Und dann dachte ich: Jetzt oder nie! Du wirst immer älter, du hast jetzt die Möglichkeit, beziehungsweise: Du nimmst dir jetzt die Möglichkeit, einen Roman vom Anfang bis zum Ende zu schreiben.
Einfach machen.
Einfach machen. Das will ich auch immer wieder allen Schreibenden sagen: Findet euren Weg! Sucht keine Ratschläge, es gibt ganz viele Wege. Wenn du einen Roman schreiben willst, kannst du es machen. Klar fand ich damals, es wäre ein genialer Move, aus dieser ätzenden Zeit mit einem Roman auszubrechen. Doch es war jetzt nicht so, dass ich mir sicher gewesen wäre, dass es funktioniert.
Und jetzt wurde „22 Bahnen“ sogar verfilmt. Ich hatte etwas Sorge, den Film anzuschauen.
... ich auch ...
Doch wurde sehr positiv überrascht.
Ich auch! (Lacht.) Es ist natürlich entscheidend, wer die Protagonistin Tilda spielt und ich finde Luna Wedler in der Rolle einfach krass. Ich hatte beim Schauen immer wieder das Gefühl: Das ist ja Tilda.
Hatten Sie Einfluss auf die Besetzung der Rollen?
Die Regisseurin hat mich immer auf dem Laufenden gehalten. Ich wollte auf keinen Fall diese nervige Diva-Autorin sein, die sich ständig einmischt. Doch zwei wirklich tolle Schauspielerinnen, die für die Rolle der Tilda vorgeschlagen wurden, waren für mich zu filigran, zu zart, hatten nicht dieses Brutale, das ich bei Tilda spüre. Auf meinen Einwand wurde Rücksicht genommen. Überhaupt war die Zusammenarbeit richtig gut. Da haben alle an einem Strang gezogen. Ja, die Bauchentscheidung, die ich damals für die Produktionsfirma BerghausWöbke getroffen habe, hat sich einfach komplett bestätigt. Und zeigt mir wieder, was ich jedem nur empfehlen kann: Hört auf euer Bauchgefühl! In meinem Leben waren Kopfentscheidungen gegen mein Bauchgefühl immer falsch.
Aber haben sie Sie nicht letztlich dahin geführt, wo Sie heute sind?
Stimmt, Zürich war mega falsch, aber wäre Zürich nicht gewesen, dann säße ich heute nicht hier. Für Entwicklung muss man durch den Schmerz gehen?
Natürlich können so richtig schlimme Phasen auch einfach dazu führen, dass man am Boden liegt und nicht mehr kann. Oder sie beschwören eine Energie herauf, aus der Situation herauszufinden. Da können sich unheimliche Kräfte kanalisieren. Nach dem Motto: Man ist eh ganz unten – wenn nicht jetzt, dann nie.
Einfach machen.
Einfach machen. (Lächelt.)