Mit dem Rücken an der Wand: Trumps Chaos setzt Europa unter Zugzwang – mit weitreichenden Folgen
Bei einem EU-Gipfel zur Verteidigung Europas und der Ukraine wird klar: Die EU muss dringend aufrüsten. Trumps Politik sorgt für Umdenken.
Brüssel/Washington – Keine Geheimdienstinformationen mehr für die Ukraine im Krieg, ein Stopp von Militärhilfen sowie ein öffentlicher Streit mit Wolodymyr Selenskyj: Innerhalb kürzester Zeit ist es dem US-Präsidenten Donald Trump gelungen, die Lage im Ukraine-Krieg trotz globaler Hoffnung auf ein zeitnahes Ende des Konflikts deutlich anzuheizen. Dass die Regierungsarbeit des Republikaners mutmaßlich am besten mit dem Terminus „Chaos“ umschrieben werden kann, spürten die Chefs der EU-Staaten zuletzt immer wieder. Bereits im Vorfeld von Trumps State of the Union war vielerorts die Sorge groß, dass der US-Präsident seine Nation noch stärker nach dem Prinzip „America first“ ausrichten oder gar einen Austritt aus der Nato verkünden könnte.
Letzteres blieb aus – dennoch wächst in Europa die Sorge vor der künftigen Regierungsarbeit Trumps. Nach sechs Wochen formiert sich allmählich die EU neu: Eigene Pläne für die Ukraine oder die Verteidigung werden ausgearbeitet. Fakt ist: Die Regierungschefs stehen vor großen Herausforderungen – allerdings bleibt ihnen auch keine andere Wahl. Am späten Donnerstagabend gab es dann allerdings einen Dämpfer: Die Staats- und Regierungschef der EU haben sich bei einem Gipfeltreffen in Brüssel nicht auf eine gemeinsame Position zur Unterstützung der Ukraine einigen können. Nach Angaben aus Teilnehmerkreisen wollte sich Ungarn nicht an einer von den restlichen 26 Staaten unterstützten Formulierung beteiligen.
Aufrüstung in Europa: EU-Gipfel wegen Trumps Politik
Bereits vor seiner Präsidentschaft machte Donald Trump im vergangenen Jahr klar, dass der Schutz der USA für Nato-Partner künftig viel stärker an Bedingungen geknüpft sein wird. Nicht nur deshalb wurden in den vergangenen Wochen vermehrt Stimmen in der EU laut, die Alternativen zur US-Abhängigkeit ins Gespräch brachten. Zuletzt zeigte auch CDU-Chef Friedrich Merz Interesse an einem europäischen Nuklearschirm. Olaf Scholz (SPD) gab sich deutlich abweisender und verwies in Brüssel beim EU-Gipfel auf die bestehende nukleare Abschreckung der Nato, die auf den Atomwaffen der USA basiert und an der Deutschland beteiligt ist.
Merz hatte zuvor erklärt: „Als Antwort auf den historischen Aufruf des zukünftigen deutschen Kanzlers habe ich beschlossen, die strategische Debatte über den Schutz unserer Verbündeten auf dem europäischen Kontinent durch unsere Abschreckung zu eröffnen.“ Frankreichs Präsident Macron hatte die Idee daraufhin aufgegriffen und weiter ausgeführt. Auch die sondierenden SPD- und Unionsmitglieder hatten zuletzt die Notwendigkeit von nationaler Aufrüstung mit Nachdruck dargelegt. Die Washington Post umschrieb die jüngsten Entwicklungen im Zusammenhang mit der Aufrüstung in Europa als einen „Neuanfang“.
Verteidigung in Europa: EU-Gipfel bringt Aufrüstung als Thema zurück
Dass es nun plötzlich beim Thema Aufrüstung viel Bewegung gibt und die Vertreter der Europäischen Union beim EU-Gipfel in Brüssel auf Lösungen drängen, führt die New York Times darauf zurück, dass Europa unter Zugzwang ist: Im Osten rasselt Russland unaufhörlich mit dem Kriegssäbel und durch den Beginn von Donald Trumps Präsidentschaft schwindet im Westen die Garantie für Unterstützung. „Europa steht vor einer klaren und gegenwärtigen Gefahr“, sagte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen, als sie zusammen mit Wolodymyr Selenskyj die Versammlung betrat, und nannte dies einen „Wendepunkt“.
„Es ist höchste Zeit“, sagte Roberta Metsola, Präsidentin des Europäischen Parlaments. „Wir sind endlich bereit, unseren Worten Taten folgen zu lassen.“ Auch beim Thema Ende des Ukraine-Kriegs sprechen die EU-Staaten über einen eigenen Weg und bemühen sich weiter, dem Land und Präsident Selenskyj weiterzuhelfen. Vor wenigen Wochen hatte Trump mit Russland Gespräche über Frieden im Krieg aufgenommen, ohne Europa oder die Ukraine direkt einzubeziehen. Derweil soll Trumps Zustimmung in den USA sinken.
„Gebt Geld für Verteidigung und Abschreckung aus“: Umdenken in der EU wegen Trump
Wie die New York Times schreibt, könnte mit dem EU-Gipfel in Brüssel auch ein neues Kapitel begonnen haben, das unter anderem die Aufrüstung Europas vorantreibt. „Das Wichtigste ist jetzt, um ganz offen zu sein, Europa wieder aufzurüsten, und ich glaube nicht, dass wir viel Zeit haben“, sagte etwa die Ministerpräsidentin Dänemarks, Mette Frederiksen. „Gebt Geld für Verteidigung und Abschreckung aus.“
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„Die Zukunft Europas darf nicht in Washington oder Moskau entschieden werden“, sagte zuletzt auch der französische Präsident Emmanuel Macron. Um sich aus der US-Abhängigkeit zu lösen, hatte die EU-Kommission auch einen Vorschlag vorgelegt, in den kommenden Jahren bis zu 800 Milliarden Euro (860 Milliarden Dollar) zusätzliche Verteidigungsausgaben freizugeben. Diese neue europäische Entschlossenheit könnte zur Gefahr für Trump werden. CNN mutmaßt in einer Analyse, dass die „unerbittlichen Schikanen gegenüber den Freunden Amerikas“ dazu führen könnten, dass die USA auf lange Sicht entmachtet werden könnten. In den kommenden vier Jahren könnte sich die restliche Welt schneller entwickeln und die USA an Bedeutung verlieren.
Atomare Abschreckung der EU: Nur mit großen Investitionen möglich
Fest steht: Wenn Europa seine Abschreckung künftig autark organisieren will, wären vermutlich riesige Investitionen notwendig, weil die britischen und französischen Atomwaffen derzeit nur eine Art nationale Ergänzung zur US-Abschreckung über die Nato waren. Die USA haben Expertenschätzungen zufolge noch etwa 100 Atombomben in Europa stationiert – einige davon sollen auf dem Fliegerhorst Büchel in der Eifel lagern.
Der Spiegel hatte in diesem Zusammenhang zuletzt berichtet, dass es seit mehr als einem Jahr „einen strukturierten strategischen Dialog“ der Bundesregierung mit Großbritannien und Frankreich unter anderem über nukleare Abschreckung gebe, an dem seit April 2024 die Sicherheitsberater der Staats- und Regierungschefs beteiligt sind. Scholz bestätigte solche Gespräche zwar zuletzt. „Es bleibt aber trotzdem dabei, dass wir uns gemeinsam dem Nato-Konzept verpflichtet fühlen und das ist Ihnen bekannt und das ist auch im Interesse der gemeinsamen Sicherheit in Europa“, fügte er hinzu.
Sorge um Europas Sicherheit wächst: Aufrüstung als Ausweg?
Durch die jüngsten Eskalationen auf dem internationalen, diplomatischen Parkett scheint das Thema Sicherheit in Europa einen neuen Stellenwert erreicht zu haben. Zu dieser Erkenntnis kommt auch der aktuelle ARD-Deutschlandtrend: Fast drei Viertel der Deutschen (73 Prozent) machen sich sehr große oder große Sorgen um die Sicherheit in Europa. Ob diese Sicherheit allerdings künftig von der EU im Alleingang garantiert werden muss, bleibt unklar.
Nach Einschätzung der Befragten der Umfrage bleibt allerdings die Nato ein wichtiger Garant für Sicherheit. Dem Militär- und Verteidigungsbündnis messen 84 Prozent der Teilnehmenden eine große Wichtigkeit bei, wenn es um die Sicherheit in Europa geht. Zugleich sind allerdings auch drei Viertel der Befragten (75 Prozent) der Meinung, die Nato-Partner könnten sich auf den Schutz der USA gegenwärtig nicht verlassen. (fbu)