Rücktrittswelle ungebrochen: Chefs der Jungen Grünen in Bayern werfen auch hin
Die Grünen stecken nach dem Rücktritt des Bundesvorstands in einer Krise. In Bayern wirft auch die Führung der Jugend-Organisation hin. Kann ein Neuanfang gelingen?
München – Katharina Schulze hat eigentlich gerade andere Prioritäten. Anfang des Monats ist die grüne Fraktionsvorsitzende im Landtag zum zweiten Mal Mutter geworden. Ganz kurz ist sie in Elternzeit, auch die Fraktionsklausur vergangene Woche fand ohne sie statt. Aber die Turbulenzen in ihrer Partei verfolgt sie natürlich trotzdem. „Wir Grüne sind im Moment in einer Krise“, sagt sie unserer Zeitung. „Da müssen wir dringend raus.“
Lange blieb es ruhig in der Partei – doch seit der Wahl in Brandenburg muss offensichtlich einiges raus. Erst trat am Mittwochmorgen das Vorsitzenden-Duo Ricarda Lang und Omid Nouripour zurück. Dann folgte, wie in einem Teil unserer gestrigen Ausgabe berichtet, am späteren Abend noch der komplette Vorstand des Parteinachwuchses.
Mehr noch: Gleich zehn Vorstandsmitglieder, unter anderem die Vorsitzenden Svenja Appuhn und Katherina Stolla, verlassen die Partei. „Wir sind nicht länger bereit, unseren Kopf für eine Politik hinzuhalten, die wir falsch finden“, heißt es in einer Erklärung. Bemerkenswert: In einem Schreiben an Parteifreunde geht es viel um soziale Fragen, aber nicht um Klimaschutz. „Wir werden uns danach aufmachen, einen neuen, dezidiert linken Jugendverband zu gründen.“

Grüne Jugend Bayern folgt Vorstand – Erleichterung bei Realos
Gestern Abend schließt sich dem auch der komplette bayerische Landesvorstand der Grünen Jugend an: „Wir glauben nicht mehr, dass wir bei den Grünen und damit auch in der Grünen Jugend so Politik machen können, wie wir uns das wünschen“, heißt es in einem Schreiben von acht Nachwuchspolitikern an die bayerische Grünen-Spitze.
Die Betroffenheit in der Partei ist überschaubar, gerade unter Realos. „Reisende soll man nicht aufhalten. Wenn es nicht mehr passt, dann ist es Zeit zu gehen“, sagt beispielsweise Katharina Schulze. Andere werden noch deutlicher. „Da wundere ich mich nicht, und da weine ich auch nicht“, stellt Ex-Ministerin Renate Künast im RBB-Interview klar. Die Gruppe wolle „irgendwie so einen Klassensystem-Sozialismus aufbauen“ und sei für ihre Begriffe „nicht realitätstauglich“.
Der Münchner Grünen-Abgeordnete Dieter Janecek erklärt gegenüber unserer Zeitung, der Austritt sorge bei vielen Jüngeren in der Partei sogar für Erleichterung. „In den Wahlkämpfen war die Grünen Jugend unter diesem Vorstand ohnehin quasi inexistent und fern von der grünen Basisarbeit“, lautet das harte Urteil Janeceks, der dem Realo-Flügel angehört. Die Jugendorganisation der Grünen hat etwa 18000 Mitglieder. Janecek: „Jetzt besteht die Chance für eine Neuaufstellung.“
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Partei kämpft nach Ost-Wahlen um Image: Grüne will bei sich selbst Fehler suchen
Neuaufstellung. Neustart. Das sind die Worte der Stunde. Sie ziehen sich durch die Äußerungen, seit die beiden Parteivorsitzenden am Mittwochmorgen ihren Abgang verkündeten. So gehe Verantwortungsbewusstsein, findet Schulze. „Bei sich selber anzufangen und nicht bei allen anderen zuerst nach Fehlern zu suchen. Ich sehe das als Chance für eine strategische Fokussierung auf die Bundestagswahl, damit die Grünen wieder erfolgreich sind.“
Die Partei kämpft mit ihrem Bild. „Im Kern muss es jetzt darum gehen, dass wir wieder die Hoheit über die grünen Erzählungen von Klimaschutz bis sozialer Gerechtigkeit zurückgewinnen“, sagt Janecek. Der Klimaschutz, der bei der Wahl vor vier Jahren noch als absolutes Gewinnerthema galt, hat nach dem Ärger um das Heizungsgesetz an Zugkraft verloren. „Es hat sich in unserem Land etwas geändert“, sagt sogar Umweltministerin Steffi Lemke. Darauf wollten die Grünen „mit einem pragmatischen Kurs“ reagieren.
Klingbeil sieht in Grünen-Krise keine Gefahr für Ampel – Personal muss nachfolgen
Es geht um Inhalte, aber auch um Personal. Die Spitzenkandidatur Habecks gilt als ausgemacht. Der neue Vorstand soll Mitte November auf dem Bundesparteitag in Wiesbaden gewählt werden. Voraussichtliche Nachfolger sind Franziska Brantner und Felix Banaszak. Banaszak wird dem linken Flügel zugerechnet, wo aber auch der Name Andreas Audretsch fällt.
Brantner (45), die das Direktmandat in Heidelberg gewann, spielt eine führende Rolle bei den „Realos“ und gilt als Vertraute von Robert Habeck. Früher saß sie auch im Europa-Parlament. Für sie würde der Parteivorsitz wohl bedeuten, dass sie ihren Platz als parlamentarische Staatssekretärin in Habecks Ministerium räumen müsste.
SPD-Chef Lars Klingbeil sieht im Führungswechsel bei den Grünen keine Gefahr für die Ampel. Die Parteichefs Ricarda Lang und Omid Nouripour würden ja bis zur Wahl der neuen Spitze auf dem Parteitag im November im Amt bleiben, sagte Klingbeil. „Das heißt, die grüne Partei ist handlungsfähig.“ Er habe „keinerlei Anzeichen“ dafür, dass der Koalitionspartner schwächele. „Und ehrlicherweise, die Verantwortung, die wir tragen, ist doch viel zu groß, als dass man dafür die Zeit hätte.“