„Polare Großmacht“: Wie China mit Russlands Hilfe die Arktis erobert
Es geht um neue Handelsrouten – und um Geopolitik: China will seine Präsenz in der Arktis ausbauen. Russland wird dabei zum Helfer wider Willen.
Chinas nördlichstes Ende ist ein kalter Ort. Mehr als die Hälfte des Jahres liegen die Temperaturen in der Gemeinde Mohe unterhalb des Gefrierpunkts; im Januar vor zwei Jahren wurden in dem Städtchen an der Grenze zu Russland minus 53 Grad gemessen, es war der niedrigste je in China aufgezeichnete Wert. Und dennoch liegt Mohe nicht nördlicher als Hamburg. Es ist also ein ordentliches Stück Weg vom nördlichsten Punkt Chinas bis zur Arktis.
Was die Regierung in Peking nicht davon abhält, das Land als arktische Macht zu bezeichnen. Die Volksrepublik sei ein „Arktis-naher Staat“, heißt es in einem Regierungspapier aus dem Jahr 2018. Zuvor hatte Staats- und Parteichef Xi Jinping sein Land als „polare Großmacht“ bezeichnet.
Seit der Klimawandel das Eis in der Arktis schmelzen lässt, zeigt die Volksrepublik zunehmend Interesse an der unwirtlichen Region im hohen Norden. Und was nicht passt, wird dann eben passend gemacht: „Geografisch gesehen“ sei China „einer der Kontinentalstaaten, die dem Polarkreis am nächsten liegen“, behauptet Peking in dem Papier von 2018, um die eigene Präsenz in der Arktis zu rechtfertigen.
Chinas Ambitionen in der Arktis: „Autonomie und Freiraum“
Nicht erst seit Donald Trump davon spricht, sich Grönland einzuverleiben, ist die Region ins Blickfeld der Weltmächte geraten. China geht es dabei vor allem um die Erschließung neuer Handelsrouten. Rund 35 Tage benötigt ein Containerschiff für die Strecke von Shanghai nach Hamburg auf der klassischen Route durch den Suezkanal. Über die Nordostpassage, entlang der russischen Arktisküste, geht es etwa doppelt so schnell.
Noch sind es nur einzelne Reedereien, die diese Route nutzen, unterwegs sind hier vor allem kleine Schiffe. Befahrbar ist die Strecke zudem nur in den Sommermonaten, und auch dann oftmals nur mithilfe russischer Eisbrecher. Wegen des fortschreitenden Klimawandels aber dürfte die Passage immer länger offen sein.
Nicht nur wegen der Zeitersparnis ist die Nordostpassage für China interessant. „Für Peking ist es wichtig, sich möglichst viel Autonomie und Freiraum zu schaffen“, sagt Asien-Expertin May-Britt Stumbaum von der Denkfabrik Spear Institute. Stumbaum verweist im Gespräch mit dem Münchner Merkur auf die Achillesferse des chinesischen Welthandels: die Straße von Malakka, weit weg von Arktis zwischen der Malaiischen Halbinsel und der Insel Sumatra gelegen. Fast alles chinesischen Schiffe, die Richtung Europa fahren, passieren diese Meerenge. „Peking hat die Sorge, dass die USA die Meerenge im Konfliktfall blockieren könnte“, sagt Stumbaum, etwa bei einem Krieg um Taiwan. Die Nordostpassage wäre eine mögliche Ausweichroute, Peking spricht von einer „polaren Seidenstraße“.
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China und Russland rücken in der Arktis enger zusammen
Und noch einen Effekt hat der Klimawandel: Das schmelzende Eis macht die Ausbeutung von Rohstoffen in der Region leichter. Vor allem im Boden der Insel Grönland liegen viele besonders seltene Ressourcen, auf die das rohstoffhungrige China bereits ein Auge geworfen hat.
Wer Chinas Arktis-Strategie liest, bekommt den Eindruck, Peking gehe es in der Region vor allem um Forschung. „Um die Arktis besser zu verstehen, wird China seine Kapazitäten und Fähigkeiten in der wissenschaftlichen Forschung über die Arktis verbessern“, heißt es dort etwa. Expertin Stumbaum will China seine wissenschaftlichen Interessen nicht absprechen, sagt aber auch: „Bei der Forschung in der Arktis geht es China oftmals auch um einen militärischen Nutzen.“ So habe China in der Region zuletzt beispielsweise zur Ortung von Kommunikationssignalen geforscht. „Das ist natürlich auch fürs Militär interessant.“
Manöver von China und Russland besorgt USA
Chinas arktische Ambitionen sind nicht neu, seit Ende der Neunziger zeigt Peking hier etwa mit dem Eisbrecher „Xue Long“ („Schneedrache“) Präsenz, 2003 eröffnete Peking auf Spitzbergen eine Forschungsstation. Neu aber ist, dass Peking in der Region zunehmend die Zusammenarbeit mit Russland sucht. Im vergangenen Herbst, pünktlich zum 75. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik, führte Chinas Küstenwache zusammen mit Russland erstmals ein Militärmanöver in der Region durch. Die Übung, an der vier Schiffe beteiligt waren, habe „die Fähigkeit der Schiffe zur Durchführung von Missionen in unbekannten Gewässern gründlich getestet“, teilte die chinesische Küstenwache anschließend mit.
Bis vor die Küste Alaskas waren die Schiffe vorgestoßen, sehr zum Ärger der US-Regierung. „Diese jüngsten Aktivitäten zeigen das wachsende Interesse unserer strategischen Konkurrenten an der Arktis“, sagte damals die US-Küstenwachen-Kommandantin Megan Dean über die Zusammenarbeit von China und Russland.
Ukraine-Krieg befördert Zusammenarbeit von China und Russland
Lange Zeit hatte Moskau die Chinesen auf Abstand gehalten, denn die Arktis ist aus Sicht des Kreml vor allem russisches Einflussgebiet. Schon alleine, weil etwa die Hälfte der arktischen Küste russisch ist. „Mit Beginn des Ukraine-Kriegs hat sich das geändert“, sagt Analystin Stumbaum. Russland sei jetzt angewiesen auf die – nicht nur diplomatische - Rückendeckung durch China und gewähre Peking im Gegenzug vermehrt Zugang zur Arktis. So kann China beispielsweise russische Häfen in der Region nutzen.
Auch im Arktischen Rat, dem acht Anrainerstaaten angehören, will sich China mit russischer Hilfe mehr Einfluss sichern. „China hat als Beobachter im Arktischen Rat ein Rede- und Vorschlagsrecht, aber kein Stimmrecht, was sein Handeln in der Arktis einschränkt. Die maritime Zusammenarbeit zwischen China und Russland hat diese Situation verändert“, analysiert der chinesische Marineexperte Yang Zhen von der Shanghai University of Political Science and Law. Russland wird so zum Werkzeug der chinesischen Arktis-Ambitionen – und der Ukraine-Krieg zum Glücksfall für Peking. Denn außer Russland hat China in der Region keine Fürsprecher. So seien Versuche der Chinesen, Grundstücke in Finnland, Seehäfen in Schweden oder Flughäfen auf Grönland zu erwerben, „allesamt gescheitert“, schreibt Michael Paul von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Peking werde dennoch weiter versuchen, seine Präsenz in der Arktis auszubauen, glaubt Analystin Stumbaum. Sie sagt: „Peking geht es darum, seinen Einflussbereich auf die ganze Welt auszudehnen.“