Kontroverse Live-Diskussion im Fernsehen um umstrittene Reichlinger Gasbohrung
Weil Reichlings Bürgermeister Johannes Hintersberger den Bayerischen Rundfunk (BR) nicht in die gemeindliche Mehrzweckhalle ließ und seine Teilnahme bei „Jetzt red i“ verweigerte, fand die Live-Sendung zum umstrittenen Erdgas-Projekt in Dießen statt.
Reichling – Ortswechsel in die Dießener Carl-Orff-Schule deshalb, weil das Gemeindegebiet ebenfalls zum „Claim“ zwischen Lech und Ammersee für eventuelle Gasbohrungen gehört. Rektor Michael Kramer ließ die Turnhalle zum Fernsehstudio umbauen und freute sich, dass Bayerns Wirtschafts- und Energieminister Hubert Aiwanger (FW) vor der Sendung eine halbe Stunde mit Schulkindern über „Energie und Umwelt an der COS“ diskutierte.
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Nicht so harmonisch ging es dann vor laufenden Kameras zu. Mit Lisa Badum (Grüne), Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende des Klima-Ausschusses, lieferte sich Aiwanger teils lebhafte Wortgefechte. So wunderte sich Badum, dass die Bayerische Staatsregierung einer Firma aus Kanada den „roten Teppich“ ausgerollt habe, wo man doch bis 2040 aus Kohle, Öl und Gas raus müsse. Selbst Bundes-Wirtschaftsminister Habeck habe gesagt, man hätte die Gasnotlage überwunden.
Unverständlich sei für Badum, dass Aiwanger die Genehmigung zur Reichlinger Probebohrung erteilt und ausdrücklich begrüßt habe. Obwohl die in Reichling eventuell in einem Jahr geförderte Gasmenge in Bayern gerademal für einen Tag reichen würde.
„Klimapolitischer Irrsinn“
Aiwanger konterte mit dem Bundesbergrecht, nach dem er die Genehmigung nicht verweigern dürfe, wenn alle Voraussetzung erfüllt seien. Wirtschaftsminister Habeck bräuchte nur das Gesetz zu ändern, und die Gasbohrungen wären vom Tisch. Im Übrigen sei der „Genexco“-Antrag 2022 inmitten der Gaskrise gestellt worden. Da habe Habeck „in arabischen Ländern vor Diktatoren den Bückling gemacht und um Gas gebettelt“.

Michael Hofmann (BP), Gemeinderat in Dießen und Gegner von Windkrafträdern, fand es „unanständig“, dass „wir 95 Prozent unseres Gases importieren müssen und ,Fracking-Gas‘ verheizen, anstatt unser eigenes Gas zu fördern“. Darum sei er für die Bohrungen und für die Versorgung aus der eigenen Region. Die Schule in Dießen und fast das ganze Ammersee-Westufer würden mit Gas beheizt, und auch für die Stromproduktion bräuchte man noch lange Gas.
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Gefahr für Umwelt und Trinkwasser
Für die Bürgerinitiative Reichling-Ludenhausen sprach Tanja Spindler-Kratzl über die möglichen Gefahren für Umwelt und Trinkwasser rund um das geplante Bohrgebiet. Besonders eine Gefahr für das Grundwasser befürchten die Bewohner, die dabei von diversen Naturschutzorganisationen unterstützt werden. Wie von Julika Schreiber vom Bund Naturschutz, die sich für ein „möglichst schnelles Raus aus Kohle, Öl und Gas“ aussprach. Es sei in diesen Zeiten ein „klimapolitischer Irrsinn“, nach Gas zu bohren.
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Sowohl Aiwanger wie auch Daniel Jürgensen, Geschäftsführer der „Genexco Gas GmbH“, betonten immer wieder, dass die Probebohrung in einem bestehenden 40 Jahre alten mit Stahl und Beton ausgekleideten Bohrloch stattfinden werde, also nicht neu gebohrt werde. Mit dem Grundwasser, das sich in 30 bis 60 Metern Tiefe befinde, gebe es laut Jürgensen keinerlei Berührung. Außerdem würden zwei Monitoring-Messstellen den Weg zur Entnahmestelle überwachen. Würde trotz aller Vorsichtsmaßnahmen ein Malheur passieren, bräuchte ein Schadstoff bei der Fließgeschwindigkeit zwei Jahre, um bei der Entnahmestelle anzukommen. In dieser Zeit könnte alles repariert werden.
Nitratgehalt im Trinkwasser
Ob er denn Leitungswasser aus der Nähe der aktiven Reichlinger Bohrstelle trinken würde, wurde Jürgensen provozierend von Moderator Tilmann Schöberl gefragt. „Natürlich“, war die Antwort, weil die Qualität des Wassers dann von den Behörden besonders intensiv geprüft werde. Aktuell hätte er eher Bedenken wegen des „schwierigen Nitratgehalts, wo man ein bisschen seiner eigenen Gülle trinkt“.
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Als Musterbeispiel für kommunale Klimapolitik wurde die Reichlinger Nachbar-Gemeinde Fuchstal genannt. Sie sei mit mittlerweile sieben Windrädern, Wärmespeicher, Batterie, Photovoltaik und Hackschnitzelheizung energieautark und erzeuge mehr Strom, als sie selbst verbrauchen könne. Der Erfolg beruhe auf der Bürgerbeteiligung und sei ein Beweis, dass sich Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit nicht widersprechen.
Das Schlusswort der BR-Live-Sendung hatte Dießens Bürgermeisterin Sandra Perzul. Sie sprach Badum und Aiwanger direkt an und forderte von der Politik in Berlin und München, die „Kommunen als Basis mitzunehmen und besser zu informieren“.