"Jedes Dorffest ist blutiger": Oktoberfest-Legende räumt gängiges Vorurteil weg

Er ist eine Legende auf dem Münchner Oktoberfest: der Wiesnschurli. Georg Mayrhofer hat seit 42 Jahren keinen Tag verpasst, wenn die bayerische Landeshauptstadt zum größten Volksfest der Welt lädt. Die Faszination dafür hat den Österreicher nie losgelassen.

Mayrhofer war 19 Jahre alt, als ihn ein Freund seines künftigen Schwiegervaters mit auf die Theresienwiese nahm. In dem Moment war für den heute 61-Jährigen klar: "Ich weiß nicht, wo das Paradies liegt. Aber ich bin nicht weit weg davon." Sofort habe er sich in die Atmosphäre verliebt und sei seitdem nicht davon weggekommen: "Ich habe gewusst: Das ist genau meins."

"Da hat sich für mich ein Lebenstraum erfüllt"

Für den Wiesnschurli haben sich seitdem die Höhepunkte aneinandergereiht: ein eigener Biertisch im Augustiner-Festzelt, der Platz auf der Weinzelt-Kutsche beim Einzug der Wiesnwirte. In diesem Jahr durfte Mayrhofer beim Platzkonzert der Wiesnwirte sogar den Taktstock schwingen. "Das kannst du dir nicht kaufen", betont er und untermauert die Bedeutung dieser Geste: "Da hat sich für mich ein Lebenstraum erfüllt." Ohne die ausdrückliche Einladung der Wiesnwirte wäre das nicht möglich gewesen.

Wiesnschurlis Oktoberfest-Plan
Wiesnschurlis Oktoberfest-Plan FOCUS online/Leonard F. Wohlfahrt

In den rund zwei Wochen Wiesn ist der Zeitplan für den Wiesnschurli klar abgesteckt: Der Tag beginnt an seinem Stammplatz im Augustiner-Festzelt und endet im Weinzelt. Dazwischen ist alles flexibel. "Ich wechsle das Zelt alle zwei bis drei Stunden", sagt er: "Ich bin mit allen Zelten verbunden." Die Örtlichkeit richtet sich auch nach seinem Zeitplan: Im Verlauf des Oktoberfests trifft der Schurli rund 350 Menschen. Für die Vermittlung der Tische nimmt er zehn Euro pro Person, die er an den Verein Lichtblickhof weiterleitet. "Mir sind Empathie und soziale Intelligenz sehr wichtig", sagt er. Die Arbeit des Vereins, der ein Kinderhospiz betreibt, verdiene auch ohne eigene Betroffenheit Aufmerksamkeit.

Wiesnschurli: "Jedes Dorffest ist blutiger"

Im sozialen Bereich findet Mayrhofer einen seiner wenigen Kritikpunkte am Oktoberfest. "Ich würde mich sehr freuen, wenn die Menschen mehr Respekt voreinander haben", sagt er. Jeder solle seiner Leidenschaft nachgehen, ohne andere damit zu nerven. Was sich in den 42 Jahren Oktoberfest sonst verändert hat? 

Vor drei Jahren hat der Wiesnschurli selbst einen radikalen Bruch eingeleitet. Seit dem 3. Oktober 2022 trinkt er keinen Alkohol mehr. "Ich habe genug getrunken in meinem Leben", sagt Mayrhofer. Ausschlaggebend sei die Geburt des Enkels gewesen. Seitdem erlebe er die Wiesn viel intensiver, und er könne das Erlebte besser reflektieren. Als gefährlich nimmt der Österreicher das Oktoberfest trotz so mancher Eskapade nicht wahr. "Für die Menge an Besuchern ist das nicht viel. Jedes Dorffest ist blutiger", sagt er.

Allzu viel hat sich aus Sicht den Wiesnschurli auf dem Oktoberfest deshalb auch nicht verändert. "Vor 42 Jahren gab es hier noch 34 Telefonzellen", erinnert er an ein Relikt. Zudem sehe er deutlich mehr Besucher in Trachten. Zudem habe sich die Qualität des Essens mit der Zeit weiterentwickelt.

Bekanntes Gesicht in Österreich

Gleichwohl wünscht er sich, dass sich die Mentalität auf der Theresienwiese ändert. "Miteinander statt gegeneinander", fasst Mayrhofer zusammen. Ohne die Ellbogenmentalität wäre mehr Platz für alle auf dem Gelände: "Empathie und soziale Intelligenz sind sehr wichtig."

Außerhalb des Oktoberfests hat der Wiesnschurli einen Handwerksbetrieb aufgebaut, der auf historische Parkettböden spezialisiert ist. Das Unternehmen mit elf Mitarbeitern hat er vor drei Jahren an seinen Sohn übergeben. Österreicher kennen ihn außerdem als Bundes-Innungsmeister der Bodenleger, Witzeerzähler und Wirt in einer Fernsehsendung. Auch bei seinen Bekannten hinterlässt Mayrhofer mit seinem vielfältigen Engagement bleibenden Eindruck. "Der Mann brennt für etwas. Was er macht, macht er mit Inbrunst", sagt Markus Brandstätter voller Hochachtung, als er auf dem Oktoberfest mit dem Wiesnschurli anstößt.