Theater, ein Brief und ein Deal: So wickelten die Europäer Trump um den Finger

Vor dem historischen Treffen mit Donald Trump im Weißen Haus hatten die europäischen Staats- und Regierungschefs das Schlimmste befürchtet: Der US-Präsident könnte seinen ukrainischen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj wie schon im Februar in den Senkel stellen, die Europäer sich ihrem Schicksal überlassen und letztlich voll die Linie des russischen Präsidenten Wladimir Putin vertreten. Bundeskanzler Friedrich Merz gab nach dem Treffen zu, er habe ein Scheitern der Gespräche nicht ausgeschlossen.

Die Angst der Europäer war nicht unbegründet: Nach dem Alaska-Gipfel von Trump und Putin hatten sich die USA in der Frage eines Waffenstillstands auf die russische Seite geschlagen. Angestachelt von schlechten Medienkritiken zu dem Gipfel und innenpolitischen Problemen feuerte Trump in den vergangenen Tagen unentwegt auf seinem sozialen Netzwerk Truth Social – ein verlässliches Anzeichen für schlechte Stimmung des Präsidenten.

Die Europäer bereiteten sich mit Selenskyj deshalb akribisch auf den Gipfel im Weißen Haus vor. Nichts sollte dem Zufall überlassen bleiben, um Trump nicht auf dem falschen Fuß zu erwischen. Das Ergebnis war eine fein orchestrierte, aber für Beobachter teilweise befremdliche Show. 

1. Selenskyj gibt sich im Gespräch mit Trump geläutert 

Das Treffen von Trump und Selenskyj im Februar eskalierte unter anderem deshalb, weil ein Reporter den ukrainischen Präsidenten damals auf seine Kleidung ansprach. Wie seit Kriegsbeginn üblich, war er in Pullover statt Anzug erschienen. Vor dem Gipfel am Montag war deshalb mit Spannung erwartet worden, was Selenskyj diesmal anziehen würde.

Er griff erneut zu einem komplett schwarzen Outfit und auch ein Anzug war es wieder nicht – aber doch eine formellere Jacke, die entfernt daran erinnert. Das kam gut an: "Ich kann es kaum glauben", sagte Trump, als er das Outfit begutachtete. "Ich liebe es. Sehen Sie sich das an." 

Als dann derselbe Reporter wieder auf die Kleidung zu sprechen kam, konterte Selenskyj gewitzt, er habe jetzt etwas anderes an, während der Reporter den gleichen Anzug wie beim vergangenen Mal trage.

Wolodymyr Selenskyj
Kein Anzug, aber immerhin eine Jacke mit Kragen: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kleidete sich etwas formeller als bei seinem vergangenen Besuch im Weißen Haus. Jacquelyn Martin/AP/dpa

Auch im direkten Gespräch mit Trump gab sich Selenskyj geläutert. Bei dem Austausch im Oval Office bedankte er sich zunächst beim US-Präsidenten für dessen Bemühungen. Eine Forderung, die Trumps Vizepräsident JD Vance im Februar erhoben hatte.

2. Selenskyj lenkt die Aufmerksamkeit geschickt auf den Krieg

Bei dem Auftakttreffen der beiden Staatschefs überreichte Selenskyj einen Brief seiner Frau an Trump – so wie es der US-Präsident mit einem Schreiben seiner Frau bei dem Treffen mit Putin gemacht hatte. Bei beiden ging es um von Russland verschleppte ukrainische Kinder. Die Briefübergabe Selenskyjs könnte man bloß als weitere Schmeichelei werten, doch es war mehr als das.

Der ukrainische Präsident lenkte mit dem Brief die so kostbare wie volatile Aufmerksamkeit Trumps auf die Grausamkeit der Russen. Immer wieder im Laufe des Gipfels fielen die Kinder als mahnendes Beispiel. Es ist nicht klar, ob Trump sich wirklich davon beeindrucken ließ – er konnte das Thema aber zumindest nicht kleinreden, hätte er sich dann doch gegen seine Frau gestellt.

3. Die Europäer spielen Theater – mit Merz in einer Sonderrolle

Als später die europäischen Staats- und Regierungschefs sowie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und Nato-Generalsekretär Mark Rutte hinzugebeten wurden, wurde schnell klar: Jeder am Tisch hat eine im Vorfeld genau besprochene Rolle. 

Trump schmeichelte zunächst jedem der Anwesenden – Merz wurde vom künstlich gebräunten Trump für seinen Teint gelobt – dann durften die Gäste ihre Position darlegen. Zum Beispiel Nato-Generalsekretär Rutte und Italiens Regierungschefin Giorgia Meloni nutzten ihre Redezeit, um Trump ausführlich zu danken und zu loben. Dem gefiel das sichtlich. 

Dann war Merz an der Reihe. Der Kanzler setzte einen anderen Ton: Die ersten Schritte seien getan, aber jetzt werde es schwierig. "Um ehrlich zu sein, wir würden gerne einen Waffenstillstand sehen." Spätestens ab dem nächsten Gipfel solle dieser gelten. 

Friedrich Merz
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sprach seine Forderungen an US-Präsident Donald Trump am klarsten an. Aaron Schwartz/PA Wire/dpa

Trump, der seinen "Freund" Merz für klare Worte schätzt, ließ das zwar inhaltlich an sich abperlen – mit einem Hinweis auf angeblich sechs Kriege, die er ganz ohne vorherigen Waffenstillstand beendet habe. Doch ein öffentlicher Kanzler-Rüffel blieb aus. Der orchestrierte Mix aus Lob und Forderungen schien funktioniert zu haben.

4. Trump bekommt einen Deal

Als die Spitzenpolitiker sich zu vertraulichen Gesprächen zurückgezogen hatten, machte nach einiger Zeit draußen die Meldung die Runde, dass die Ukraine von den USA Waffen im Wert von 100 Milliarden Dollar kaufen will. Dafür solle Selenskyj dann von Trump Sicherheitsgarantien nach einem Friedensschluss erhalten.

Mit diesem Geschäft durfte sich Trump ein weiteres Mal an diesem Tag als Gewinner fühlen. Selenskyj triggerte mit seinem Angebot nämlich gleich zwei wichtige Punkte: Zum einen den ganz persönlichen Geschäftssinn von Trump, zum anderen das Wohlwollen der MAGA-Bewegung, die sich eigentlich nicht in den Ukraine-Krieg einmischen will, aber den US-Präsidenten gewähren lässt, wenn der dabei etwas für die Vereinigten Staaten herausschlägt.

Ukraine-Gipfel war eine „Masterclass der Diplomatie“

Sinnbildlich dafür, wie es den Europäern mit einigen Verrenkungen gelungen ist, Trump bei Laune zu halten, war dann der Abschluss des Gipfels: Plötzlich wurden die Staatsgäste zu einem gemeinsamen Dinner geladen, das zuvor nicht auf der Agenda stand. Bei dem Alaska-Gipfel mit Putin war ein gemeinsames Essen der Präsidenten noch vorgesehen – wurde aber spontan abgesagt.

Die "New York Times" urteilte später, der Gipfel sei eine "Masterclass der Diplomatie" gewesen. Die Europäer hätten gelernt, wie man Trump "hofiert". Ob das nur einen weiteren Eklat im Weißen Haus verhindert hat oder auch ganz konkrete Ergebnisse zeitigt, wird sich allerdings erst noch zeigen müssen. Denn bei Trump gilt oft das Muster: Er ist inhaltlich bei dem, der ihn zuletzt getroffen hat. Nach dem Alaska-Gipfel am Freitag war das Putin, jetzt sind es die Europäer.