Milliarden-Sumpf rund um Cum-Ex-Skandal: Wieso Bundeskanzler Olaf Scholz heute wieder aussagen muss
Bundeskanzler Olaf Scholz wird heute zum dritten Mal als Zeuge vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zum Cum-Ex-Skandal aussagen müssen. Worum geht es?
Hamburg – Der Milliardenbetrug am deutschen Staat, bei dem es um einen der größten Steuerskandale Deutschlands geht, liegt eigentlich schon über ein Jahrzehnt zurück – restlos aufgeklärt ist er jedoch noch nicht. Heute muss Bundeskanzler Olaf Scholz zum dritten Mal rund um den sogenannten Cum-Ex-Skandal als Zeuge vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft aussagen. Die letzten beiden Male fiel er wegen seiner Erinnerungslücken auf. Doch worum geht es eigentlich und warum wurde Olaf Scholz geladen?
Milliarden-Betrug am deutschen Staat rund um Cum-Ex-Skandal
Der Sumpf sitzt tief und reicht weit zurück: Zwischen 2001 und 2016 wurde der deutsche Staat von Bankern, Anwälten, Investoren und Steuerberatern mithilfe von betrügerischen Steuertricks und Aktiengeschäften betrogen. Dem Staat entstand ein massiver finanzieller Schaden: Mindestens 10 Milliarden Euro durch das klassische Cum-Ex-Geschäft, sowie zusätzliche 20 Milliarden Euro durch verwandte Cum-Cum-Geschäfte, fasst Deutschlandfunk zusammen. Staatsanwaltschaften und Gerichte ermitteln in der Causa seit Jahren. Bei der juristischen Aufarbeitung geht es teils holprig zu: Erst im Frühjahr warf die Chefermittlerin hin, ließ dabei kein gutes Haar an der Politik.
Beim Cum-Ex-Betrug handeln Investoren und Banken mit Aktien so, dass Kapitalertragsteuern mehrfach vom Staat zurückgefordert werden. Der Kern dieser Geschäfte liegt im Handel von Aktien mit (cum) und ohne (ex) Dividendenanspruch. Während auf Dividenden für private Anleger eine Kapitalertragsteuer anfällt, können institutionelle Investoren diese Steuer zurückfordern. Finanz- und Aufsichtsbehörden konnten lange nicht nachvollziehen, wem die Aktien zu welchem Zeitpunkt gehörten, was den Betrug ermöglichte. So wurde der deutsche Staat um Milliarden betrogen.
Eine der Banken, die tief in den Skandal verstrickt ist, ist die Hamburger Privatbank M.M. Warburg, die im Jahr 2021 vom Bundesgerichtshof (BGH) über ein bestätigtes Urteil verpflichtet wurde, über 176 Millionen Euro an die Staatskasse zurückzuzahlen. Besonders bemerkenswert ist ein Rückblick ins Jahr 2016: Damals forderte das Hamburger Finanzamt für Großunternehmen 47 Millionen Euro von der Bank zurück, die aus den illegalen Finanzgeschäften stammten. Doch die Hamburger Finanzverwaltung revidierte überraschend diese Entscheidung, wodurch die Bank das Geld vorerst behalten konnte. Nun steht im Fokus, wie es zu diesem Sinneswandel kommen konnte – Gab es politische Einmischung?
Politische Einflussnahme? Wieso Bundeskanzler Olaf Scholz aussagen vorm U-Ausschuss aussagen muss
Das Finanzamt berief sich laut Tagesschau damals auf juristische Risiken. Doch später tauchten Tagebucheinträge von Bank-Miteigentümer Christian Olearius auf, der sich im betreffenden Zeitraum dreimal mit Scholz traf. In den Einträgen schreibt er, dass SPD-Politiker Johannes Kahrs und der frühere SPD-Innensenator Alfons Pawelczyk ihm Hilfe zugesagt hätten. Laut Olearius soll es bei den Treffen mit Scholz auch um Cum-Ex gegangen sein. Doch der Bundeskanzler gibt an, sich nicht an die Inhalte der Gespräche erinnern zu können. Er räumte zwar zunächst ein Treffen ein, kann sich später daran nicht mehr erinnern, eine politische Einflussnahme schließt er jedenfalls aus. Seine „Erinnerungslücken“ überzeugen Experten jedoch nicht.
Status Quo: Gegen Olaf Scholz und den damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher laufen keine Ermittlungen. Gegen den ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Johannes Kahrs, den früheren Finanzsenator Pawelczyk und eine Warburg-Bank-Finanzbeamtin wird wegen des Verdachts der Begünstigung ermittelt. Alle Beteiligten bestreiten politische Einflussnahme, und die Warburg-Bank selbst erklärte, es habe keine unzulässige Einflussnahme gegeben. Interessant ist jedenfalls ein WhatsApp-Chatverlauf der Finanzbeamtin am Tag der umstrittenen Entscheidung zugunsten der Warburg-Bank. Sie schrieb an eine Freundin, dass ihr teuflischer Plan aufgegangen sei. Außerdem entdeckten Ermittler auffällige Lücken in den E-Mails der Hamburger Steuerverwaltung, was auf gelöschte Nachrichten hinweisen könnte – die Finanzbehörde bestreitet das.
Keine Beweise, offene Fragen: U-Ausschuss will klären, ob es zur politischen Einflussnahme gekommen ist
Es gibt keine stichfesten Beweise für eine Einflussnahme, doch offene Fragen bleiben. So rief Olaf Scholz am 9. November 2016 Warburg-Miteigentümer Christian Olearius an. Laut dessen Tagebuch soll Scholz empfohlen haben, eine Verteidigungsschrift der Bank an Finanzsenator Peter Tschentscher ‚kommentarlos‘ weiterzuleiten. Olearius tat genau dies, Tschentscher gab das Dokument an die Finanzbeamten weiter. Kurz danach entschied die Behörde überraschend, auf die Rückforderung des Cum-Ex-Geldes zu verzichten. Scholz selbst gibt an, sich an den Inhalt des Gesprächs nicht zu erinnern. Jedenfalls entschieden sich die Beamten laut Tagesschau wenig später dafür, auf das Cum-Ex-Geld zu verzichten.
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Am 6. Dezember wird Scholz um 13.30 Uhr zum nunmehr dritten Mal als Zeuge vor dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss der Hamburgischen Bürgerschaft aussagen. Dieses Mal geht es nicht um die Hamburger Warburg Bank, sondern um die ehemals staatliche HSH Nordbank, die zwischen 2008 und 2011 in 29 Fällen Kapitalertragssteuern erstattet bekommen hat, die eigentlich nie gezahlt worden waren. Aufgedeckt wurde dies bei einer Untersuchung der Wirtschaftskanzlei Clifford Chance, die von der Bank selbst in Auftrag gegeben wurde. Die Bank meldete die Fälle der Staatsanwaltschaft und zahlte 2014 rund 126 Millionen Euro an die Steuerbehörden zurück. 2018 wurde die HSH Nordbank aufgrund einer Anweisung der EU-Kommission an US-Investoren verkauft und in Hamburg Commercial Bank (HCOB) umbenannt.
Cum-Ex-Affäre spaltet die Parteien: SPD und Grüne halten zu Scholz
Die HSH-Affäre könnte für Olaf Scholz insofern problematisch werden, da er als Erster Bürgermeister von Hamburg während der Vorgänge, die zur Cum-Ex-Affäre führten, in die Verkaufsverhandlungen der Bank involviert war. Hamburg hätte als Mit-Eigentümerin ein Interesse daran haben können, die Bank zu einem möglichst hohen Preis zu verkaufen – ein Cum-Ex-Skandal wäre daher ungünstig gewesen. Der damalige Finanzsenator und heutige Erste Bürgermeister, Peter Tschentscher, könnte ebenfalls eine wichtige Rolle bei den Ermittlungen spielen.
Worum es bei der Befragung von Olaf Scholz im U-Ausschuss heute geht, fasst SPD-Obmann Milan Pein in einem Interview mit dem Spiegel zusammen: „Bei seinen Auftritten 2021 und 2022 ging es um illegale Cum-ex-Geschäfte der Warburg Bank. Diesmal werden wir ihn zur vormaligen HSH Nordbank befragen, die als landeseigene Bank tief in Cum-Ex verstrickt war. Sie hat das bereits Anfang 2014 eingeräumt. Uns interessiert, wie Olaf Scholz davon erfahren hat und welche Schlüsse er daraus gezogen hat“. Er verteidigt im Interview auch die Erinnerungslücken des Kanzlers: „Olaf Scholz hat gesagt, er habe an die Treffen keine persönliche Erinnerung. Es gibt für mich keinen Anlass, daran zu zweifeln“.