Gastbeitrag von Gabor Steingart - Fünf Punkte beweisen, dass Friedenskanzler Scholz ein Mitläufer und kein Anführer ist
Die gute Nachricht vorneweg: 27 Monate nach dem Überfall der russischen Truppen auf die Ukraine hat die Deutsche Bundesregierung von Entschleunigung auf Gegenwehr umgeschaltet. Nun akzeptiert auch Olaf Scholz, dass ein Krieg nicht aus dem Homeoffice geführt werden kann.
Die Zeit der amputierten Kriegsführung wird beendet. Kiew darf deutsche Waffen künftig auch gegen Ziele auf russischem Staatsgebiet einsetzen.
Der Vorteil: So lassen sich russische Angriffe auf die Stadt Charkiw abwehren, die bisher für den Angreifer gefahrlos aus dem russischen Grenzgebiet geführt wurden. „Die Schlacht wird zum Feinde getragen“, um hier das Diktum des ehemaligen US-Vizepräsidenten Dick Cheney zu benutzen.
Warum das wichtig ist: Die russische Front rollt und die Restriktionen der internationalen Gemeinschaft und insbesondere der Deutschen ermöglichten keine Schubumkehr. Über 50.000 Soldaten sind auf ukrainischer Seite mittlerweile gestorben, meldet die BBC. Rund 20 Prozent des ukrainischen Territoriums hält Russland besetzt, schätzt die ehemalige Nato-Strategin Dr. Stefanie Babst.
Die Rolle des deutschen Kanzlers war bisher keine ruhmreiche. In vielfacher Hinsicht hat er den Beweis geliefert, dass er ein Mitläufer und kein Anführer ist, dass er eine Politik betreibt, die man nur als opportunistisch, aber eben nicht als strategisch weitsichtig bezeichnen kann.
#1 Frühe Festlegung: Keine Waffen aus Deutschland
100.000 russische Soldaten hatte Putin für den Überfall auf die Ukraine an der Grenze aufmarschieren lassen. Die damalige Verteidigungsministerin Christine Lambrecht schickte zur Unterstützung 5.000 Helme an die ukrainische Armee. Sie nannte das ein „ganz deutliches Signal“.
Olaf Scholz blieb zunächst dabei, keine schweren deutschen Waffen in die Ukraine zu liefern. Deutschland, so der Kanzler, dürfe nicht Kriegspartei werden. Scholz fürchtete, der Zorn Putins könnte ihn und sein Land treffen. Er wirkte eingeschüchtert:
„Es darf keinen Atomkrieg geben.“
Ende April 2022 folgt die Korrektur. Der Bundestag stimmte für die Lieferung von schweren Waffen. Der Kanzler versuchte im Tagesthemen-Interview, den Schwenk nicht als Schwenk aussehen zu lassen:
„ Wir liefern, wir haben geliefert und wir werden liefern.“
#2 Sieg der Ukraine: Kein Ziel deutscher Außenpolitik
Olaf Scholz war, trotz ständiger Nachfragen von Reportern, nicht bereit zu sagen, dass der Krieg gewonnen werden müsste. Er dürfe nicht verloren gehen, sagte er. In seiner Regierungserklärung im Sommer 2022 klang das so:
„Uns alle eint ein Ziel: Russland darf diesen Krieg nicht gewinnen. Die Ukraine muss bestehen.“
Aber das ist eben nicht dasselbe, ob man einen Krieg gewinnen oder nur nicht verlieren will. Das Ambitionsniveau des deutschen Regierungschefs blieb hinter den Erfordernissen einer erfolgreichen Kriegsführung zurück.
#3 Zeitenwende: Das richtige Wort und die falsche Politik
In seiner am 27. Februar 2022 gehaltenen Rede vor dem Bundestag stand das Wort „Zeitenwende“ nicht für eine gemeinsame militärische Kraftanstrengung zum Zurückschlagen des Feindes. Scholz hielt vielmehr eine Rede zur Aufrüstung der Bundeswehr für den nächsten Konflikt:
„ Das ist eine große nationale Kraftanstrengung. Das Ziel ist eine leistungsfähige, hochmoderne, fortschrittliche Bundeswehr, die uns zuverlässig schützt.“
Die Einrichtung eines kreditfinanzierten Sondervermögens und die Aufrüstung gemäß den Regularien des bundesdeutschen Beschaffungswesens waren also nicht als Akuthilfe für die Ukraine gedacht, sondern als Tätigkeitsnachweis für das heimische Publikum. Putin konnte sich nach dieser Rede wieder schlafen legen.
#4 Scholz als abhängig Beschäftigter des amerikanischen Präsidenten
Alle Etappen auf dem Weg zur jetzigen Entscheidung, auch russische Ziele jenseits der Grenze attackieren zu dürfen, hatte der amerikanische Präsident vor Scholz angesteuert. Ohne die Positionswechsel von Joe Biden würde es den heutigen Olaf Scholz nicht geben.
Die „strategische Souveränität“ Europas, von der der französische Präsident spricht, hat Scholz nie verkörpert und noch nicht mal angestrebt.
Nachdem die USA ihr Einverständnis erklärt hatten, gab auch Scholz die deutschen Waffen für den Einsatz innerhalb der russischen Gebiete frei, sobald diese als Munitionsdepot und Aufmarschgebiet genutzt würden. Es sei „das völkerrechtlich verbriefte Recht der Ukraine, sich gegen diese Angriffe zu wehren“, heißt es nun in einer schriftlichen Erklärung aus dem Kanzleramt.
Anders als unter SPD-Kanzler Willy Brandt, Architekt der Entspannungspolitik, und anders auch als unter Gerhard Schröder, der eine europäische Allianz gegen den US-Krieg im Irak schmiedete, ging von Scholz keine internationale Initiative aus. Seine beiden SPD-Vorgänger vertraten deutsche Interessen – oft auch gegen die USA.
Scholz wirkt dagegen wie der Generalkonsul des Weißen Hauses. Bewusst positionierte er die Bundesrepublik („Deutsche Alleingänge wären falsch.“) als 51. Bundesstaat der USA.
#5 Brüskierung des französischen Präsidenten
Obwohl die Bundesrepublik in Euro gemessen mehr Hilfeleistung erbringt als die Franzosen, wies Scholz die Beteiligung an einer effektiven Luftabwehr über den Städten und Dörfern der Ukraine von sich.
Selbst als der französische Präsident neben ihm stand und eine Papierkarte vom Frontverlauf entfaltete, um damit auf die Dringlichkeit der Verwendung westlicher Waffen auf russischem Territorium hinzuweisen, blieb Scholz unbeeindruckt und reagierte mit versteinerter Miene.
Nun also die Kehrtwende, die Scholz am Wochenende in Leipzig als Kontinuität zu verkaufen suchte. Er handele mit Besonnenheit und so auch jetzt „genau entlang dieser Linie“.
Fazit: Alle seine Positionen hat Scholz mittlerweile geräumt – erst gab es keine, dann leichte, schließlich auch schwere Waffen und nun gibt er den Beschuss russischen Territoriums frei. Dieser letzte Schritt ist angesichts der für den Westen insgesamt bedrohlichen Kriegssituation richtig, aber nach allen vorherigen Scholz-Festlegungen nicht folgerichtig.
Auch ein wünschenswerter Opportunismus bleibt Opportunismus. Oder zugespitzter formuliert: Jeder Joghurt besitzt ein höheres Haltbarkeitsdatum als die Aussagen von Olaf Scholz.