Expertin erklärt: Darum hat die Wahl in Taiwan auch für uns Konsequenzen
Bei der Präsidentschaftswahl am Samstag stimmt Taiwan auch über die Beziehung zu China ab. Warum das Deutschland vor „gewaltige Herausforderungen“ stellen könnte, erklärt eine Asien-Expertin im Interview.
Am Samstag wählen die Taiwaner einen Nachfolger für ihre scheidende Präsidentin Tsai Ing-wen. Als Favorit geht Tsais Vize ins Rennen, Lai Ching-te von der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei. Auch Hou Yu-ih von der oppositionelle Kuomintang hat gute Chancen, Umfragen sehen ihn nur wenige Prozentpunkte hinter Lai. Die Wahl ist auch eine Abstimmung über das Verhältnis zwischen dem demokratischen Taiwan und der kommunistischen Volksrepublik China, die den Inselstaat als abtrünnige Provinz betrachtet. Im Interview erklärt Asien-Expertin May-Britt Stumbaum, warum die Wahl in Taiwan weltweite Auswirkungen haben könnte. Stumbaum ist Direktorin des SPEAR Instituts und Associate Fellow am CISS Munich der Universität der Bundeswehr.
Frau Stumbaum, Taiwan hat weniger als 24 Millionen Einwohner und liegt gefühlt sehr weit weg. Warum sollte es uns dennoch interessieren, wer dort am kommenden Samstag zum Präsidenten gewählt wird?
Der Ausgang der Wahl hat auch für uns ganz direkte Konsequenzen. Und das liegt vor allem an China: Die Regierung in Peking hat mehrfach gesagt, dass sich die Gefahr eines Krieges mit Taiwan enorm erhöhen wird, wenn die Taiwaner den Kandidaten der Regierungspartei wählen. Und wenn es zum Krieg kommt, dann werden die Amerikaner auf der Seite der Taiwaner eingreifen. Das wiederum stellt uns hier in Deutschland vor zwei gewaltige Herausforderungen.
Nämlich?
Die eine Herausforderung ist wirtschaftlicher Art. Durch die Taiwanstraße gehen über 50 Prozent des weltweiten Seehandels und 90 Prozent der großen Containerschiffe. Bei einem Konflikt würde dieser Handel zum Erliegen kommen, ebenso wie übrigens auch die Halbleiter-Produktion in Taiwan. Das Land stellt weltweit den Großteil der fortschrittlichsten Halbleiter her, und wenn diese nicht mehr gefertigt werden können, dann wird auch bei uns die Produktion vieler Güter heftig gestört.
„China wird weiter Druck auf Taiwan ausüben, sich der Volksrepublik anzuschließen“
Und die zweite Herausforderung?
Das andere ist, dass uns die Amerikaner um Unterstützung bitten werden. Sie werden fordern, dass wir uns an Sanktionen gegen China beteiligen – also gegen unseren wichtigsten Handelspartner. Und sie werden in der Ukraine weniger aktiv sein können, was bedeutet, dass wir uns dort noch mehr engagieren müssen.
Also sollten wir auf einen Sieg des eher China-freundlichen Oppositions-Kandidaten Hou Yu-ih hoffen?
China würde einen Sieg von Hou zunächst begrüßen. Am Ziel der Chinesen – einer Wiedervereinigung mit Taiwan – wird sich aber nichts ändern. Die Situation mag sich kurzfristig entspannen; langfristig aber wird China weiter Druck auf Taiwan ausüben, sich der Volksrepublik anzuschließen.
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Die letzten Umfragen sehen ohnehin den Kandidaten der Regierungspartei vorne, Lai Ching-te. Für China ist Lai ein „Separatist“, der das Land formell für unabhängig von China erklären will.
Wir haben in den vergangenen Wochen gesehen, dass China eine Wahl von Lai verhindern will. Durch Desinformationskampagnen und durch militärische Einschüchterungsversuche – immer wieder etwa dringen Kampfjets in Taiwans Luftverteidigungszone ein. Sollte Lai gewählt werden, wird China den Druck weiter erhöhen und die Wahl von Lai als Rechtfertigung nutzen, etwa für Militärmanöver. So wie 2022, beim Besuch von Nancy Pelosi in Taiwan. Peking wird eine neue Normalität schaffen, um den Druck auf die taiwanische Bevölkerung stetig weiter zu erhöhen und das Land quasi von innen auszuhöhlen und zu destabilisieren. China wird Taiwan immer weiter an die Wand drücken, bis kurz vor den Punkt, an dem die USA einschreiten würden.
„Die Amerikaner haben ein ganz klares strategisches Interesse an Taiwan“
Was macht Sie so sicher, dass die USA tatsächlich in einen eskalierenden Konflikt zwischen China und Taiwan eingreifen würden?
Die Amerikaner haben, genauso wie die Chinesen, ein ganz klares strategisches Interesse an Taiwan. Einerseits wegen der erwähnten Halbleiter. Joe Biden hat bereits im März 2021 gesagt, dass sich derzeit entscheidet, wie die Welt von morgen aussehen wird. Und das hat vor allem auch damit zu tun, wer führend ist in Bereichen wie Quantencomputer und Künstlicher Intelligenz – also in Bereichen, für die Mikrochips aus Taiwan entscheidend sind. Außerdem ist Taiwan aufgrund seiner Geografie von herausragender Bedeutung.
Wie meinen Sie das?
Bislang ist es so: Chinesische U-Boote sind vor allem vor der Insel Hainan stationiert, und dort ist das Wasser sehr flach. Die U-Boote können also nicht untertauchen, ohne von den Amerikanern entdeckt zu werden. Vor der Ostküste Taiwans hingegen fällt die Küste sehr steil ins Meer ab, U-Boote können dort abtauchen und unentdeckt erst wieder viel später, vor der Westküste der USA, an die Oberfläche kommen. Für die USA wäre das ein zweites Pearl Habor. Und genau das wollen die Amerikaner verhindern.
Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping sagt immer wieder, dass die Taiwan-Frage möglichst friedlich gelöst werden solle.
Auch die Kommunistische Partei Chinas hat kein wirkliches Interesse, militärisch einzugreifen. Denn sie weiß, dass das sehr blutig werden könnte. Man sieht derzeit, dass sich die Chinesen bei militärischen Einsätzen stark zurückhalten. So beteiligt sich Peking zum Beispiel nicht an den Patrouillen der Amerikaner, die die Angriffe der Huthi-Rebellen auf Handelsschiffe im Roten Meer beenden sollen. Ich glaube, China hält sich da raus, weil sie sehr wenig operationelle Erfahrung haben und die Gefahr sehr groß ist, dass sie sich blamieren. China arbeitet noch immer sehr stark mit dem Mittel der Täuschung: Niemand soll wissen, wie stark das chinesische Militär wirklich ist. Aber das würde nicht mehr funktionieren, wenn China sich an Einsätzen beteiligt und seine Schwächen offen zeigt.
„Ich sehe die Gefahr, dass sich China selbst überschätzt“
Vor allem in den USA gibt es Stimmen, die glauben, dass Chinas Volksbefreiungsarmee schon 2027, also zum 100. Jahrestag ihrer Gründung, für einen Angriff auf Taiwan bereit sein wird. Auch Xi Jinping sagt, dass die Armee in drei Jahren Weltklasseniveau erreicht haben wird.
Ich bin mir nicht sicher, ob Xi Jinping wirklich weiß, auf welchem Niveau seine Armee wirklich ist. Er hat sich mit lauter Loyalisten umgeben, die ihm nach dem Mund reden. Und ich sehe die Gefahr, dass sich China selbst überschätzt, dass Xi wirklich der Meinung ist, der Westen sei auf dem absteigenden Ast. Bei seinem letzten Besuch in Moskau hat er zu Putin gesagt: „Im Moment gibt es Veränderungen, wie wir sie seit 100 Jahren nicht mehr gesehen haben, und wir sind es, die dieser Veränderungen gemeinsam vorantreiben.“ Wenn Xi das wirklich glaubt, dann sieht er vielleicht ein Möglichkeitsfenster, also dass jetzt der Zeitpunkt da ist, Taiwan anzugreifen.
Hinzu kommt, dass in diesem Jahr auch in den USA gewählt wird.
Genau. Ob Donald Trump wiedergewählt wird oder nicht, 2025 tritt in den USA eine neue Regierung an, und das Land könnte destabilisiert werden – und dann könnte Xi Ernst machen. Er könnte sagen: Gut, unser Militär mag vielleicht noch nicht so weit sein. Aber wir sind immerhin zahlenmäßig überlegen. So macht das ja auch Russland in der Ukraine: Die schicken einfach immer noch mehr Menschen in diesen Krieg. Und auch wenn sie nur alte Panzer haben – egal. Dafür haben sie mehr davon als die Ukraine. Ich sehe durchaus die Gefahr, dass China ähnlich denkt. Und dann eskaliert der Konflikt sogar schon vor 2027.