Reaktionen auf Eskalation - Ukrainer feiern Selenskyj für Widerstand gegen „Putins Hündchen“ Trump: „Ein großes Plus“

Das Treffen zwischen US-Präsident Donald Trump und seinem ukrainischen Amtskollegen im Weißen Haus endete mit einem Eklat. Trump und sein Vize Vance überzogen den Gast mit Vorwürfen. Das Treffen endete früher als geplant. Ukrainische Intellektuelle und Politologen sehen den Frieden in weite Ferne gerückt. Die europäischen Verbündeten werden mit einem Mal wieder wichtiger.

„Wie gut das Treffen im Weißen Haus begann, und wie laut und kontrovers es endete. Das ist nicht mehr nur eine Achterbahnfahrt, sondern eine Krise, sowohl in der Beziehung zwischen Selenskyj und Trump als auch auf zwischenstaatlicher Ebene“, analysiert der ukrainische Politikwissenschaftler Wolodymyr Fesenko.

„Ein großes Plus“: Jetzt sind „die Dinge ins rechte Licht gerückt“

Ich habe so etwas bei den bevorstehenden Friedensgesprächen erwartet, aber es ist schon viel früher passiert“, schreibt der Vorstandsvorsitzende des Kiewer Penta-Zentrums für angewandte politische Studien auf seiner Facebook-Seite. Dass es so weit kommt, sei „unvermeidlich“ gewesen.

Nun müsse man „über die Konsequenzen nachdenken“ und wie „wir die negativen Auswirkungen der Ereignisse auf Seiten der Vereinigten Staaten minimieren können“, schreibt Fesenko weiter. An einen baldigen Start von Verhandlungen glaubt er nicht: „Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Frage der Friedensgespräche für einige Zeit abgeschlossen sein wird.“

Der ukrainische Politologe Oleksiy Holobutskiy sieht in der Eskalation im Weißen Haus „ein großes Plus“. Dadurch seien „die Dinge ins rechte Licht gerückt“ worden, schreibt er ebenfalls auf Facebook. Ohne Trump wäre das nicht möglich gewesen, da die konventionelle internationale Diplomatie keine eindeutige Positionierung in Konfliktsituationen vorsehe.

„Europa hat jetzt mehr Möglichkeiten, sich eigenständig global zu positionieren“

„Europa hat jetzt mehr Möglichkeiten, sich eigenständig global zu positionieren, vor allem im Sicherheitsbereich“, schreibt der stellvertretende Direktor des Thinktanks „Agency for Modeling Situations“. Europa habe nun zudem „weniger Verpflichtungen, etwaigen US-Forderungen nachzukommen“ und könne nun selber „lukrative Investitionsprojekte“ in der Ukraine forcieren.

Und auch die Ukraine müsse sich „neu auf Europa ausrichten, sei es bei Verhandlungen, bei der Verteidigung oder beim Wiederaufbau“, fordert Holobutskiy „Jetzt ‚können‘ wir nicht mehr, sondern ‚müssen‘ dies tun, und zwar so schnell wie möglich.“

 „Also werden wir uns irgendwie weiter durchschlagen“

„Was den Krieg betrifft (...) hat sich für uns nichts geändert“, analysiert der Politologe. „Drei Jahre lang hielten uns die USA am Rande des Sauerstoffmangels oder sogar etwas darüber hinaus.“ Die Ukraine habe lernen müssen, ohne US-Hilfe auszukommen beziehungsweise sich ganz auf sie zu verlassen. „Also werden wir uns irgendwie weiter durchschlagen.“

Olga Tokariuk, Ukraine-Expertin beim britischen Thinktank Chatham House, kritisierte, Trump habe sich „auf die Seite des Angreifers gestellt“. 

Auf X schrieb sie weiter: „Es war eine totale Einschüchterungstaktik des US-Präsidenten und des Vizepräsidenten. Das ist keine Diplomatie. Das ist keine Neutralität. Das ist eine Parteinahme für den Aggressor und der Versuch, das Opfer fertigzumachen.“

„Ein zynischer und professioneller Showman

„Trump hat wieder einmal bewiesen, dass er in erster Linie ein zynischer und professioneller Showman ist“, schreibt der ukrainische Politologe Taras Berezovets auf Facebook.

„Was wir im Weißen Haus von Trump und Vance gesehen haben, war keine improvisierte Vorstellung. Es war ein kalt und professionell inszenierter Auftritt, der darauf abzielte, den ukrainischen Präsidenten zu emotionalisieren und das Scheitern der Verhandlungen zu rechtfertigen“, ist sich Berezovets sicher, der Major der 1. separaten Brigade der Spezialkräfte ist. Dennoch müsse die Ukraine weiter den Dialog suchen.

Auch Vitaliy Deinega sieht in der Eskalation im Weißen Haus eine Inszenierung. Selenskyj sei aber „nicht in die Falle getappt“, schreibt der Aktivist und Gründer von „Ukrainische Zeugen“ auf Facebook. Das Medienprojekt will laut eigener Aussage, „der Welt die Realität des Krieges zu zeigen, der unser Land heimgesucht hat“.

„Ich habe mich heute weder für den Präsidenten noch für das Land geschämt. Ich bin nicht sicher, ob die Amerikaner dasselbe sagen können“, schreibt er weiter.

„Trump und Putin agieren im Tandem wie Banditen aus den 90er Jahren. Aber Selenskyj hat nicht nachgegeben

Der Ukraine stehe nun aber eine „harte Zeit“ bevor, die „wir wieder mit unserem eigenen Land und Blut für die Gier, Feigheit und Schwäche anderer bezahlen“. An eine militärische Niederlage glaubt er dennoch nicht. „Europa und der Rest der Welt werden uns zumindest in irgendeiner Weise helfen.“ Große Hoffnung setzt er in modernere Waffensysteme.

Der ukrainische Präsident habe sich im Weißen Haus absolut richtig verhalten, schreibt der politische Analyst Oleg Ponomar in einem Kommentar für die Boulevardzeitung „Fakty”. 

Selenskyj wehrte sich gegen „Putins Hündchen“ Trump

„Trump und Putin agieren im Tandem wie Banditen aus den 90er Jahren. (...) Aber Selenskyj hat nicht nachgegeben – er hat Trump verärgert.”

Dem politischen Analysten zufolge verteidigte Selenskyj entschlossen die Interessen des Landes, das einer Aggression ausgesetzt war, ließ sich nicht zügeln und demütigte vor der ganzen Welt „Putins Hündchen“ Trump. Auch er setzt nun große Hoffnung in die europäischen Verbündeten.

Von Yulia Valova, Daniel Krause, Felix Kiefer

Das Original zu diesem Beitrag "„Putins Hündchen“: Ukrainische Politologen analysieren den Eklat im Weißen Haus" stammt von Tagesspiegel.