Heftiger Streit in Washington - Den Tiefpunkt der Demütigungen im Weißen Haus erlebt Selenskyj von einem US-Reporter

Wahnsinn. Anders kann man es kaum beschreiben, was sich am Freitag im Weißen Haus zwischen US-Präsident Donald Trump und seinem Gast, dem ukrainischen Staatschef Wolodymyr Selenskyj, abspielte.

Eigentlich war geplant gewesen, dass die beiden Politiker einen Deal über die gemeinsame Nutzung ukrainischer Rohstoffe unterzeichnen würden, im Gegenzug für amerikanische Militärhilfe an das von Russland angegriffene Land. Doch dazu kam es nicht.

Nach nicht mal 50 Minuten endete Selenskyjs Besuch – und zwar nach einem beispiellosen Streit vor laufender Kamera und Dutzenden Journalistinnen und Journalisten.

Um 13.40 Uhr Ortszeit kam der ukrainische Präsident aus dem Westflügel und stieg in eine schwarze Limousine. Fragen beantwortete er keine mehr, auch eine eigentlich geplante Pressekonferenz wurde eilig abgesagt. Peter Baker, Korrespondent für die US-Zeitung „New York Times“ im Weißen Haus erklärte, etwas Vergleichbares habe er in seiner ganzen Karriere im Oval Office noch nie erlebt.

Trump wütete derweil schon in den sozialen Medien. Selenskyj sei ganz offensichtlich nicht bereit für Verhandlungen und habe „die Vereinigten Staaten von Amerika in ihrem geschätzten Oval Office nicht respektiert“, schrieb er auf seiner Plattform Truth Social. „Er kann zurückkommen, wenn er für den Frieden bereit ist“, fügte er patzig hinzu. Was für ein Eklat!

Wie das Treffen aus dem Ruder geriet

Aber von Anfang an: Eigentlich hatte alles ganz zivilisiert angefangen, wenn auch in angespannter Atmosphäre. Immerhin hatte Trump in den vergangenen Wochen über die Köpfe der Ukrainer hinweg mit der russischen Seite und Wladimir Putin persönlich über ein mögliches Kriegsende verhandelt. Er hatte Selenskyj eine Mitschuld am russischen Angriffskrieg gegeben und seinen ukrainischen Amtskollegen sogar einen „Diktator“ genannt.

Dennoch machten zunächst sowohl Selenskyj als auch Trump noch gute Miene zum bösen Spiel – schließlich setzten sie beide Hoffnungen in das Treffen. Trump in den von ihm gewünschten Rohstoffdeal und Selenskyj in Sicherheitsgarantien für sein Land, die er sich von den USA erhofft.

Und genau an diesem Punkt eskalierte es. Es sei wichtig für die Ukraine, dass sie Garantien dafür bekomme, dass Russland im Falle eines Waffenstillstands nicht erneut angreifen könne, betonte Selenskyj, als er im Weißen Haus neben Trump Platz genommen hatte. Schon das reichte, damit Trumps Vize J.D. Vance, der ebenfalls anwesend war, der Kragen platzte.

"Was Sie tun, ist sehr respektlos gegenüber diesem Land" Donald Trump

„Ich finde es respektlos von Ihnen, ins Oval Office zu kommen und zu versuchen, diese Angelegenheit vor den amerikanischen Medien zu verhandeln“, fuhr Vance Selenskyj an. „Sie sollten dem Präsidenten dafür danken, dass er versucht hat, diesen Konflikt zu beenden.”

Als Selenskyj daraufhin einwarf, dass Vance sich ja noch nie selbst in der Ukraine ein Bild von der Lage gemacht habe, polterte dieser zurück, dass er dort ja ohnehin nur eine „Propagandatour“ geboten bekäme.

Beispiellose Demütigungen in Washington

Wenige Minuten später – Selenskyj hatte gerade erwähnt, dass auch die USA große Probleme hätten, wenn ein anderes Land sie angreifen würde – wies ihn Trump wie einen Schuljungen zurecht.

„Sagen Sie uns nicht, was wir dann fühlen werden. Wir versuchen, ein Problem zu lösen. Sagen Sie uns nicht, was wir fühlen werden.“ Und an einer anderen Stelle: „Sie riskieren einen Dritten Weltkrieg (...) Was Sie tun, ist sehr respektlos gegenüber diesem Land, das Sie weit mehr unterstützt hat, als viele Leute es für richtig hielten.“

Man konnte es sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht vorstellen, aber von da an wurde es tatsächlich nur noch schlimmer. Zuweilen tat es fast schon weh, dabei zuzusehen, wie der ukrainische Präsident ein ums andere Mal gedemütigt wurde – und zwar nicht nur von Trump und seinem Vize.

Selbst ein US-Reporter demütigt Selenskyj: „Haben Sie überhaupt einen Anzug?“

Warum er denn keinen Anzug trage, wollte ein US-Reporter von dem ukrainischen Gast wissen. Selenskyj ist seit Kriegsbeginn stets in Militärkleidung oder schwarzem Pullover mit einem aufgestickten Dreizack – dem Nationalsymbol der Ukraine – gekleidet. 

„Warum tragen Sie keinen Anzug?“, fragte der Reporter empört. „Haben Sie überhaupt einen Anzug?“ Selenskyj rang sichtlich mit der Fassung – und presste dann hervor: „Ich werde wieder einen Anzug anziehen, sobald dieser Krieg vorbei ist.“

Immerhin: „Trump hat die Tür ein wenig offengelassen, weil er gesagt hat, Selenskyj könne wiederkommen, wenn er Frieden wolle“, sagt Carlo Masala, Verteidigungsexperte an der Universität der Bundeswehr München.

Doch Grund zum Optimismus sei das nicht, fügt er hinzu: „Damit hat der US-Präsident auch klar gemacht, dass der ukrainische Präsident alle Bedingungen zu erfüllen hat, die die Trump-Administration ihm vorgibt. Also das, was wir gehört haben, sind: Die Abgabe von Territorien, keine Nato-Mitgliedschaft, keine Sicherheitsgarantien, die Unterzeichnung des Rohstoffabkommens.“

 "Trump wird nun höchstwahrscheinlich über die Köpfe der Ukraine und der Nato-Verbündeten hinweg einen Deal mit Putin abschließen"

Das desaströse Treffen im Weißen Haus zeigt für Masala vor allem, wie schnell die USA unter Trump als Partner wegbrechen – und zwar nicht nur der kriegsgeplagten Ukraine: „Letzten Endes ist das, was wir heute gesehen haben, das Zeichen dafür, dass sich niemand mehr – weder Partner noch Verbündete – auf die Vereinigten Staaten verlassen kann, wenn er gegenüber Trump keine Unterwürfigkeit zeigt.“

  • Ian Bremmer ist Gründer und Präsident der Beratungsfirma Eurasia Group sowie Initiator des Global Political Risk Index an der Wall Street. Sein Buch „The Power of Crisis“ erschien kurz vor Beginn des Ukraine-Kriegs.

Auch US-Politikberater Ian Bremmer sagt: „Mit dem Auftritt im Weißen Haus habe Trump den Europäern verdeutlicht, dass sie und die Ukraine im Wesentlichen auf sich allein gestellt sind.“

Und er prognostiziert: „Trump wird nun höchstwahrscheinlich über die Köpfe der Ukraine und der Nato-Verbündeten hinweg einen Deal mit Putin abschließen. Das ist eine außergewöhnliche Wendung der Ereignisse. Ich erwarte einen Rückstoß von den Republikanern im Senat, aber nicht genug, um ernsthaft etwas zu bewirken.“

Von Hannah Wagner, Viktoria Bräuner, Juliane Schäuble