"Nie wieder riskante Behandlungen" – So verändert der digitale Zwilling die Medizin

Stellen Sie sich vor, Sie müssten nie wieder eine riskante Behandlung über sich ergehen lassen, ohne zu wissen, ob sie wirklich wirkt. Stattdessen übernimmt jemand anderes den ersten Schritt: Ihr digitaler Zwilling. Klingt futuristisch? Ist es auch. Aber eben nicht mehr lange. An mehreren deutschen Kliniken gehört die Simulation am virtuellen Patienten bereits zur Realität.

Ein Beispiel: In der Strahlenklinik Erlangen wird der genaue Verlauf einer Krebstherapie zuerst am digitalen Zwilling durchgespielt. Erst wenn die virtuelle Bestrahlung den Tumor punktgenau trifft und das gesunde Gewebe schont, beginnt die Behandlung am echten Patienten. Wer so plant, spart nicht nur Nebenwirkungen, sondern oft auch Lebensjahre.

Dr. Gerd Wirtz spezialisiert sich in seinen Publikationen und Podcasts als Neurophysiologe auf digitale Gesundheit und Longevity. Er ist Teil unseres EXPERTS Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Was genau ist ein digitaler Zwilling?

Ein digitaler Zwilling ist ein virtuelles Abbild Ihres Körpers. Er basiert auf Ihren persönlichen Gesundheitsdaten: von MRT-Bildern über Laborwerte bis hin zu Bewegungsdaten Ihrer Smartwatch. Daraus entsteht ein dynamisches Modell, das sich ständig weiterentwickelt. Der Zwilling kann nicht nur Ihre aktuelle Gesundheitssituation abbilden, sondern auch Prognosen stellen, etwa, wie ein Organ auf eine bestimmte Therapie reagieren würde.

Solche Modelle sind keine Science-Fiction mehr. In der Forschung und in ersten Kliniken wird längst an ihnen gearbeitet. Ziel ist eine Medizin, die nicht mehr auf Durchschnittswerte setzt, sondern auf den individuellen Patienten.

Therapien testen (fast) ohne Risiko 

Der größte Vorteil: Am Zwilling lässt sich nahezu jede Behandlung simulieren. Wie wirkt ein neues Medikament? Welche Nebenwirkungen könnten auftreten? Ist eine bestimmte OP-Technik bei Ihrer Anatomie sinnvoll? All das kann getestet werden, bevor es ernst wird.

Das Konzept erinnert an die Luftfahrt, wo kein Pilot ohne Flugsimulator ausgebildet wird. In der Medizin könnte der digitale Zwilling zum Sicherheitsnetz werden, vor allem bei komplexen Eingriffen oder neuartigen Therapien.

Vorausschauende Wartung für den Menschen

Auch in der Vorsorge zeigt der digitale Zwilling großes Potenzial. Er funktioniert wie ein Frühwarnsystem. Kleinste Abweichungen im digitalen Modell können Hinweise auf eine drohende Erkrankung liefern und das lange bevor Symptome auftreten. Wer früh gegensteuert, kann viel gewinnen. Vielleicht sogar einige Lebensjahre.

Besonders hoffnungsvoll blicken Diabetes Patienten auf diese Lösung. 72 Prozent finden es gemäß einer PwC-Studie sinnvoll, einen Digitalen Zwilling erstellen zu lassen, um so mögliche Folgeschäden ihrer Krankheit frühzeitig erkennen zu können. Zudem erwarten sie sich Hilfe bei der optimalen Einstellung ihrer Medikamente.

Was passiert mit meinen Daten?

So viel Potenzial die Technik bietet, so groß sind auch die Sorgen. Ein digitaler Zwilling braucht viele Daten. Und diese Daten sind sensibel. Wer darf sie sehen? Wer darf sie nutzen? Und was, wenn der Algorithmus falsch liegt?

Lösungsansätze gibt es bereits. Zum Beispiel sogenannte Datentreuhänder also unabhängige Stellen, die zwischen Patient und Forschung vermitteln. Sie könnten dafür sorgen, dass Daten sicher bleiben und gleichzeitig medizinischen Fortschritt ermöglichen. Denn ohne Vertrauen in die Technik wird sie sich nicht durchsetzen.

Zukunft oder schon Realität?

Noch ist der vollständige digitale Zwilling Zukunftsmusik. Aber einzelne Organe wie Herz oder Lunge lassen sich heute schon virtuell abbilden. In der Kardiologie helfen digitale Modelle, Operationen besser zu planen. Bei Multipler Sklerose sollen sie den Krankheitsverlauf voraussagen. Und in der Onkologie werden Bestrahlungspläne bereits routinemäßig am digitalen Zwilling getestet.

Die Richtung ist klar: Die Medizin der Zukunft wird personalisierter, präziser und vorausschauender. Und der digitale Zwilling wird dabei eine Schlüsselrolle spielen.

  • Gerd Wirtz

    Bildquelle: Gerd Wirtz

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