„Artikel 23“: Wie China den Menschen in Hongkong ihre Freiheit nehmen will

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Die Flaggen von Hongkong und China wehen am Hafen der einstigen britischen Kronkolonie. © Isaac Lawrence/AFP

Einst war keine chinesische Stadt so frei wie Hongkong. Doch die Metropole gerät immer mehr in den Zangengriff Pekings. Das bekommen Aktivisten genauso zu spüren wie die Wirtschaft.

Es erfordert eine ordentliche Portion Mut, in Hongkong auf die Straße zu gehen. Vor allem dann, wenn man nicht einfach in der Menge untertauchen kann, so wie noch während der Massenproteste der Jahre 2019 und 2020. Damals demonstrierten Hunderttausende gegen die Regierung der chinesischen Sonderverwaltungszone. An diesem Dienstag waren es nur eine Handvoll Menschen, die sich vor einem Regierungsgebäude versammelten, streng beobachtet von zwei Dutzend Polizisten in Zivil. „Ganz Hongkong ist von Angst ergriffen, das ist das Schlimmste“, sagte eine der Demonstrantinnen in eine Fernsehkamera. „Früher haben die Menschen die Regierung offen kritisiert, aber heute machen das nur sehr wenige, selbst wenn sie unzufrieden sind.“

Der Mini-Protest richtete sich gegen ein neues Sicherheitsgesetz, das Hongkongs Regierungschef John Lee plant – und das, so befürchten Kritiker, die ohnehin schon kaum mehr vorhandenen Freiheiten in der einstigen britischen Kronkolonie noch weiter beschneiden dürfte. Eine entsprechende Gesetzgebung sieht der Artikel 23 der Hongkonger Verfassung vor, des sogenannten „Basic Law“ von 1997. Hongkong solle sich Gesetze geben, „um Verrat, Sezession, Aufruhr, Subversion“ gegen die Zentralregierung sowie den „Diebstahl von Staatsgeheimnissen“ zu unterbinden, heißt es dort unter anderem. Was damit gemeint ist, bleibt vage. Wie so oft, wenn in China von der „nationalen Sicherheit“ die Rede ist. Denn was nicht genau definiert ist, können die Behörden nach eigenem Ermessen beliebig auslegen.

Sicherheitsgesetz für Hongkong: Demokratieaktivisten im Visier

Schon einmal, im Jahr 2003, wollte Hongkong ein eigenes Sicherheitsgesetz nach Artikel 23 einführen. Dann aber gingen bis zu einer halben Million Menschen auf die Straße, und die Regierung machte einen Rückzieher. 17 Jahre später kam dann ein Nationales Sicherheitsgesetz für Hongkong, erlassen von den Machthabern in Peking. Die hatten zuvor die Massenproteste und die Hongkonger Demokratiebewegung blutig niederschlagen lassen. Das nun geplante eigene Sicherheitsgesetz für Hongkong soll die nationale Gesetzgebung ergänzen – beziehungsweise verschärfen, wie Kritiker befürchten.

Mehr als 100 Seiten lang ist ein Konsultationspapier zu dem Vorhaben, zu dem die Hongkonger Bürgerinnen und Bürger bis Mitte der Woche ihre Einwände vorlegen konnten. Dass das Gesetz kommt, daran gibt es keine Zweifel. Vom „falschen Gesetz zur falschen Zeit“ spricht Thomas Kellogg, Experte für chinesisches Recht an der Georgetown University. Es biete der Regierung ein „noch umfangreicheres Instrumentarium“ als das bestehende Nationale Sicherheitsgesetz, „um die Kontrolle über Hongkong zu behalten“. Ins Visier des Gesetzes würden zunächst Demokratieaktivisten in Hongkong geraten, es ziele aber auch auf Aktivisten im Ausland ab, sagte Kellogg unlängst auf einer Veranstaltung der US-Denkfabrik CSIS. Schon vor ein paar Monaten setzte die Hongkonger Regierung ein Kopfgeld auf Aktivisten aus, die ins Ausland geflohen waren.

„Atmosphäre der Angst“ in Hongkong

Yaqiu Wang von der Menschenrechtsorganisation Freedom House spricht von einer „Atmosphäre der Angst“, die sich in Hongkong breitgemacht habe. Das spüre man vor allem in der Geschäftswelt. Dort sei die Sorge groß, dass bloße Kritik an der schwächelnden chinesischen Wirtschaft als Verstoß gegen die nationale Sicherheit gewertet werden könnte.

So weit will Johannes Hack nicht gehen. Der Präsident der deutschen Außenhandelskammer in Hongkong glaubt, dass „der Zugang zu Informationen und der Meinungsaustausch in Hongkong unverändert gut und viel freier“ als auf dem chinesischen Festland sei. „Bisher können wir noch keine Einschränkungen in der Berichterstattung über Wirtschaft und Unternehmen erkennen.“ Problematisch sei aber, dass die geplante Gesetzgebung nicht wirklich definiere, was mit „Staatsgeheimnissen“ gemeint sei. Das könnten vor allem Unternehmen aus den Finanz- und Beratungssektoren zu spüren bekommen, sagte Hack zu IPPEN.MEDIA. Laut der Financial Times haben die beiden großen Beratungsfirmen KPMG und Deloitte ihre Mitarbeiter angewiesen, bei Reisen nach Hongkong aus Sicherheitsgründen ihre Geschäftshandys zu Hause zu lassen.

Hongkong geht gegen Pressefreiheit vor

Seit der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes im Jahr 2020 haben nicht nur einzelne Firmen ihren Sitz nach Singapur verlegt. Auch haben geschätzt eine halbe Million Menschen die Stadt verlassen. Bis Ende letzten Jahres wurden laut offiziellen Zahlen mehr als 170 Menschen auf Basis des Gesetzes angeklagt, die rund 100 bereits abgeschlossenen Verfahren endeten ausnahmslos mit einem Schuldspruch. Seit gut zwei Monaten läuft auch das Verfahren gegen den bekannten Medienunternehmer Jimmy Lai, dem unter anderem „Verschwörung mit Kräften im Ausland“ vorgeworfen wird. Der Prozess sei „eine Botschaft an jeden, der es wagt, in Hongkong als Journalist tätig zu sei“, sagte seine Anwältin vor Kurzem dem Fachdienst Table.Media: „Wenn du nicht schweigst, bist du der Nächste.“

Hongkong wird damit immer mehr zu einer chinesischen Stadt. Auf dem chinesischen Festland regiert schon länger das Primat der Sicherheit. Staats- und Parteichef Xi Jinping ordnet ihr alles unter, sogar das Wirtschaftswachstum. Anfang der Woche erst wurde ein Gesetz zur Weitergabe von Staatsgeheimnissen erweitert, im Jahr zuvor ein Anti-Spionage-Gesetzt verschärft. Xi Jinping spricht von einem „ganzheitlichen“ Sicherheitsbegriff, auch im Konsultationspapier zum Hongkonger Sicherheitsgesetz taucht der Ausdruck nun mehrfach auf.

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