Merkel gibt Polen und Balten Mitschuld für Russlands Ukraine-Invasion – und erntet scharfe Kritik

Angela Merkel sieht in der Ablehnung von EU-Verhandlungen mit Putin durch Polen und die baltischen Staaten einen indirekten Beitrag zur russischen Aggression. In einem Interview mit dem ungarischen Online-Medium Partizan erklärte die ehemalige Bundeskanzlerin, dass sie 2021 ein neues Verhandlungsformat mit Putin angestrebt habe, da dieser das Minsker Abkommen nicht mehr ernst genommen habe. 

Dies sei jedoch am Widerstand vor allem der baltischen Staaten und Polens gescheitert. Das Abkommen war 2015 geschlossen worden mit dem Ziel, die damals bereits herrschenden Kämpfe in der Ost-Ukraine zu beenden. 

Merkel kritisiert Abbruch von Gesprächskanälen

Merkel betonte, dass Polen und die baltischen Staaten befürchtet hätten, die EU könne sich nicht auf eine gemeinsame Linie gegenüber Russland einigen. „Meine Meinung war, wir müssen dann eben daran arbeiten, eine gemeinsame Politik zu haben. Auf jeden Fall ist es nicht zustande gekommen, und ja, dann bin ich aus dem Amt geschieden, und dann hat die Aggression Putins begonnen. Wir werden heute nicht mehr klären können, was gewesen wäre, wenn“, sagte Merkel.

Zudem führte die Ex-Kanzlerin die Corona-Pandemie als weiteren Faktor an, da persönliche Treffen mit Putin nicht möglich gewesen seien: „Wenn man sich nicht treffen kann, findet man keine neuen Kompromisse.“

Angela Merkel (CDU), frühere Bundeskanzlerin, trifft sich im Juni 2019 am Rande des G20-Gipfels im japanischen Osaka mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (Archivbild)
Angela Merkel (CDU), frühere Bundeskanzlerin, trifft sich im Juni 2019 am Rande des G20-Gipfels im japanischen Osaka mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (Archivbild) Bernd von Jutrczenka/dpa

Scharfe Kritik aus Polen

Die Aussagen Merkels stießen in Polen auf heftige Kritik. Mateusz Morawiecki, ehemaliger polnischer Premierminister, warf ihr vor, Europas Sicherheit durch ihre Russland-Politik massiv geschädigt zu haben. 

„Angela Merkel hat mit ihrem gedankenlosen Interview bewiesen, dass sie zu den schädlichsten deutschen Politikern des letzten Jahrhunderts gehört“, sagte er laut Telegraph

Polens amtierender Ministerpräsident Mateusz Morawiecki muss die Vertrauensfrage im Parlament stellen.
Polens ehemaliger Ministerpräsident Mateusz Morawiecki Uwe Anspach/dpa

Estlands Außenminister: Aussagen unverschämt und falsch 

Auch Estlands Außenminister Margus Tsahkna wies die Aussagen von Merkel als unverschämt und falsch zurück. Der Grund für Russlands umfassende Aggression sei Putins Unfähigkeit, den Kollaps der Sowjetunion zu akzeptieren, sowie der frühere Wunsch der westlichen Länder, mit Putin zu verhandeln und seine Taten zu ignorieren, sagte er in einer Mitteilung des Außenamtes in Tallinn. So seien weder der Krieg in Georgien 2008 noch Russlands Annexion der Krim 2014 auf starke Reaktionen gestoßen. 

„In unserer Region wurde Russlands wahre Natur schon früh erkannt, und es wurde vor den von Russland ausgehenden Gefahren gewarnt. Die große Mehrheit der westlichen Welt zog es jedoch vor, dies zu ignorieren“, sagte Tsahkna. Deutschland habe unter Merkels Führung zudem die Kosten der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Russland falsch eingeschätzt und durch die Eröffnung der Nord-Stream-Pipeline dazu beigetragen, von Russland energieabhängig zu bleiben.