Rendite-Rechnung von Gerd Kommer - Buy the Dip? Warum das Lauern auf niedrigere Kurse an der Börse nichts bringt
Teuer verkaufen, günstig kaufen – das wäre, kurz gesagt, die optimale Strategie an der Börse. Doch die Realität sieht anders aus: Selbst Profis treffen die perfekten Zeitpunkte allenfalls zufällig, die meisten Fondsmanager schneiden sogar regelmäßig schlechter ab als ein passives Investment in den Börsenindex selbst über ETFs.
Trotzdem lauern Millionen Privatanleger immer wieder auf den perfekten Zeitpunkt zum Einstieg. „Buy the Dip“ (übersetzt etwa: Kaufen zum Tiefstkurs) ist auf Youtube und Instagram seit Jahren das große Thema. Immer wieder treten dort Anleger auf, denen der ideale Ein- und Ausstieg angeblich gelungen ist, oder die Strategien präsentieren, mit denen er zu bestimmen sein soll. Doch wie wahrscheinlich ist es, dass das perfekte Timing wirklich gelingt? Und lohnt sich das langfristig überhaupt?
Enttäuschende Portfolio-Rendite
Der Vermögensverwalter Gerd Kommer, ein Verfechter der breit gestreuten Geldanlage in ETFs, hat die Anlagestrategie „Buy the Dip“ (BTD) in einem Blog-Beitrag untersucht. Mit einem Backtesting über verschiedene Zeiträume zwischen 2007 und 2024 kommt er zu dem Ergebnis: Die mit BTD erzielbaren Renditen waren in der Vergangenheit enttäuschend, wenn man sie mit einem „Buy and Hold“-Ansatz vergleicht, also einem Einmal-Investment, an dem der Anleger auch bei Kurs-Rücksetzern stur festhielt.
Zunächst untersuchte Kommer, um wie viel höher die Rendite ausfällt, wenn ein Investor Geld zurückbehält und im Tief kauft. Dazu hat Kommer nicht einzelne Aktien analysiert, sondern die Renditen im MSCI World Index über die vergangenen 55 Jahre. Ergebnis: Ein Investor, der am Anfang investiert und sein Investment die gesamte Zeit über gehalten hätte, hätte in diesem Zeitraum eine durchschnittliche jährliche Rendite von 5,6 Prozent erzielt. Wer dagegen einen Cash-Reserve von 25 Prozent zurückbehielt und erst nach einem 25-prozentigen Kurseinbruch investierte, konnte darauf in den folgenden zwei Jahren 6,7 Prozent per annum verdienen, über die folgenden zehn Jahre sogar 9,2 Prozent per annum.
Es sieht also zunächst einmal so aus, als bringe „Buy the Dip“ höhere Renditen als „Buy and Hold“. Doch der Schein trügt.
Abwarten mit Cash-Reserve
Im nächsten Schritt nimmt Kommer an, dass drei Portfolien zu 70, 80 und 90 Prozent aus Aktien und Aktien-ETFs bestehen. Der Investitionsreserve ist entsprechend 10, 20 und 30 Prozent groß und wird als Tagesgeld oder in einem Geldmarktfonds angelegt. Da der Zinssatz im betrachteten Zeitraum durchschnittlich nur 0,8 Prozent betrug, setzt Kommer ihn der Einfachheit halber auf Null. Das benachteiligt zwar in der Rechnung das Halten einer Investitionsreserve. Da Kommer aber im Gegenzug beim Umschichten auch Steuern auf Veräußerungsgewinne außer Acht lässt, dürften sich diese beiden Effekte mindestens aufheben.
Fällt der MSCI World Index – betrachtet werden einen Kurssturz (Drawdown) von 15 und 30 Prozent –, wird annahmegemäß die gesamte verfügbare Reserve investiert. Dieses Szenario hat Kommer rückwirkend für 15 verschiedene Zeiträume zwischen 2007 und 2024 durchgespielt. Dabei dauerte die längste Anlageperiode 18 Jahre (2007 bis 2024) und die kürzeste drei Jahre (2021 bis 2024). Das Ergebnis wurde mit einem Buy-and-Hold-Anleger verglichen, der gleich zu Beginn alles investiert und seine Position die gesamte Zeit über hält. Ergebnis: Die Buy-and-Hold-Strategie warf in allen 15 Szenarien eine höhere Rendite ab als der Versuch, die Investitionsreserve erst nach dem Dip zu investieren, um von den höheren Renditen der Folgejahre zu profitieren.
Ergebnis: „Buy and Hold“ gewinnt
Die folgende Tabelle zeigt die jeweiligen Überrenditen des Buy-and-Hold-Ansatzes gegenüber der Buy-the-dip-Strategie.

Auch unter Risikoaspekten schneidet der Buy-and-Hold-Investor annähernd gleich ab. Zwar verliert er im „Crash“ mehr, weil er voll investiert ist, während seine Investitionsreserve den BTD-Investor abpuffert. Doch über einen längeren Zeitraum nähern sich beide Werte wieder an.
Deshalb bringt „Buy the Dip“ keine zusätzliche Rendite
Dass die Buy-the-Dip-Strategie keinen Mehrwert bietet, erklärt Kommer so: „Die Opportunitätskosten der Investitionsreserve sind im statistischen Mittel höher als der Vorteil aus der erhöhten Rendite des ,Dip-Investments' nach Auslösung des Kaufsignals.“ Weil der Aktienmarkt im allgemeinen informationseffizient sei, „steigen die erwarteten Renditen nach einem starken Downturn im Mittel nicht stark genug, um die zuvor verschenkte Rendite aus der Investitionsreserve ausreichend auszugleichen. Oder noch anders ausgedrückt: Der globale Aktienmarkt hat auf lange Sicht eine zu starke Aufwärtstendenz und eine zu hohe Rendite relativ zu risikoarmen Cash-Anlagen.“ Was Kommer damit meint: Heftige Abstürze von 15 Prozent und mehr kommen einfach zu selten vor, als dass es sich lohnt, darauf zu warten.
Kommer kontert auch Kritik an seiner Sichtweise
Der Finanz-Experte Andreas Beck bestätigt die Sichtweise: „Dass man (Buy the Dip) sehr kritisch gegenüber steht, ist in jeder Hinsicht zu rechtfertigen“, sagte Beck dieser Tag in einem Youtube-Interview. Denn es sei immer ein größeres Risiko, nicht im Markt zu sein, als dabei zu sein – auch wenn er fällt.
Man könnte jedoch einwenden, dass ein Buy-and-Hold-Anleger möglicherweise risikoaverser ist und daher nie sein ganzes Geld an der Börse anlegen würde. Er könnte also ebenfalls – wie der „Buy the Dip“-Investor ein 80:20 Portfolio haben, wodurch er einen Teil des Renditevorsprungs aufgeben würde.
Doch Kommer hat auch darauf eine Antwort: Der BTD-Investor verfolge das Ziel, einen zu 100 Prozent investierten Anleger mit seiner Strategie auszustechen und gegenüber diesem eine höhere Rente zu erzielen. Dies sei, im untersuchten Zeitraum, nie gelungen. Und deshalb lohne sich das Lauern auf den günstigsten Einstiegszeitpunkt einfach nicht.